Auf dem Erlenmattareal lässt sich jetzt schon beobachten, wie es in den kommenden Jahrzehnten wohl an vielen Orten in Basel aussehen wird: Zwischen Neubauten und Kinderspielplatz liegt eine strohig-gelbe Magerwiese mit vereinzelten verdorrten Goldruten, daneben stehen junge Bäume mit verwelkten Blättern.
Hier überlassen die Stadtgärtner die Natur sich selbst. Sie wässern nur ganz wenig, auch dann, wenn zwei Wochen lang die Sonne brennt und der Regen ausbleibt. Wie zum Beispiel jetzt.
Die Grünfläche auf der Erlenmatt sei ein Labor, erklärt Emanuel Trueb, der Leiter der Stadtgärtnerei Basel. «Einheimische Pflanzen, die hier überleben, sind für uns potenziell interessant.» Grundsätzlich gehe es darum, künftig mit Pflanzen zu arbeiten, die Extreme aushalten. Viel Hitze, viel Trockenheit, auf einmal viel Wasser, abrupte Temperaturwechsel – das sind die Phänomene, die in den vergangenen Jahren vermehrt auftraten und sich in Zukunft wohl weiter häufen werden.
Bei den Temperaturen zeigt sich klar: Extreme Hitzemonate kommen häufiger vor, wie zum Beispiel in den Sommern 2003, 2006 und 2015. Zuvor war die Monatsmitteltemperatur im Juli bei der Messstation Binningen seit 1864 nie mehr auf über 23 Grad Celsius gestiegen. Normal sind für Juni, Juli und August Werte von 17,5 bis knapp 20 Grad.
Das ist die Monatsmitteltemperatur
Die meteorologische Station in Binningen misst permanent die Temperatur und den Niederschlag. Aus den Temperaturen zu jeder vollen Stunde ergibt sich die Tagesmitteltemperatur. Die Monatsmitteltemperatur ist dann der Durchschnitt aller Tagesmittel. Sie gibt keinen Aufschluss über Höchst- und Tiefstwerte an bestimmten Tagen, sondern ist ein Anhaltspunkt dafür, wie häufig es innerhalb eines Monats sehr warm oder sehr kalt war.
Homogenisiert werden die Daten, um die Messreihen über längere Zeit vergleichbar zu machen. Nötig ist das, weil sich die Messmethoden im Lauf der Jahre geändert haben und Standorte verschoben wurden.
Im Winter zeigt sich hingegen, dass es immer weniger sehr kalte Monate gibt. Winter, in denen es im Raum Basel im Monatsdurchschnitt minus fünf, oder gar minus neun Grad war, liegen bereits über 30 Jahre zurück.
Kurz gesagt: Es gibt bei den Temperaturen mehr Ausreisser nach oben und weniger nach unten. Das führt dazu, dass Pflanzen- und Tierarten, die wenig Hitze aushalten, seltener werden, und solche, die die Hitze gut aushalten, gute Bedingungen vorfinden und sich ausbreiten.
Die verhältnismässig warmen Winter haben auch zur Folge, dass Insekten weniger dezimiert werden und die Populationen wachsen.
Der Buchsbaumzünsler
Vor elf Jahren kam die Raupe über Weil am Rhein nach Basel und in den Rest Europas. Seither stellt die Raupe respektive der Falter eine Gefahr für alle Buchsbäume dar. Die sogenannt invasive Art vermehrt sich sehr schnell und frisst sich innerhalb kürzester Zeit durch Buchsbüsche und -bäume.
Der Grund, weshalb der Buchsbaumzünsler hier so gut lebt, ist, dass er keine Fressfeinde kennt. Hinzu kommt, dass er die Winter hier gut überlebt.
Ähnlich wie der Buchsbaumzünsler werden auch andere Insekten durch die Klimaveränderungen bei uns begünstigt. Zum Beispiel die marmorierte Baumwanze, die sich massiv ausbreitet, oder die Tigermücke, die erst seit Kurzem hier auftritt.
Die Gottesanbeterin
Fangschrecken, wegen ihrer Körperhaltung auch Gottesanbeterinnen genannt, kamen in der Region Basel bis vor einigen Dekaden nur sehr selten vor. Heute findet sich die Insektenart in vielen Gärten, die Häufigkeit nahm in den letzten Jahrzehnten stark zu.
Von den 2400 bekannten Arten der Fangschrecke leben die meisten in den Tropen und Subtropen. In Mitteleuropa gibt es nur eine Art, die Europäische Gottesanbeterin, die bedingt durch das warme Klima ihren Lebensraum immer weiter Richtung Norden ausdehnen kann.
Die Schwarzmeergrundel
Sie ist zwar eine schlechte Schwimmerin, trotzdem breitet sich die Schwarzmeergrundel auch im Rhein aus. Seit etwa 2012 ist der Fisch bei Basel angelangt, 2016 wurde er erstmals auch im Aargau festgestellt.
Die Schwarzmeergrundel findet bei uns gute Bedingungen. Das Problem: Sie frisst den Laich von Forellen, Äschen und anderen heimischen Fischen. Deshalb dominiert sie immer mehr die Fischpopulation. Vor zwei Jahren stellte sie bereits 80 Prozent aller Fische im Rhein und sie dürfte sich weiter ausbreiten.
Die Hanfpalme
Auf dem Bruderholz wurde die Pflanze erstmals nördlich der Alpen in der freien Natur gesichtet. Weil sich die Hanfpalme sehr schnell verbreitet und sie durch ihre Wurzeln Schäden verursachen kann, steht sie beim Bundesamt für Umwelt auf einer «schwarzen Liste».
Trotzdem kann man die Pflanze auch in Bau- und Gartenmärkten kaufen. So kann es dazu kommen, dass sie aus Gärten in die freie Wildbahn versamt. Dank der Klimaerwärmung findet sie dort gute Bedingungen zum Überleben.
Der Schmetterlingsstrauch
Die Buddleja wird in Gärten zu dekorativen Zwecken gepflanzt, auch weil sie, wie der Name sagt, viele Schmetterlinge anlockt. Von dort versamt sie in die freie Wildbahn. Der Sommerflieder, wie der Strauch auch genannt wird, ist invasiv, das heisst, er ist nicht heimisch. Und er verbreitet sich schnell und verdrängt andere Gewächse.
«Wenn wir den Bestand nicht dauernd dezimieren würden, würden an Orten wie hier auf dem Erlenmattareal bald nur noch solche Sträucher wachsen», sagt Trueb. Der Schmetterlingsstrauch wächst und verbreitet sich auch deshalb besonders gut, weil er mit dem trocken-warmen Klima gut zurecht kommt.
Was passiert im Wald?
Emanuel Trueb von der Stadtgärtnerei sagt, unser Klima begünstige zunehmend eine Vegetation, die es trocken und warm liebt: «Unsere Umwelt ähnelt immer mehr den Verhältnissen, wie wir sie aus Südfrankreich oder Spanien kennen.»
Damit verbunden ist auch eine Veränderung für unsere Wälder. Die Buche, die in der Schweiz am weitesten verbreitete Baumart, leidet zunehmend unter der Trockenheit. Das meldete erst letzte Woche das Amt für Wald beider Basel, und nun warnt auch die Stadtgärtnerei vor fallenden Ästen in Parkanlagen.
Abbrechende Äste, frühzeitiger Laubfall und absterbende Bäume können Folgen der Klimaveränderungen sein. Andere Baumarten, wie zum Beispiel die Flaumeiche, gedeihen unter den neuen Bedingungen hingegen weiterhin gut, da sie wenig Wasser brauchen und grosse Hitze ertragen. Es sind Arten wie diese, die wohl langfristig die Wälder und Landschaften dominieren werden.
In der Stadt sind es häufig Rosskastanien und Platanen, die krank werden. Dies ist indirekt durch Klimaveränderungen bedingt, weil die Bäume von der Miniermotte befallen werden. Diese Insektenart wurde wohl – begünstigt durch den Klimawandel – in den 1980er-Jahren in Mitteleuropa heimisch.
Aufgrund der höheren Temperaturen gewinnen Bäume in der Stadt an Wichtigkeit, weil sie Schatten spenden und Wasser verdunsten. Die Stadtgärtnerei pflanzt deshalb seit einigen Jahren exotische Bäume wie Spanische Eichen oder Italienische Erlen, die früher vor allem im Mittelmeerraum wuchsen. Diese Bäume können das trockenwarme Klima besser bewältigen als die Rosskastanien und Platanen.
Die Biodiversität nimmt ab
Die Schnecken auf dem Erlenmattareal gruppieren sich an den Stengeln der Pflanzen, wo sie sich in ihre Häuser zurückziehen und auf den wohltuenden Tau warten. Das ist ein Bild, das man vor allem aus Südeuropa kennt. Nun wenden Schnecken auch bei uns diesen feinen Trick an.
Der Biologe Bruno Baur von der Universität Basel sagt, es sei schwierig, bestimmte Phänomene nur auf die Klimaerwärmung zurückzuführen. Oftmals handle es sich um ein Zusammenwirken verschiedener direkter und indirekter Kausalitäten.
Wie zum Beispiel beim Insektensterben: Unter anderem wegen invasiver Arten, die bei uns auftreten, werden mehr Pestizide eingesetzt, die aber auch gegen heimische Insekten wirken. Die Häufigkeit von bestimmten Insekten – auch heimischen – nimmt deshalb ab.
Kurzfristig könne es durchaus sein, dass die Biodiversität zunehme, sagt Baur. Wegen der Einwanderung von wärmeliebenden Arten werde die Vielfalt langfristig aber stark abnehmen.
«Die enormen Dienstleistungen, welche die Natur aufgrund der hohen Biodiversität heute leistet, werden von Jahr zu Jahr abnehmen.» Wenn heute zum Beispiel ein Käfer wegfalle, gebe es noch fünf alternative Arten, welche die gleiche Leistung übernehmen könnten. In einigen Jahrzehnten ist das aber vielleicht nicht mehr so. Dann gibt es nur noch den einen Käfer, der eine bestimmte Leistung erbringt – und wenn dieser dann verschwindet, fehlt der Natur ein Dienstleister in einem bestimmten Bereich.