«Wie Scientology mit ihren Mitgliedern umgeht, ist nach wie vor problematisch»

Scientology sei stark unter Druck geraten, erklärt Sekten-Fachfrau Susanne Schaaf im Interview. Auch der neue Hauptsitz in Basel werde daran nicht viel ändern. Selbst treue Scientology-Mitglieder würden sich weigern, für die Sekte zu arbeiten.

«In der Schweiz funktioniert das nicht»: Sekten-Fachfrau Susanne Schaaf ist skeptisch, ob Scientology in Basel der Befreiungsschlag gelingt. (Bild: Sabine Rock)

Scientology sei stark unter Druck geraten, erklärt Sekten-Fachfrau Susanne Schaaf im Interview. Auch der neue Hauptsitz in Basel werde daran nicht viel ändern. Selbst treue Scientology-Mitglieder würden sich weigern, für die Sekte zu arbeiten.

Seitdem bekannt wurde, dass Scientology in Basel einen neuen Hauptsitz plant, recherchiert Susanne Schaaf zur neuen Ideal Org der Sekte. Die Geschäftsführerin der Zürcher Anlaufstelle infoSekta hat dazu Gespräche mit Aussteigern wie mit aktiven Mitarbeitern geführt. Zu ihr gelangen immer wieder auch verzweifelte Familienangehörige von Scientology-Mitgliedern.

Frau Schaaf, was will Scientology mit dem neuen Zentrum in Basel erreichen?

Die Ideal Org ist ein Repräsentationsgebäude, mit dem Scientology die eigene Bedeutsamkeit demonstrieren, aber auch Meinungsführer und Prominente ansprechen will. Das Ziel von Scientology lautet: Clear Switzerland. Dahinter steckt eine Direktive, die aus den USA kommt und verlangt, möglichst viele Ideal Orgs zu errichten. Die Bedeutung davon hat Sektengründer L. Ron Hubbard so beschrieben: «Man könnte diese Ideale Org anschauen und wissen, dass dies der Ort ist, an dem eine neue Zivilisation für diesen Planeten geschaffen wird.»

Susanne Schaaf leitet seit über zehn Jahren die Zürcher Beratungsstelle infoSekta. Sie war bereits am Aufbau der NGO beteiligt, die zu einem Drittel vom Kanton Zürich zu zwei Dritteln aus Spenden finanziert wird. Daneben ist Schaaf Forschungsleiterin am Schweizer Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung.

Kann Scientology durch den neuen Tempel an Attraktivität gewinnen?

Ich glaube nicht, dass das in der Schweiz funktioniert. Wenn ein Prominenter mit Scientology in Kontakt tritt, wird das sofort von den Medien aufgegriffen. Auch wenn eine Gemeinde beispielsweise Scientology dazu einladen würde, über Drogenprävention zu sprechen, wäre das ein Thema. Scientology hat ein schlechtes Image, begründetermassen, viele Dinge laufen schief. Die Organisation leidet unter Mitgliederschwund und hat Mühe, genügend Personal zu finden. Die Ideal Org in Berlin ist nur teilweise ausgelastet. In Basel sucht man 100 Mitarbeiter, doch die Rekrutierung verläuft harzig. Selbst Mitglieder, die seit Jahren dabei sind und sich mit Scientology identifizieren, wollen die Vereinbarungen, eine Art Arbeitsvertrag, nicht unterschreiben.

Weshalb nicht?

Die Vereinbarung ist für Mitarbeitende inakzeptabel: Sie unterschreiben, dass sie keinen Anspruch auf einen Mindestlohn haben, wöchentlich erhalten sie zwischen 30 und 50 Franken, auch zahlt die Ideal Org keine Sozialversicherung. Neben dem Engagement für die Org müssen die Mitarbeitenden einem regulären Job nachgehen, um über die Runde zu kommen. Von ihnen wird maximale Selbstausbeutung verlangt. Die Belastung ist sehr gross.

«Die Leute fallen nicht mehr so einfach auf Scientology herein.» 

Früher waren Scientologen aufdringlich, haben auf der Strasse Passanten bedrängt. Heute geben sie sich offen, einladend, zugänglich. Versucht Scientology einen Imagewandel?

Ja, das ist offensichtlich. Jürg Stettler beispielsweise, Pressesprecher für Scientology Schweiz und Deutschland, spricht sehr ruhig, wirkt beherrscht und zurückhaltend. Doch was das Innenleben der Gruppe betrifft, hat sich nichts verändert. Wie Scientology mit ihren Mitgliedern umgeht, ist nach wie vor hoch problematisch. Viele werden finanziell ausgebeutet und kommen an ihre psychischen Grenzen. Familien werden durch die Mitgliedschaft eines Angehörigen zerrissen.

Man hört immer wieder von Fällen, wo Kinder ihre Eltern verstossen oder ein Ehepartner den anderen – nur weil diese genug vom Ganzen haben. Für Aussenstehende ist das kaum nachvollziehbar.

Scientologen bewegen sich in einer Art Parallelwelt, ihre Werte und Einstellungen haben sich aufgrund der sozialen Beeinflussung verschoben. Das ist für Aussenstehende schwer nachvollziehbar, aber so funktionieren sektenhafte Gruppen mit ihrem Schwarz-Weiss-Bild generell, auch die Zeugen Jehovas zum Beispiel. Es gibt keine Durchlässigkeit zwischen der Sekten- und der Aussenwelt, keinen echten Dialog. Du bist entweder drinnen oder draussen, gerettet oder verloren. Der Graben zwischen Innen- und Aussenwelt macht es Ausstiegsunsicheren auch so schwierig, Scientology zu verlassen. Wer aussteigen will, weiss, wie hoch der Preis dafür ist. Unter Umständen verliert man sein soziales Umfeld und oft auch die Familie.

«Viele ‹klassische› sektenhafte Gruppen haben Mühe. Die Angebote von evangelikalen Freikirchen sind besser auf die Bedürfnisse in der heutigen Zeit zugeschnitten.»

Schadet das schlechte Image Scientology in der Schweiz?

Ja, die Bevölkerung ist mittlerweile sensibilisiert. Im Internet, in den Medien stösst man auf unzählige kritische Texte und Aussteiger-Blogs, die die Praktiken von Scientology offenlegen. Die Leute fallen nicht mehr so einfach auf Scientology herein. Das grosse Versprechen, dass mit der scientologischen Technologie eine Art Übermensch geschaffen werden kann, der nicht mehr krank wird, keine psychischen Beschwerden mehr hat, alle Lebensprobleme meistert, kann nicht eingelöst werden.

Von wem wird Scientology verdrängt?

Viele «klassische» sektenhafte Gruppen haben Mühe, nicht nur Scientology. Auch die Hare-Krishna-Bewegung oder die Vereinigungskirche haben die «besten Zeiten» hinter sich. Probleme ergeben sich heute oft bei kleineren esoterischen Gruppen oder evangelikalen Freikirchen. Deren Angebote sind auf die Bedürfnisse in der heutigen Zeit zugeschnitten. Sie sind nicht mehr so plump rigid, sondern vordergründig offener und individueller. Zu Beginn heisst es, alles sei freiwillig, man wähle selber. Mit der Zeit wird klar, dass schliesslich doch ein kosmisches Gesetz unerbittlich wirke, dass der Einzelne seiner göttlichen Bestimmung folgen müsse oder dass der Anbieter spirituell fortgeschrittener sei und daher besser als der Klient wisse, wo es durchgeht. Die vielen Kleingruppen, die infoSekta beschäftigen, sind in ihrer Auswirkung nicht weniger problematisch. Betroffene, die sich an uns wenden, erzählen teilweise ebenso ungeheuerliche Erlebnisse, wie sie von Scientology-Aussteigern zu hören sind.

Die Fragmentierung macht die Präventionsarbeit nicht einfacher.

Der Weltanschauungsmarkt mit seinen unzähligen Gruppen und Grüppchen ist tatsächlich unübersichtlich geworden, man kann sagen pulverisiert, zersplittert. Das Internet leistet hier aber gute Dienste: Zu vielen problematischen Organisationen findet man warnende Blogs oder Artikel.

Das Internet erleichtert aber auch die Rekrutierung von Neumitgliedern.

Ja, der Webauftritt vieler Gruppen ist sehr professionell. Das Internet hat in beide Richtungen den Markt verändert.

Nächster Artikel