«Wer Sophie Hunger nicht kennt, soll sie ergründen» – Knackeboul über die Kontroverse um den Musikpreis

Es gibt kaum Gründe, Sophie Hunger den Schweizer Musikpreis zu missgönnen. Die Kritiker hingegen sind wie die Hunger-Wortspiele: plump und selbstentlarvend.

Böser alter Mann: Tom Fischer sähe das Preisgeld für Sophie Hunger (r.) lieber in den Händen des IS.

(Bild: Getty Images / Montage: Nils Fisch)

Es gibt kaum Gründe, Sophie Hunger den Schweizer Musikpreis zu missgönnen. Die Kritiker hingegen sind wie die Hunger-Wortspiele: plump und selbstentlarvend.

«Selbst wenn man dieses Geld dem IS überwiesen hätte, wäre es trotzdem noch besser investiert gewesen.» Diesen Spruch schrieb Celtic-Frost-Beule Tom Gabriel Fischer (heute unter dem Namen Triptykon unterwegs) bei Facebook. Es ist seine Reaktion darauf, dass Sophie Hunger den mit 100’000 Franken dotierten Schweizer Musikpreis erhalten hat.

Und dieser keltische Frost-Fischer ist auch nicht der einzige in die Jahre gekommene Schweizer Musikant, der seinen Frust über diese scheinbare Ungerechtigkeit in die Welt grölt. (In seinem Fall eher «growlt», denn er gilt als Pionier des Growlings. Seine Musik ist brachial stark und seine Reputation so beeindruckend, dass man sich fragt, woher denn diese Missgunst rührt).

Item, er ist nur einer von mehreren Altrockern, die sich entsetzt äussern: Polo Hofer, Mark Fox und – wir sind nicht erstaunt – Chris von Rohr findens auch voll fies. Letzterer findet Kulturförderung an sich daneben und wenn, dann sollte man diese bestimmt nicht an eine Frau vergeben, die es wagt, die Schweiz für ihr Verhalten gegenüber Ausländern und Flüchtlingen zu kritisieren. Der «Blick» nimmt den Unmut dieser alten Herren dann auch als Anlass, um den Artikel unter den Titel «Hunger kriegt den Hals nicht voll» zu stellen.

Vom «Blick» fundierte Kenntnisse der Schweizer Musikszene zu erwarten, ist etwa so, als würde man einen Bernhardiner durchs Katzentörchen ins Haus lassen wollen.

Einmal mehr wird hier als «Schweizer Musikszene» definiert, was dem Boulevard bekannt ist. Eine fatale Fehleinschätzung, wie ich hier schon einmal erklärt habe. Die wirkliche Schweizer Musikszene findet überall statt, nur nicht in der Öffentlichkeit. Aber eben: Vom «Blick» fundierte Kenntnisse der Schweizer Musikszene zu erwarten, ist etwa so, als würde man einen Bernhardiner durchs Katzentörchen ins Haus lassen wollen.

Zum Glück gibts noch fundierteren Kulturjournalismus, etwa im «Tagi». Denkste! Dieser titelt: «Schon wieder sie!» Und mit dem Satz «Sie ist jung, sie ist eine Frau – damit war sie fällig» verwechselt die Artikelschreiberin den Schweizer Musikpreis, bei dem 15 der wichtigsten Schweizer Musikschaffenden nominiert waren, mit der Miss-Schweiz-Wahl und suggeriert, dass Hunger nur wegen ihres Frau-Seins und ihres Alters gewonnen hat.

Ich kenne Sophie Hunger nicht persönlich, aber ich kenne einen Teil des musikalischen Schaffens der Nominierten. Ich möchte deshalb einige der meistgeäusserten Kritikpunkte relativieren. Also:

«Hunderttausend Franken von unseren Steuergeldern – das ist völlig übertrieben, vor allem für diese Musik(erin)!»

Die staatliche Subvention von Musik und Kunst ist wichtig für die Schweiz. Das Land profitiert davon, wenn es eine vielfältige kritische und kantige Musikszene fördert, die schlussendlich dem Bürger dient mit Unterhaltung, Denkanstössen und Kunstwerken jenseits von Kommerz und Berechnung.

Hunderttausend Franken reichen gerade, um ein Album vernünftig zu produzieren.

Der Stand des Musikers ist in der Schweiz nach wie vor ein sehr schwerer. Im Gegensatz zu anderen Ländern und Kulturen, muss man sich in der Schweiz permanent rechtfertigen, wenn man im Musik- oder Kunstbereich arbeitet. Noch immer gilt hier das Erschaffen von Kunst, das Komponieren von Liedern und das permanente Live-Performen nicht als richtiger Beruf, obwohl Musik, Text und Video in der Gesellschaft immer wichtiger werden.

Hunderttausend Franken reichen gerade, um ein Album vernünftig zu produzieren. Nachdem Sophie Hunger damit die Musiker, das Studio und alles andere bezahlt hat, bleiben ihr vielleicht noch ein paar Tausend für den Lebensunterhalt.

«Schon wieder sie! Immer kriegen die gleichen alles in den Arsch geschoben.»

Natürlich gäbe es in der Schweiz auch andere fördernswerte Musiker und Projekte, es ist aber konsequent, eine Künstlerin über Jahre aufzubauen und zu unterstützen. Sophie Hunger ist eine brillante Musikerin, die international Anerkennung erfährt. Für die Schweiz als Land ist es klug, sie immer wieder zu fördern und auf ihrem Weg zu unterstützen.

«Immer gewinnt nur der Mainstream.»

Sophie Hunger ist das Gegenteil von Mainstream. Würde man auf den Schweizer Strassen eine Umfrage machen, würden weniger als 30 Prozent wissen, wer diese Frau ist. DJ Antoine würden über 70 Prozent erkennen. Antoine ist ein Mainstream-Künstler, der viel Geld verdient, der Musik und Kultur dieses Landes aber wenig nachhaltiges bringt. Hunger ist eine tiefgründige Künstlerin, die in die Musikgeschichte eingehen wird und zum Glück auch kommerziellen Erfolg hat.

«Noch nie von der gehört.»

Der Fakt, dass viele noch nie etwas von der einzigen Schweizer Künstlerin gehört haben, die am Glastonbury-Festival gespielt oder mit Max Herre bei «MTV Unplugged» performt hat, beweist, wie wichtig die Vergabe dieses Preises ist.

 «Die Frau ist völlig talentfrei. Guckt mal, wie sie in diesem Video David Bowie verhunzt.»

Nur weil eine Cover-Version für das ungeschulte Ohr «schräg» klingt, heisst es nicht, dass sie nicht gut ist. Leute, die so argumentieren, verwechseln auch gerne mal ihre Telefonkritzeleien mit einem picassoesken Talent. Sophie Hunger hat an den diesjährigen Swiss Music Awards eine umwerfende Interpretation des Songs «Heroes» von David Bowie gespielt. Inmitten des ganzen Musik-Industrie-Brimboriums hat sie nur mit Gitarre und Stimme jeden berührt, der Musik macht, weil er sie und nicht nur sich selbst liebt.

Man könnte jetzt meinen, ich sei in diese Sophie verliebt, aber ich mag einfach ihre Musik, ihre Art und ihren Werdegang. Ich liebe nicht sie, sondern die Idee, dass eine Künstlerin trotz geringer Selbstinszenierung, trotz Musik mit Tiefgang und trotz klaren Meinungsäusserungen Anerkennung von ihrem Heimatland kriegt.

Wer Sophie Hunger nicht kennt, soll sie ergründen. Er wird vieles finden, was ihn fasziniert, und wenig Gründe erkennen, ihr den Preis zu missgönnen. Auch wer sich die anderen für den Preis nominierten Musiker anschaut oder die Jury, wird zum selben Schluss kommen.

Die Kritiker hingegen sind wie die Hunger-Wortspiele in den Zeitungs-Artikeln und Kommentaren. Plump, unnötig und selbst-entlarvend. Wie der Celtic-Frost-Fischer. Ich hoffte, dass ein Mann, der so starke Musik macht, auch Argumente hat. Seine weiteren Kommentare drehten sich aber nur noch um ihn und wie viel Ahnung er von internationalem Erfolg hat und von der Musikszene, von Förderung und von fehlender Anerkennung seitens Schweiz. Somit war klar, um was es geht: Um gekränkte Egos und zu wenig Zuwendung. Seien wir froh, gibt es diesen Preis, der diesen Missstand bekämpft.

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