Wie Facebook den Journalismus verändern wird

Jeder dritte Amerikaner konsumiert News auf Facebook. Wenn Facebook seine Algorithmen ändert, hat das einen massgeblichen Einfluss auf den Traffic von Nachrichtenseiten. Der Internetkonzern dreht am grossen Rad.

Jeder dritte Amerikaner konsumiert News auf Facebook. Wenn Facebook seine Algorithmen ändert, hat das einen massgeblichen Einfluss auf den Traffic von Nachrichtenseiten. Der Internetkonzern dreht am grossen Rad.

Facebook ist mit seinen rund 1,3 Milliarden Nutzern das grösste soziale Netzwerk der Welt. Neben dem Aufstieg zum Internetgiganten vollzieht sich noch ein zweiter, auf den ersten Blick weniger sichtbarer Aufstieg: Facebook avanciert zu einem der grössten Akteure der Medienbranche. Laut einer Studie des Pew Research Centers konsumiert bereits jeder dritte US-Amerikaner News über Facebook. Aus der schieren Zahl der Nutzer erwächst eine mediale Macht, die selbst die Strategen in etablierten Medienhäusern erblassen lässt. 

Greg Marra ist der vielleicht mächtigste Mann im News-Geschäft. Zusammen mit einem 16-köpfigen Team bastelt er an dem Computercode, der Updates, Fotos, Videos und all das, was die Nutzer noch so alles posten, steuert. Der 26-Jährige mit den ins Gesicht gekämmten Haaren ist eine typische Figur aus dem Silicon Valley. Fast schon eine Karikatur aus Dave Eggers Roman «The Circle». Wenn Facebook an seinen Algorithmen dreht, hat das massgeblichen Einfluss auf die Traffic-Zahlen. Wie fühlt sich das an, wenn man zwischen Skate-Bahnen im Menlo-Park sitzt und das Gedeihen einer ganzen Branche steuern kann? 

Zwei Entwicklungen zeichnen sich ab. Erstens: Der Traffic von Nachrichtenseiten kommt immer mehr über soziale Netzwerke. Laut der Analytics-Firma SimpleReach werden 20 Prozent des Traffics von Nachrichtenseiten über Facebook kanalisiert. Zweitens: Die Seitenbesuche erfolgen über mobile Geräte. In den letzten Monaten kam jeder zweite Besucher der «New York Times» über Smartphones und Tablets. Denkt man diese Entwicklungen zusammen, folgt daraus, dass man die Leser über die Facebook-App abholen kann. 

Amazon der Zeitungsverlage

Für Zeitungen war ihre Homepage eine Art Schaufenster, das zeigte, was es alles im Angebot gibt. Ein Teil wurde hinter einer Paywall versteckt, der Rest war zugänglich wie in einem Selbstbedienungsladen. Allein, die Leute geben immer weniger www.zeit.de oder www.nzz.ch ein. Digitalstrategen rufen bereits den «Tod der Homepage» aus. 

Facebook wird im News-Geschäft das, was Amazon für den Büchermarkt ist: eine Plattform, die Zugang zu Millionen Konsumenten gibt. Die meisten Nutzer klicken nicht mehr auf die Homepage, sondern werden über soziale Netzwerke auf die Nachrichtenseiten gelenkt. Deren Ergebnisse werden von einem Algorithmus gesteuert. Eine mathematische Formel sagt voraus, was der Leser lesen will. Search and Social, heisst das im Fachjargon. 

«Die Öffentlichkeit betrachtet News als Ware und schaut nicht so sehr auf die Nachrichtenquelle.»
 

Journalismus-Professor John Pavlik

Während traditionelle Medien Probleme haben, Geld im Anzeigengeschäft zu verdienen, generiert Facebook Milliardenumsätze. Allein im dritten Quartal verdiente der Internetkonzern 3,2 Milliarden Dollar mit Werbung. Zwei Milliarden Dollar kommen aus dem mobilen Anzeigengeschäft. Davon können Verlage nur träumen. Facebook tritt den eindrucksvollen Beweis an, dass man im Internet Geld verdienen kann. Für Medienunternehmen ist Facebook so etwas wie der Heilige Gral. Ein Versprechen.

Die Digitalisierung der Medien bietet Chancen. So wie die Musikindustrie keine Alben mehr verkauft, sondern einzelne Songs online, könnten Zeitungen einzelne Stücke im Netz offerieren. John Pavlik, Journalismus-Professor an der Rutgers University in New Brunswick, sagt auf Anfrage: «Die Öffentlichkeit betrachtet News als Ware und schaut nicht so sehr auf die Nachrichtenquelle.»

Digitaler Kiosk

Für Zeitungen ist das eine Chance, ihre «Ware» oder ihr Produkt – recherchierte Beiträge – feilzubieten. Der Kunde klickt die gewünschten Artikel einfach an. Warum eine ganze Zeitung kaufen, von der man ohnehin nur ein paar Artikel liest, wenn man mehrere Artikel aus verschiedenen Blättern lesen kann? Facebook wird zum digitalen Kiosk.

In einer fragmentierten Online-Welt, wo sekündlich Tweets abgesetzt werden, übernimmt Facebook die Rolle des Schleusenwärters. Dahinter steckt zunächst ein funktionales Argument: Vielleicht können ja nur Algorithmen die ungeheuren Datenmengen filtern. Journalisten wären damit überfordert. Man muss das Phänomen von dieser Warte aus betrachten: Was passiert, wenn Facebook bestimmt, was relevant ist? Können Algorithmen Wichtiges von Unwichtigem trennen? Die Relevanzkriterien definiert in erster Linie Facebook. 

Die Verlage begeben sich in Abhängigkeit. Facebook kann Bedingungen diktieren, ähnlich wie Amazon auf dem Buchmarkt.

Als Facebook im Dezember 2013 seine Algorithmen änderte, verzeichneten Online-Dienste wie Upworthy oder Elite Daily einen signifikanten Rückgang ihrer Traffic-Zahlen. Was zeigt: Facebook hat eine immense Hebelwirkung. Die Verlage sind bereits mit dem Internetriesen im Gespräch. Die «New York Times» ist dem Vernehmen nach in Kooperationsverhandlungen.

Auf den ersten Blick profitieren beide Seiten: Facebook kann mehr Geld mit Anzeigen verdienen, die Nachrichtenseiten bekommen mehr Besucher. Doch die Verlage begeben sich in Wirklichkeit in Abhängigkeit. Facebook kann Bedingungen diktieren, ähnlich wie Amazon auf dem Buchmarkt. Mit ein paar Zahlenkombinationen können Marra und sein Team die Leserzufuhr beschleunigen oder ganze Besucherströme versiegen lassen.

Der kürzlich verstorbene Journalist David Carr schrieb in seiner «New York Times»-Kolumne: «Für die Verlage ist Facebook ein bisschen wie der grosse Hund, der im Park auf dich zurennt. Wie so oft ist es schwer zu sagen, ob er mit dir spielen oder dich fressen will.» In dem kreativen, spielerischen Umfeld von Menlo-Park ist nicht klar zu ermessen, ob Facebook nur spielen will oder Fressgelüste hegt. 

Worum es Facebook geht

Facebooks-CEO Mark Zuckerberg sagte kürzlich auf einer Pressekonferenz: «News sind eine grosse Priorität, weil viele Leute sie bereits auf Facebook teilen.» Wenn Zuckerberg von einer «grossen Priorität» spricht, lässt das die Medienhäuser aufhorchen. Die Stossrichtung dieser Aussage ist klar: Facebook will Google das Wasser abgraben. Die beiden Internetgiganten konkurrieren darum, wer News (auch Videoclips) in seinen Bahnen kanalisiert.

Im Februar hat Facebook seine Paper-App lanciert, die Newsfeeds bündelt und den Nutzern Informationshäppchen darreicht. Es ist schon paradox: Ohne Content zu produzieren, wird Facebook ein wichtiger Medienakteur. Facebook will die Nutzer zwar nicht informieren, diesen bildungspolitischen Auftrag verfolgen die Entwickler dann doch nicht. Aber sie wollen, dass die Nutzer so lange wie möglich auf Facebook bleiben. 

Von Facebook lernen

Je mehr Daten Facebook hat, desto besser funktionieren die Algorithmen und desto präziser kann der Konzern Anzeigen schalten. Facebook erreicht fast ein Fünftel der Menschheit. «Die Implikationen sind gewaltig», sagt Journalismus-Professor Pavlik. «Die traditionellen Medien sollten nicht nur die substanzielle Rolle von Social Media bei der Verbreitung von News erkennen. Sie sollten auch in Betracht ziehen, wie man effektiv Datenalgorithmen nutzt, um massgeschneiderte News via Social Media an die Leserschaft zu transportieren.»

Pavlik schätzt, dass Daten und Algorithmen künftig eine massgebliche Rolle im Nachrichtengeschäft spielen werden. Das Problem ist, dass sich die grossen Verlagshäuser nicht kurzerhand in ein neues Facebook verwandeln können. Sie brauchen das soziale Netzwerk als Absatzmarkt für ihre Produkte. Facebook wird den Journalismus sicher nicht auffressen. Aber für eine Konzentration am Medienmarkt sorgt es schon jetzt.

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