Willi wills konkret

Im Hafen ist eine hässliche Brache zu einer grünen Oase geworden. Manche würden den «Freisitz» einen Freiraum nennen. Willi meidet den Begriff, lieber greift er zur Schaufel.

…zusammen mit vielen Helfern hat er am Klybeckquai eine grüne Oase gebaut. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Im Hafen ist eine hässliche Brache zu einer grünen Oase geworden. Manche würden den «Freisitz» einen Freiraum nennen. Willi meidet den Begriff, lieber greift er zur Schaufel.

Es klingt recht spiessig: ein Gärtchen mit Tomaten, Salat und Kräutern, daneben ein Geräteschuppen und ein Sitzplatz im Schatten. Aber Willi sieht nicht aus wie ein Spiesser: meist in Schwarz gekleidet, die Frisur eine eigenwillige Mischung zwischen Dreadlocks und struppigem Kurzhaarschnitt. Das Käppchen hat schon bessere Tage gesehen, auf einem Aufnäher steht «dismami».

Willi ist sozusagen der Obergärtner im «Freisitz», einem Zwischennutzungsprojekt auf der Klybeckhalbinsel. Angefangen hat es mit ein paar Stoffsäcken voll Erde und einigen Setzlingen. Das Grünzeug hat Wurzeln geschlagen und der 27-jährige gelernte Landschaftsgärtner auch, gleich neben der Marina-Bar auf der nördlichsten Fläche der Zwischennutzung im Hafen.

Die Pflanzsäcke fallen kaum noch auf, unbeachtet und mit Unkraut durchsetzt stehen sie im Schatten des Geräteschuppens auf dem frisch angelegten Kiesweg. Den Schuppen haben Willi und einige Kumpel aus alten Brettern gebaut, die sie im Hafen gefunden haben. Material, das wie fast alles hier nach gängigen Standards als Abfall gelten würde.

Willi nimmt alles

Nötig wurde der Schuppen, um das immer umfangreichere Werkzeugarsenal unterzubringen: Kettensäge, Schweissmaschine, Schaufeln noch und nöcher. Das ganze Werkzeug wurde Willi zugetragen. Willi nimmt alles, was noch brauchbar ist. Jemand kommt und sagt: «Ich habe noch zwei EV-Boxen rumliegen, wollt ihr die?» «Ja klar», kommt unverzüglich die Antwort. Was eine EV-Box sei, fragt der Laie. «Keine Ahnung», sagt Willi. Liegt der Krempel dann da, findet sich immer eine Idee für die Verwendung. «Aus Scheisse Gold machen» ist Willis Leitgedanke – der sich auch als T-Shirt-Aufdruck eignen würde.

Willi zeigt seinen jüngsten Fang, ein in die Jahre gekommenes Tribünengerüst samt Sitzflächen aus Holz. Willi und Jens sehen in den Stangen und Brettern einen «Affenfelsen», eine begrünte und erhöhte Sitzgelegenheit mit Blick auf die Rollbrettler, die in der Betonbowl «Portland» ihre Kunststücke zeigen.

Jens ist einer von vielen, die Willi hier zur Hand gehen. Ein Architekt, der nach Büroschluss gerne in Hemd und feiner Jeans mit Baugerät hantiert. «Weil es sich gut anfühlt, etwas zu kreieren», lautet seine lapidare Begründung. Und weil das «Arbeiterbier» noch besser schmeckt, wenn das beschlagene Glas die Schwielen an den Händen kühlt. Pointen feiern die beiden mit einem Highfive, ob gelungen oder nicht.

Robinsonspielplatz für Grosse

Ausgerüstet mit einer grossen Portion Selbstironie und frei von Berührungsängsten mit kleinlichen Bauvorschriften haben Willi, Jens und viele andere hier am Klybeckquai eine grüne Oase aufgebaut, eine Art Robinsonspielplatz für Grosse. Und sie sind noch lange nicht fertig damit. Kein Gärtchendenken, beim «Freisitz» ist Einmischung erwünscht. Willi freut sich über jede gute Idee, über jede Hand, die anpacken will. Auch wenn er sich selbst nicht ganz erklären kann, wie sein Pflanzplatz so zum Selbstläufer werden konnte. «Es besteht ganz offensichtlich eine grosse Nachfrage für einen solchen Ort», sagt er. Das längst ausgehöhlte Schlagwort «Freiraum» mag er nicht verwenden, ebensowenig wie er sich mit der politischen Diskussion über sein Tun beschäftigen mag.

Seinen Garten stellt Willi einer Schulklasse aus dem Gellert für den wöchentlichen Biologie-Unterricht zur Verfügung. Die Kinder ziehen Karotten und Zucchini und haben ein Holzhäuschen für Wildbienen gebaut. Selbst während den Sommerferien seien ein paar der Schüler regelmässig vorbeigekommen, erzählt Willi. Im Geräteschuppen wird unter dem Namen «Porto Bello» vegetarisch gekocht. Eine «Volksküche»: Essen gegen Spenden.

Do-it-yourself in seiner reinster Form

Willis grosse Stärke ist wohl, Dinge aufzubauen und dann aus der Hand zu geben. Im Vertrauen darauf, dass dabei etwas Gutes entsteht. Es ist eine erfrischende Haltung, Dilettantismus voller Zuversicht. Einfach so mal mit etwas anzufangen, ohne zu wissen, wie das Ergebnis aussieht. Keine Konzepte, keine Visualisierungen, keine Powerpoint-Folien. Do-it-yourself in seiner reinsten, anarchischen Form. Die beim «Freisitz» nennen sich die Macher unter den Zwischennutzern.

Auch mit diesem Begriff bekundet Willi Mühe, schliesslich sei ohnehin alles bloss vorläufig und weitgehend dem Zufall unterworfen. Er mag sie nicht, die Meta-Fragen, die Journalisten gerne stellen, sieht den Zweck wortreicher Diskussionen nicht. Willi wills konkret, er war schon immer ein Macher.

Früher zog er beispielsweise mit einem umgebauten Einkaufswagen von Party zu Konzert zu Festival. Darin eingebaut hatte es eine Musikanlage, Licht und Nebel, eine Bar mit nur einem Drink im Angebot: Wodka mit Tomatensaft und grosszügig Tabasco. Etwas eklig, wie er selbst zugibt, «aber die Leute lieben es». Die «Unbrauchbar» wird für Veranstaltungen gebucht. Die Drinks sind gratis, wer will, kann spenden. Fixe Preise oder gar ein Honorar würden nicht zu Willis Punkrock-Ding passen. Er hält sich mit Gärtnerarbeiten über Wasser und zapft bisweilen Bier hinter der Marina-Bar.

Missverständnisse am Anfang

Manchmal muss er den Leuten erklären, weshalb es keinen Latte Macchiato gibt. Ohnehin seien sie am Anfang oft missverstanden worden, erzählt Jens. Viele Besucher dachten wohl: Zwischennutzung = nt/Areal. «Diese Hoffnung auf Party und bunte Drinks, laute Musik und Ausgelassenheit mussten wir enttäuschen.» Wer bloss konsumieren will, nehme den Weg zum «Freisitz» und zur Marina-Bar nur einmal auf sich, sagt Jens.

In dieser Haltung sind sie konsequent. Sie nehmen in Kauf, dass damit Kunden vergrault werden könnten, weil diese bisweilen auch vor Mitternacht durstig wieder abziehen müssen oder ihre Rufe nach musikalischer Beschallung ungehört bleiben. Manche Wünsche erfüllen sie hingegen gerne. Als jemand bemerkte, zur Vollendung der romantischen Atmosphäre würde einzig noch das Gezirpe von Grillen fehlen, gingen Willi und Jens am andern Tag zur Tierhandlung und kauften ein Dutzend Grillen. Seither stimmen Bild und Ton überein.

Willi untergräbt Erwartungen gerne mit Ironie. Seinen Geräteschuppen hat er mit einem Schild versehen. Hochoffiziell mutet sie an, die Parodie einer Baupublikation: gez. Kultur- und Freirauminspektorat. Noch ein Beispiel? Anfang Jahr standen auf der Kiesfläche ein paar rote Container herum, unbenutzt, unnütz. Irgendwann gingen ihm die Fragen nach dem Zweck dieser Ungetüme aus Stahlblech auf den Geist. Also rief er eine Vernissage aus, komplett mit Prosecco und Speckgugelhopf. Ungefähr 30 Leute folgten der Einladung und lies­sen sich von ihm die Kunstinstallation mit dem Titel «Neokubismus» erklären. Scheisse, vergoldet.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 30.08.13

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