Ein ordentlicher Keller war für unsere Grossmütter noch eine Selbstverständlichkeit. Heute ist dies nicht mehr zeitgemäss. Aus gutem Grund.
Es gehe niemanden etwas an, was bei ihm zu Hause für eine Flagge im Keller hänge. Das sagte SVP-Promi Oskar Freysinger damals, nachdem er einem Fernsehteam für einen «Reporter»-Beitrag im Schweizer Fernsehen just die Türe zu diesem Keller geöffnet und damit einen mittelgrossen Skandal ausgelöst hatte.
Dass die schwarz-weiss-rote Reichskriegsflagge, die sich darin befand, heute eigentlich nur noch unter Neonazis eine Verwendung finde, habe er nicht gewusst, behauptete er im Nachhinein. Innerlich dürfte er sich gleichzeitig dafür verflucht haben, überhaupt Fremde in seinen Keller hineingelassen zu haben.
Auch ich würde niemand in meinen Keller lassen. Jedenfalls nicht freiwillig. Was ich dort alles lagere? Ich weiss es nicht. Politisch schwer aufgeladenes Material, das dann schon nicht. Sicher nicht. Aber sonst? Keine Ahnung.
Hier regiert allein mein innerer Konsumteufel. Über Dinge, von denen ich vermutlich einst glaubte, ich würde sie brauchen. Und es stimmt ja auch: Die Skier, die irgendwann von einer Lawine von Rucksäcken und Koffern erfasst worden sein müssen, waren mal wichtig. Vor zehn Jahren! Oder die Schulbücher, Schreibhefte und Ordner – für wen hebe ich das alles auf? Was nützt mir eine defekte E-Gitarre im Keller? In welchem Winter wird wohl mein zerrissener Mantel wieder Mode sein? Und überhaupt: Was zur Hölle befindet sich eigentlich in diesem Regal hinter dem ganzen Berg aussortierter Kleinmöbel, Haushaltsgeräte und Plastikschrott?
Zwischen Himmel und Hölle
Mein Keller ist, so viel steht fest, kein eigentlicher Keller mehr. Mehr so eine Art Vorhof zur Müllhalde. Vielleicht noch etwas chaotischer, noch etwas liebloser sortiert als eine Müllhalde. Man müsste hier definitiv erst mal ordentlich was wegschmeissen. Vorher kommt mir niemand in meinen Keller. Was würde der auch von mir denken?
Meine Grossmutter hatte noch keine Probleme, jemand in ihren Keller zu schicken. Zum Beispiel ihre Enkelkinder, um eine Flasche heiss geliebten Most zu holen, den es so nur beim Grosi gab.
Auf den Latten in den Regalen aus Tannenholz herrschte die blanke Ordnung. Links von der Tür die erdig riechenden Kartoffeln, kiloweise, gleich daneben die Äpfel aus dem Garten. Rechts natürlich die eingelegten Weichselkirschen, die wunderbar zu Grosis Griessbrei passten, das Zwetschgenkompott, fantastisch zu Milchreis, das sauer eingelegte Gemüse, mit dem ich zugegebenermassen nie ganz warm wurde, oder eben: der golden glänzende Apfelsaft.
Selbstverständlich waren noch viele andere Grundnahrungsmittel hier versammelt. Auch Konservenbüchsen, als gälte es einen weiteren Krieg zu überstehen – mit einer ganzen Kompanie hungriger Mäuler im Haus.
Als Kind kümmerte es mich natürlich wenig, warum Grosis Keller so war, wie er war. Für mich wars einfach ein angenehmer Ort. Wie die Kühle erfrischte, wie die Einmachgläser und Flaschen aufleuchteten, wenn das kleine Fenster ein paar Sonnenstrahlen durchliess. Dazu dieser herrlich muffige Duft des feuchten Kiesbodens, der sich mit demjenigen der Kartoffeln und Äpfel vereinte – das war sakraler als jede Kirche.
Sicher keine Notvorräte
In letzter Zeit scheint es in gewissen elitären Kreisen wieder in Mode zu kommen, der gewöhnlichen Bevölkerung Notvorräte schmackhaft zu machen. Jedes Mal mit dem gleichen Ergebnis: Spott und Hohn. Erinnern Sie sich noch, wie wir gelacht haben, als Armeechef André Blattmann vor zwei Jahren seine Vorräte im Keller präsentierte? Vor wenigen Wochen erlebte die Regierung in Deutschland gerade wieder Ähnliches, weil sie zur Vorratshaltung aufrief.
62 Prozent der Deutschen nennen #Zivilschutzkonzept #Panikmache#deMaiziere #Grüne #AfD #SPDhttps://t.co/iXyYBDps24 pic.twitter.com/Rue67evuUC
— Chris Port (@chrisuport_port) 31. August 2016
Aber was stellen die sich auch vor? Dass wir tatsächlich endlich unsere Keller entrümpeln, um Platz zu schaffen? Dass wir wieder ein Grosi werden? Uns die Angst unters Schlafzimmer stecken?
Vielleicht muss ich meinen Keller gerade deswegen unaufgeräumt lassen, wie er ist. Um der Welt ins Gesicht zu spucken. Um ihr zu zeigen: Noch hast du nicht gewonnen! Du mit deinen Populisten, Terroristen und pseudodemokratischen Diktatoren. Ich brauch keinen Platz für Notvorräte. Du machst mir keine Angst! Sie wäre mir viel zu aufwendig.