Der Atom-Gau in Japan ist Geschichte, aber noch längst nicht bewältigt. Hierzulande ist das Thema – ausser an Jahrestagen – in den Hintergrund gerückt. Scheitert damit die Energiewende, bevor sie begonnen hat? Eine Analyse.
Die Atomkatastrophe in Fukushima liegt zwei Jahre hinter uns. Doch für Zehntausende von Menschen, die aus dem radioaktiv verseuchten Gebiet rund um die zerstörten Atomreaktoren evakuiert wurden, bestimmt dieser GAU weiterhin die Gegenwart. Unsicherheit prägt ihr tägliches Leben: Die Ungewissheit etwa, ob die Strahlendosis ihre Gesundheit gefährdet. Oder wann sie, wenn überhaupt, in ihre verlassenen Dörfer zurück kehren können. Und wie weit die Gefahr, die in den havarierten Atomkraftwerken dräut, sich tatsächlich bannen lässt.
Wie aber steht es bei uns? Unter dem Eindruck der Kernschmelze in Japan beschlossen Bundesrat und Parlament in uneidgenössischem Tempo, neue Atomkraftwerke zu verbieten und eine Wende einzuleiten – weg vom Atomstrom und vom Erdöl, hin zu Sonnenenergie, Wind- und Wasserkraft. Inzwischen aber dominieren in Medien und an Stammtischen andere Themen. Die Nachfrage nach «Ökostrom», die nach dem 11. März 2011 rasant zunahm, ist wieder aufs Mittelmass geschrumpft. Die bundesrätliche «Energiestrategie 2050» stösst bei Wirtschaftsverbänden und Rechtsparteien auf erbitterten Widerstand. Das Berner Volk lehnte vorletztes Wochenende eine Vorlage knapp ab, welche die Produktion von Strom und Raumwärme bis 2043 zu hundert Prozent auf erneuerbare Energieträger umstellen wollte.
Medien schreiben Engergiewende ab
Sind das alles «Signale» oder «Fingerzeige», dass die Schweizer Energiewende vorzeitig gescheitert ist, wie Medienleute nach der Abstimmung in Bern schrieben? Steht uns, wie einige Politiker und Physikerinnen hoffen, eine erneute Renaissance der Atomenergie bevor? Oder aber: Lässt sich die Forderung der Umweltallianz, die Schweizer Stromversorgung in zwei Jahrzehnten vollständig auf erneuerbare und einheimische Energie umzustellen, locker erfüllen?
Nein, lautet die Antwort auf alle drei Fragen. Denn erstens ist der Vergleich der abgelehnten Energievorlage im Kanton Bern mit der nationalen Energiestrategie ebenso voreilig wie die Aussage, einem Käufer, der auf einen Rolls Royce verzichte, könne man auch keinen Fiat verkaufen. Denn im Vergleich zur nationalen Strategie war die Berner Vorlage viel radikaler, weil sie bis 2043 auf kantonaler Ebene und damit isoliert einen stärkeren Umstieg forderte: Selbst wenn die nächsten Landesregierungen die Perspektiven des heutigen Bundesrates konsequent umsetzen, wird die Schweiz in vierzig Jahren immer noch ein Drittel ihres Energiebedarfs aus nicht nachwachsendem Erdöl und Erdgas decken.
Naiv ist zweitens der Glaube an eine nukleare Renaissance. Denn seit längerer Zeit zeichnet sich ab, dass die Bedeutung der Atomenergie weltweit sinkt. Nach der Katastrophe im fernen Fukushima hat selbst die atomlastige Schweizer Stromwirtschaft ihre Pläne für neue teure Atommeiler begraben. Sogar die billigen alten AKW, so bestätigen die neusten Zahlen, produzieren ihren Strom auf Pump. Wahrscheinlicher – und bedrohlich für die Klimapolitik – ist hingegen ein wachsender Marktanteil von billigem Erdgas. Das wiederum verhindert, dass sich der grüne Traum von einer hundert Prozent erneuerbaren einheimischen Energieversorgung in absehbarer Zeit erfüllen wird.
Fossile Ressourcen sind keine Lösung
Aus diesen Gründen ist die Energiewende nicht zu Ende, sondern sie steht erst am Anfang. Und sie ist unausweichlich. Zwar lassen sich zusätzliche Öl- und Gasquellen (Ölsande und Schiefergas) mit moderner umweltbelastender Technik ausbeuten. Doch langfristig lässt sich eine Energieproduktion, die auf endlichen fossilen Ressourcen fusst, nicht durchhalten. Offen ist nur die Frage, was diese Plünderung zuerst begrenzt: Der Mangel an Öl und Gas oder die Folgen des Klimawandels.
Die Richtung der neuen Schweizer Energiestrategie ist deshalb richtig: In erster Linie gilt es, Energie zu sparen. In zweiter Linie soll der verbleibende Bedarf ohne Atomkraft und mit möglichst wenig fossiler Energie gedeckt werden. Allerdings ist dieser neue Weg steinig. Widerstand kommt nicht nur von Politikern, die unbeirrt auf alten Strassen weiter fahren wollen. Als Knackpunkt erweist sich auch die auf Vermehrung bauende Wirtschaft und Gesellschaft. Denn je länger und stärker Produktion und Konsum in der begrenzten Schweiz wachsen, desto schwieriger und schmerzhafter wird es in der Praxis sein, die notwendige Energiewende umzusetzen.