Die Zivilisation frisst den Lebensraum vieler Wildtiere auf. Doch manche von ihnen finden mittlerweile Gefallen am urbanen Leben.
In der Nacht des 28. April 2013 sass ein Biber vor dem Eingang des Basler Zolli. Ein Nachtwächter dachte, bei dem Plattschwanz handle es sich um ein ausgebüchstes Zootier, und liess ihn herein.
Was immer den Biber in den Zolli gelockt hatte, Heimweh war es nicht, denn es handelte sich um ein Wildtier, vermutlich aus der Birsig. Dem Tier gefiel es offenbar im Zolli. Unverzüglich begann er sich häuslich einzurichten, wie die Zoomitarbeitenden an angenagten Bäumen, Asthaufen und anderen Spuren der Vorbereitungsarbeiten zum Dammbau feststellen mussten.
Einige Tage später wurde der Eindringling von einem Wärter bei seinem emsigen Treiben gesichtet. Nach einer aufwendigen Suchaktion wurde das Tier am 6. Mai eingefangen und in einem nahe gelegenen Bibersiedlungsgebiet freigelassen. Die Basler Biberposse zeigt, wie flexibel manche Wildtiere bei der Wahl ihres Habitats sein können.
Vom Familiengarten zur Futtersuche in die Stadt
In den letzten Jahren haben Wildbiologen herausgefunden, dass manche Grossstädte eine grössere Artenvielfalt aufweisen als landwirtschaftlich genutzte Gebiete. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der äusserst seltene Wanderfalke (gemessen an Exemplaren pro Quadratkilometer) am häufigsten in New York City vorkommt? In Berlin und Hannover lassen Wildschweine mittlerweile mitten im Stadtgebiet die Sau raus.
Solche Zustände drohen in Basel laut Sandro Gröflin, Wildtierbiologe und Geschäftsführer der Basler Wildtierforschung, kaum. «Wildschweine hat es bei uns momentan nur in den Wäldern von Riehen und Bettingen. Die Stadt Basel bietet grösseren Säugetieren keinen geeigneten Lebensraum. Berlin und New York, ja schon Zürich sind grosse Städte mit riesigen Parks, Wäldern und Seen.»
Füchse wie Pendler
Über das kleine, dichtbebaute Basel dürften daher die meisten grösseren Vögel hinwegfliegen. Nicht aber der kleine Turmfalke, der als Felsenbrüter im Stadtgebiet noch genügend Brutmöglichkeiten und Futter findet.
Nächtliche Begegnungen mit Käuzen und Schleiereulen sind insbesondere im St. Johann schon fast normal. Marder sieht man beinahe so oft wie Katzen. Im Verborgenen treibt Reineke Fuchs sein Unwesen. Allerdings sind die Basler Stadtfüchse Pendler im eigentlichen Sinne. «Die meisten Füchse haben ihre Bauten in umliegenden Grünzonen oder Familiengärten und kommen nachts in die Stadt zur Futtersuche», sagt Sandro Gröflin.
Doppelt so viele Arten wie auf dem Land
Laut dem wissenschaftlichen Kompetenzzentrum Biodiversity Schweiz, das seit gut zehn Jahren zum Thema Biodiversität forscht, belegen mehrere Studien, dass sich in städtischen Siedlungsräumen eine ganz eigene, charakteristische Lebensgemeinschaft von Tieren und Pflanzen entwickelt hat und weiter entwickelt.
Weitere Informationen
Fledermausbeobachtung
Freitag, 13. 06. 2014, ab 21.00 Uhr
Infrarot-Live-Übertagung aus der Wochenstube der Grossen Mausohren, Baselstrasse 30, Zwingen: Einblicke in die Kinderstube der Grossen Mausohren. www.fledermaus.ch
Das dichte Nebeneinander von Gärten, Park- und Friedhofanlagen, Bachufern, Sportplätzen, Schotterplätzen, Bahnanlagen, Schutthalden und Mauerritzen bietet unterschiedlichsten Tieren und Pflanzen ideale Lebensbedingungen. Allein in Zürich ermittelte der emeritierte ETH-Professor Elias Landholt 1211 Pflanzenarten. Das sind fast doppelt so viele wie auf einem land- und forstwirtschaftlich genutztem Gebiet von ähnlicher Grösse im Mittelland.
Auch bedrohte Arten finden in der Stadt Zuflucht. Allein auf dem Gelände des ehemaligen Rangierbahnhofs der Deutschen Bahn im Basler Norden haben über 100 bedrohte Tier- und Pflanzenarten Zuflucht gefunden. Darunter die Sandschrecke, die Blauflügelige Ödlandschrecke und die Italienische Schönschrecke. Des Weiteren findet man hier sogar Schlingnattern und die vom Aussterben bedrohte Westliche Smaragdeidechse, die viele Zeitgenossen ihr Lebtag noch nicht in freier Wildbahn gesehen haben.
Die Rabenkrähe als Wecker
Wenn man in Kleinhüningen erzählt, dass die Saatkrähe noch vor wenigen Jahren vom Aussterben bedroht war, tippt man sich an den Kopf. «Ein grosser Teil der Rastatterstrasse ist für Menschen kaum noch benutzbar», klagt eine Anwohnerin. Die dortige Krähenkolonie hat die Allee weitgehend okkupiert.
Relativ neu ist die wachsende Population von Aas- oder Rabenkrähen. Diese deutlich grössere, nur paarweise nistende Krähenart ist noch nicht lange als Kulturfolger bekannt. Die prachtvollen Vögel mit dem typisch kräftigen schwarzen Schnabel haben lieber ihre Ruhe und zeigen ein ausgeprägtes Revierverhalten. In der freien Natur sind das oft ganze Täler, in der Stadt gibt sich ein Rabenkrähenpärchen mit einem Hinterhof zufrieden. Dort nerven die gefiederten Siedler zwar die Anwohner, halten diesen aber Tauben und zeternden Saatkrähenschwärme vom Hals. Und das Männchen, das im Morgengrauen lautstark in alle vier Himmelsrichtungen krakeelt, erspart den Hahn oder Wecker.
Dank der Renaturierung der Wiese, in der es mittlerweile wieder kapitale Forellen gibt, tummeln sich am Ufer und im Wasser nicht mehr nur die immer gleichen Stockenten. Heute entdeckt man manchmal auch den Schwarzweissen Gänsesänger, die Brandente und die hübsche (und schmackhafte) Krickente sowie zahlreiche Taucher, Reiher. Wenige Hundert Meter entfernt leben Störche, die statt gegen Afrika zu ziehen, im Zolli überwintern. Selbst Kanada-, Grau- und ägyptische Wildgänse werden regelmässig gesichtet.
«Nur einige Tierarten profitieren vom städtischen Lebensraum. Viele Tierarten leiden nach wie vor unter der Landschaftszerstörung.»
Basel ist für viele Wildtiere besonders attraktiv. Giebeldächer und Hohlräume in Brücken oder Getreidesilos, ja sogar Storenkästen und unsorgfältig verlegte Wärmedämmungen bieten Nist- und Brutplätze für Segler, Schwalben und Fledermäuse, die quasi als Saisoniers mit Familiennachzug in der Stadt leben.
Durch das spezielle Klima und die Bodenbeschaffenheit fühlen sich am Rheinknie Tier- und Pflanzenarten wohl, die es heiss und trocken mögen. Aber auch solche, die eher in Feuchtgebiete gehören. Doch herrscht in der Stadtbiologie laut Sandro Gröflin nicht nur eitel Sonnenschein: «Nur einige Tierarten profitieren vom städtischen Lebensraum. Viele Tierarten leiden nach wie vor unter der ständigen Landschaftszerstörung.»
Einige dieser Probleme wären allerdings recht einfach zu lösen. Biodiversity Schweiz fordert eine systematische Begrünung der Flachdächer mit Schotterwiesen. In Basel machen Flachdächer immerhin zehn Prozent der gesamten Brachfläche aus. Sie wären nicht nur wertvolle Lebensräume, sondern «Trittsteine» für die Tiere von einem Biotop ins andere – und sie würden laut Biodiversity das Klima der Stadt deutlich verbessern.
Die TagesWoche hat in einer Serie die häufigsten Exoten in der Stadt porträtiert. Eine Übersicht: