Anfang November 1918 blickte mancher Basler Gross- und Kleinbürger besorgt in die Zukunft. Im Jahr zuvor hatten in Russland Bolschewiki und Sozialrevolutionäre die Macht an sich gerissen und die nach der Abdankung des Zaren am 15. März 1917 ans Ruder gekommene provisorische Regierung gestürzt.
Die alte Welt war in Auflösung begriffen: Österreich-Ungarn zerfiel, und in Deutschland musste unter dem Druck der Novemberrevolution der Kaiser den Thron räumen.
Auch im Gebälk des Schweizerhauses hörte man es seit Längerem knacken. Am 30. August 1917 waren in mehreren Städten Zehntausende einem Aufruf der Sozialdemokraten und Gewerkschaften gefolgt. In Basel füllten gegen 20’000 Menschen den Marktplatz und demonstrierten gegen Teuerung und soziale Not.
Mit solchen Demonstrationen konnte man etwas Dampf ablassen, eine Verbesserung der Lage blieb aber aus. Insbesondere die im Oltener Aktionskomitee zusammengeschlossenen Sozialisten und Gewerkschafter wollten das nicht hinnehmen und drohten mit dem Generalstreik.
Als am 7. November der Jahrestag der Oktoberrevolution ins Haus stand, stieg die Nervosität an. Nachdem die Zürcher Regierung am 5. November vom Bundesrat das Aufgebot von Militär zum Ordnungsdienst verlangt hatte, reagierte das Oltener Aktionskomitee am 9. November mit einem eintägigen Proteststreik in 19 Städten.
Um seine sozialen und politischen Forderungen wie Proporzwahl des Nationalrats, Frauenstimmrecht, 48-Stunden-Woche, Ausbau der Lebensmittelversorgung, Alters- und Invalidenversicherung durchzusetzen, rief es am 12. November den Landesstreik aus. Unter dem Druck von massiven Truppenaufgeboten und einem Ultimatum des Bundesrats brach das Oltener Aktionskomitee den Streik am 14. November schliesslich ab.
Bürgerversammlung im Stadtcasino
In Basel lud am Vorabend des Landesstreiks ein bürgerliches Aktionskomitee zu einer gut besuchten Gegendemonstration im Musiksaal des Stadtcasinos ein. Gemäss einem Bericht der «Basler Nachrichten» liessen alle Redner «den Forderungen der Sozialdemokraten volle Gerechtigkeit angedeihen, forderten aber deren Durchführung auf verfassungsmässigem Wege».
Das Aktionskomitee unternahm es «in Verbindung mit der Studentenschaft, die sich hauptsächlich gegen das Treiben der sozialdemokratischen Jungburschen wandte, eine Bürgerwehr» zu organisieren und «garantiert den Geschäftsinhabern, die zum Offenhalten ihrer Geschäfte eingeladen wurden, ausreichenden Schutz». Die Bürgerwehr verstand sich, wie es in einem Text von 1919 heisst, als «politisch und confesionell neutral». Und weiter:
«Wenn sie sich in Bewegung setzt, wird sie nicht bewaffnet auf die Strasse gehen. Ihre besonderen Zwecke aber bestehen statutengemäss darin, bei allgemeiner Ruhestörung, bei allgemeiner Arbeitseinstellung in öffentlichen Betrieben, und bei Landeskatastrophen Hilfsdienste in öffentlichen und privaten Anstalten und Betrieben zu leisten, mitzuhelfen, bedrohtes Hausrecht zu wahren und Arbeitswillige zu schützen.»
Die Bürgerwehr arbeitete eng mit staatlichen Instanzen und dem Platzkommando zusammen. Zudem baute sie auch einen eigenen Nachrichtendienst auf.
Im Einsatz
Als es im Sommer 1919 in Basel erneut zu einem Generalstreik kam, wurde die Bürgerwehr auf dem falschen Fuss erwischt. Ein internes Papier stellt rückblickend stichwortartig fest: «Ausbruch im peinlichsten Moment. Mitten in der Organisation, alles unvollendet, ausser Ordnungsdienst. Ferien, Lücken, Überraschungen.»
Namentlich der Einsatz als Strassenwischer löste eher Heiterkeit aus. Die Basler Arbeiter-Zeitung «Vorwärts» kommentierte die Aktion wie folgt: «Nachdem sich auch die Staatsarbeiter dem Streik angeschlossen hatten, ergab sich für manchen patriotischen Bürger Gelegenheit, selbst auch einmal nützliche Arbeit zu leisten und an der Reinigung der Strassen mitzuhelfen.»
So sei in Kleinbasel ein Mitglied der «Bürgergarde» dabei beobachtet worden, «wie er mit Glacehandschuhen bekleidet die Unratkübel in den Abfuhrwagen leerte».
Neue Gegner
Bis in die1920er-Jahre erwartete die Bürgerwehr den Angriff auf die bürgerliche Ordnung von links. Später ortete sie die Gefahr auch vonseiten der nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz und der Fronten. So heisst es in einem Papier aus dem Jahr 1939 unter der Überschrift «Nachrichtendienst betreffend die Fronten»:
«Das Einfachste wird sein, wenn Angehörige der Bürgerwehr veranlasst werden, den Fronten scheinbar beizutreten und dann zu berichten, was sie dort erfahren. Es müssten ihnen wahrscheinlich lediglich die erwachsenden Kosten und Auslagen vergütet werden. Die sind bei den Fronten nicht hoch: Mitgliederbeiträge und Abonnement der Frontenblätter.»
Beim «Nachrichtendienst über nationalsozialistische Umtriebe» erachtete der Autor des Textes, ein Major Müller, «eine ganz besondere Diskretion und einen besonderen Takt» als unbedingt erforderlich. Die Bürgerwehr-Mitglieder sollten «die Tätigkeit deutscher Vereine aller Art und der mit ihnen befreundeten Schweizer alle Aufmerksamkeit» widmen und «Auffälliges diskret» melden. Dabei sollte es auch möglich sein, «nach und nach genaue Listen der infrage stehenden Personen zu bekommen».
Wann genau der Verein, der sich 1941 in Vaterländischen Hilfsdienst umbenannte, seine Tätigkeit einstellte, liegt im Dunkeln und harrt weiterer Forschung. 1966 wurde sein Vermögen von 200’000 Franken in eine Stiftung gleichen Namens überführt. 1984 riefen mehrere Zeitungsartikel deren Existenz in Erinnerung. Im Privatarchiv PA 370 b A 1 – 4 (2) des Staatsarchivs Basel-Stadt, das zahlreiche Unterlagen zur Basler Bürgerwehr enthält, gibt es eine «Checklist für eine allfällige Liquidation der Stiftung im Jahr 1990».
Im Rahmen der Museumsnacht von Freitag, dem 19. Januar 2018, zeigt das Staatsarchiv Basel-Stadt Archivdokumente zu den Krisenjahren um 1918.