Von hinten oder verpixelt, Hauptsache unkenntlich. In einer Zeit, in der sich alle dauernd selber fotografieren, wird es immer schwieriger, Bilder für die Publikation in einem Medium zu schiessen.
Es gab eine Zeit, da freuten sich die Menschen, wenn sie in der Zeitung kamen. Amateurfussballer strahlten auf dem Mannschaftsbild, Chüngelzüchter aus dem Artikel über den Preisgewinn und Büezer beim Bericht zum Dienstjubiläum. Wer in der Zeitung stand, war jemand und zeigte die herausgerissene Seite gern im Bekanntenkreis herum.
Heute fotografieren alle – überall, immer und alles. Die Fotos werden gepostet, auf Facebook geteilt und den Liebsten gemailt. Das machen wir vor den Augen der Überwachungskameras, im Tram, auf Plätzen vor Schaufenstern. Ich knipse (oder werde geknipst), also bin ich. So weit hat sich wenig geändert.
Ich knipse (oder werde geknipst), also bin ich.
Doch inmitten aller Fotografiererei passiert manchmal etwas Unerhörtes: Da knipst ein Profi, vielleicht hat er eine grössere Kamera, vielleicht sieht man ihm seine professionellen Absichten an, und dann: grosses Entsetzen! «Haben Sie eine Bewilligung?» «Wo werden diese Bilder publiziert?» «Haben Sie etwa mich fotografiert?» Es ist eine Mischung aus Angst und Hass, die den Fotophobisten in einen schimpfenden und drohenden Wüterich verwandelt.
Heute kommt es häufig vor, dass ein Hobby- oder ein Profifotograf beim Aufstellen eines Stativs von der Polizei oder auch von privaten Ordnungskräften weggewiesen wird. Handknipsen o.k., aber für bessere Aufnahmen braucht es immer öfter eine Bewilligung. Im Bahnhof SBB, im Flughafen, in fast allen Geschäften, bei Schulhäusern darf ohne Bewilligung nicht fotografiert werden. Das Leben eines Fotoprofis besteht aus Bewilligungen einholen für Locations, sogar die Architekten der Gebäude im Hintergrund wollen gefragt werden.
Feiglinge mit Medienkompetenz
Besonders übel wird es bei Shootings im Grenzbereich der Legalität. Fussballfans, Möchtegern-Anarchos und Kunstbesetzer finden Berichte über ihre glorreichen Taten zwar geil, mit ihrem Namen oder Antlitz dafür einstehen wollen sie aber nicht. Selbst zur Verfügung gestelltes Material soll verpixelt, Porträts sollen nur vom Hinterkopf gemacht werden. Es sind Leute, die sich gern in sozialen Medien profilieren, doch in einer Zeitung wollen sie sich nicht abgebildet sehen. Früher nannte man solche Menschen Feiglinge, heute gilt ein solches Verhalten als Zeichen für «Medienkompetenz».
Also, liebe Autonome, Kunstbesetzer und «Pyro-in-seiner-Frau-Schmuggler»: Bleibt doch cool, wenn es wieder mal die Möglichkeit gibt, in einem Medium zu erscheinen. Steht hin für die Dinge, für die ihr zu sterben bereit seid, wie ihr im Suff gern behauptet. Zeigt eure Gesichter und erntet Glaubwürdigkeit. Ich werde mich in Zukunft weigern, euch zu verpixeln oder von hinten zu fotografieren. Dann besteht der Artikel über euch nur noch aus Buchstaben mit einem langweiligen Themenbild. Und da klickt dann halt kaum einer drauf.
Danke. Euer Fotograf, euer Bildredaktor.