Wiedemanns Schülerinnen treiben die Baselbieter Bildungspolitik vor sich her

Zwei ehemalige Schülerinnen von Jürg Wiedemann führen das Komitee Starke Schule Baselland. Sie kämpfen mit Halbwahrheiten und Ängsten gegen Bildungsreformen.

Alina Isler (links) und Saskia Olsson in der Zentrale des Komitees, im Haus von Jürg Wiedemann.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Zwei ehemalige Schülerinnen von Jürg Wiedemann führen das Komitee Starke Schule Baselland. Sie kämpfen mit Halbwahrheiten und Ängsten gegen Bildungsreformen.

Manchmal vergisst Alina Isler, dass Jürg Wiedemann nicht mehr ihr Lehrer ist. Sie sagt dann «Herr Wiedemann» und lacht im nächsten Moment. «Ich meine natürlich Jürg.» Beim Gespräch mit Alina Isler und Saskia Olsson, die das Komitee Starke Schule Baselland vertreten, ist Wiedemann omnipräsent – und das nicht nur, weil wir uns im Privathaus des Landrats und Komitee-Gründers treffen. Es sind seine ehemaligen Schülerinnen, die jetzt für ihn kämpfen und seine Argumente wiedergeben.

Wiedemann lehnte die Anfrage der TagesWoche für ein Porträt ab. Mit der Begründung, seine politische Karriere gehe dem Ende zu. Deshalb schickt er Isler und Olsson vor. Sie seien im Komitee «weitgehend federführend».

Die 19-jährige Isler und die 23-jährige Olsson sind es denn auch, die auf die Strasse gehen, Unterschriften sammeln, Pressekonferenzen geben. Und damit die Agenda der Baselbieter Bildungspolitik bestimmen. 

Couverts kleben und Communiqués schreiben

Angefangen habe alles mit einem Ferienjob, erzählt Isler: Couverts kleben für Wiedemanns Komitee. Danach habe sie Wiedemann gefragt, ob er einen Job vermitteln könne, worauf dieser Isler kurzerhand im Komitee beschäftigte. Das war 2013.

Erst nach einiger Zeit habe sie sich auch mit den Inhalten auseinandergesetzt. Und sie fand: Ihr ehemaliger Lehrer kämpft für die richtige Sache. Also begann sie, Communiqués zu verschicken, an Medienkonferenzen aufzutreten – aus Überzeugung, wie sie sagt.

Olssons Engagement begann mit dem Auftritt auf einer Medienkonferenz 2011. Das Komitee hiess damals noch Gute Schule Baselland und kämpfte gegen übergrosse Schulklassen. Olsson war zu dieser Zeit 18 Jahre alt und am Gynmnasium. Sie sollte an der Medienorientierung aus Schülerinnen-Sicht beschreiben, warum grosse Schulklassen keinen guten Unterricht gewährleisten.




Alina Isler: «Jeder war einmal in der Schule und kann deshalb etwas zum Thema sagen.» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Später bewarb sie sich für eine Stelle im Sekretariat des Komitees. Wiedemann bot Olsson die Stelle als Geschäftsführerin, die sie gleich annahm.

Fortan war sie das neue Gesicht des Komitees. Die «Basler Zeitung» beschrieb sie 2013 als «Der blonde Albtraum des Bildungsdirektors». Seither gibt sie regelmässig Interviews und weibelt im Kampf gegen den Lehrplan 21.

Die Kunstgeschichte-Studentin spricht dabei wie ihr ehemaliger Lehrer. Ihre Argumentation, die sich in der Wortwahl meist mit Wiedemann überschneidet, geht so: Kompetenzorientierung ist Wischiwaschi, mit Sammelfächern werden Lehrer zu Allroundern, das führt zu Bildungsabbau.

Halbwahrheiten und Grundsatzkritik

Am 5. Juni stimmte die Baselbieter Wahlbevölkerung über zwei Initiativen des Komitees und entschied: Sammelfächer soll es in Baselland nicht geben. Ein Teilerfolg für Wiedemann und seine Mitstreiter. Doch statt den Erfolg zu geniessen, kündigte das Komitee eine neue Initiative an: Stoffinhalte statt Kompetenzen, so die Forderung. Es ist die zwölfte Initiative in vier Jahren.

Vor drei Wochen reichten Isler und Olsson die erforderlichen Unterschriften ein. An der Medienorientierung im Liestaler Regierungsgebäude gaben sie dann ein Best-of ihrer Bildungskritik: Lernlandschaften, Kompetenzen und überhaupt alles, was neu sein soll in der Schule, soll weg.

Um ihre Argumente zu untermauern, scheuten Isler und Olsson auch nicht vor Halbwahrheiten zurück. Die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) habe laut dem Komitee «im stillen Kämmerlein den Lehrplan 21 entwickelt» – eine sehr eigenwillige Interpretation. Denn die Deutschschweizer Erziehungsdirektorenkonferenz plante und erarbeitete den neuen Lehrplan über elf Jahre hinweg, hielt dabei Fachhearings ab und schrieb den Lehrplan mehrmals um.

Lernlandschaften – eine Horrorvorstellung

Eine weitere Behauptung von Olsson an der Medienorientierung ging so: Im Lehrplan 21 stehe zweimal das Wort Pythagoras. «Aber es steht nicht konkret, dass man die drei Sätze des Pythagoras lernen muss.» Deshalb brauche es ihre Initiative.

Ein Blick in den Lehrplan zeigt: Olssons Aussage ist falsch. Im Lehrplan steht ausdrücklich, dass Schülerinnen und Schüler den «Satz des Pythagoras» kennen müssen.

Auch beim Thema Lernlandschaften arbeiten Isler und Olsson mit Halbwahrheiten. Sie projizierten ein Bild an die Wand, das ein Grossraum-Klassenzimmer zeigt. Hier sollen bis zu 70 Schülerinnen und Schüler an abgetrennten Pulten sitzen und für sich alleine lernen, erklärte Olsson. Selbstgesteuertes Lernen – laut dem Komitee eine Horrorvorstellung.

Vermischte Zusammenhänge

Woher das Bild stammt, konnten sie jedoch nicht sagen («Wir haben es aus dem Internet»). Die Aussage, dass bis zu 70 Schülerinnen und Schüler darin unterrichtet werden, ist nicht richtig. Es gebe zwischen 60 und 70 Arbeitsplätze in einem solchen Lernatelier, sagt Thomas von Felten, der Schulleiter der Prattler Sekundarschule, wo diese Unterrichtsform existiert. Es würden aber höchstens 40 Schülerinnen und Schüler gleichzeitig im Raum sitzen.

Das Beispiel zeigt, wie das Komitee Zusammenhänge vermischt. An der Medienkonferenz wurden Lernlandschaften als Beispiele erwähnt, was mit dem Lehrplan schieflaufe. Im Lehrplan 21 steht jedoch kein Wort zu Lernlandschaften. Isler und Olsson beziehen sich auf ein Grundlagenpapier aus dem Jahr 2010, das jedoch keinen Bezug zum heutigen Lehrplan 21 oder zu Harmos hat.




Schülerinnen und Schüler, die selbstorganisiert lernen: Für Saskia Olsson eine Horrorvorstellung. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Wer den Erfolg des Komitees verstehen will, muss auch Wiedemann und seine Rolle verstehen. Die «Zeit» bezeichnete ihn als «Enfant terrible aus dem Baselbiet», die BaZ schrieb, er habe die «Unberechenbarkeit im Blut». 2014 verglich Wiedemann eine Massnahme der Bildungsdirektion mit «DDR-Arbeitsbrigaden». In Interviews spricht er von «unsäglichen Reformen» und konstantem «Bildungsabbau».

Die Fakten entstellt Wiedemann bis ins Unkenntliche. Zum Beispiel wenn er von sich selbst als Harmonisierer spricht, der Baselland mit seinen Initiativen nicht isoliere, sondern an die umliegenden Kantone angleiche.

Auch bei der Interpretation der Umfragen, die das Komitee lancierte, dreht Wiedemann so an den Zahlen, bis diese seinen Vorstellungen entsprechen.

Gschwind braucht Extremposition

Speziell ist sein Verhältnis zur Bildungsdirektorin Monica Gschwind. Der Querulant mischte den Wahlkampf 2014 auf, als er als Grünen-Landrat die freisinnige Monica Gschwind unterstützte. Sein Engagement führte zur Gründung der Splitterpartei «Grüne Unabhängige», die mittlerweile vor dem Aus steht.

Das Komitee steht nun im Clinch mit Gschwind, weil es immer neue Initiativen lanciert – obwohl Wiedemann in Gschwinds Marschhalt-Gruppe sitzt und das Komitee alle drei Monate eine Audienz bei der Bildungsdirektorin geniesst. Die «Basellandschaftliche Zeitung» vermutet, Gschwind brauche die Extremposition der Starken Schule taktisch, um mit der SP Kompromisse zu schliessen, die in ihrem Sinn sind.

Das ist eine Erklärung, weshalb das Komitee im Landkanton so viel Gewicht erhält. Eine weitere ist, dass das Komitee mit seinen zugespitzten Thesen einen Nerv in der Bevölkerung trifft.

Isler, die gerade das Gymnasium abgeschlossen hat und Medizin studieren will, sagt: «Jeder war einmal in der Schule und kann deshalb etwas zum Thema sagen.»  Für sie ist es ein Vorteil, dass sie beide noch jung sind: «Wir sind näher am Schulleben dran.»

So führen Wiedemanns Schülerinnen nun seinen Kampf gegen den Lehrplan fort.

Nächster Artikel