Der Schweizer Theologe Hans Küng sieht in der Wahl von Papst Franziskus Anzeichen eines Neuaufbruchs. Die katholische Kirche sollte nun die vollgültige Anerkennung der Ämter der evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen umsetzen, fordert der 85-Jährige Kirchenkritiker.
Mit dem letzten Papst Benedikt XVI. standen die ökumenischen Beziehungen unter einem schlechten Stern. Setzen Sie Hoffnungen in den neuen Papst?
Ich hoffe, wir stehen am Ende eines ökumenischen Winters. Mit dem neuen Pontifikat zeichnen sich bereits einige Frühlingslüfte ab. Mit Papst Franziskus ist die Ökumene mit neuen Hoffnungen erfüllt, weil er bereits einige Pflöcke eingeschlagen hat, wie das unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. nicht der Fall war.
Noch im Dezember 2012 hatte der Schweizer Kardinal Kurt Koch – er ist Chef des päpstlichen Rates für die Einheit der Kirchen – gefordert, die «volle, sichtbare Einheit» müsse das Ziel des Gesprächs zwischen Katholiken und Protestanten sein. Wie ist das zu verstehen?
Die volle, sichtbare Einheit meint im Sprachgebrauch der römischen Kurie, dass die Christenheit die Einheit nur findet, wenn auch die anderen Kirchen das Papsttum als solches anerkennen. Das war das Programm von Benedikt XVI. Diese Rückkehrstrategie ist gescheitert. Die evangelischen Kirchen hat er zurückgestossen durch seine Erklärung, dass sie überhaupt keine Kirchen seien. Mit den Orthodoxen, mit denen Papst Joseph Ratzinger ein besonderes Arrangement erreichen wollte, kam es auch zu keiner weiteren ökumenischen Annäherung, und anstatt sich um die Christkatholiken zu kümmern, hat er sich um die Piusbrüder bemüht. Ich kann mir vorstellen, dass Kurt Koch dies eingesehen hat und nun die Chance ergreift, um wieder auf die Intentionen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zurückzukommen. Das Konzil wollte und will die Erneuerung der Kirche vorantreiben.
«Franziskus setzte deutlich bescheidenere Zeichen und verzichtete auf eine Edelstein besetzte Mitra und rote Papstschuhe.»
Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, hat kürzlich zur Konzentration auf die interne Ökumene der vielfältigen reformierten Kirchen in der Schweiz aufgerufen. Hat diese Abschottungsstrategie eine Zukunft?
Ich kann mir gut vorstellen, dass sich Gottfried Locher, der eine eigene klare Sicht hat, durch die neue Situation orientieren lässt. Es reicht nicht aus, sich auf die interne Ökumene zu konzentrieren, übrigens eine Strategie, zu der man sehr oft aus Verzweiflung über die Unbeweglichkeit des römischen Zentrums geradezu genötigt wurde. Eine Abschottungsstrategie hat jedenfalls keine Zukunft. Wir müssen unbedingt dazu kommen, dass wir wieder gemeinsam Tritt fassen können. Dies gilt sowohl im Blick auf die Gläubigen, die sich kritisch von beiden Kirchen abgewendet haben, als auch im Blick auf die Welt, wo beide Kirchen Einfluss verloren haben. Katholische und evangelische Kirche haben allen Grund, zusammenzustehen und gemeinsam in die Zukunft zu gehen.
Bereits eine Woche nach seiner Wahl hat Papst Franziskus bei einem Empfang der Repräsentanten der anderen Kirchen erklärt, er wolle die Ökumene unter den Christen und «Freundschaft und Respekt» unter den Religionen fördern. Wie schätzen Sie den neuen Papst ein?
Das ökumenische Klima ist durch den sehr geglückten Beginn des von der Macht- und Prachtkirche Abstand nehmenden Bischofs von Rom jetzt schon gefördert worden. So hob Franziskus ganz anders als sein Vorgänger nicht den Jurisdiktionsprimat des Papstes hervor, sondern setzte deutlich bescheidenere Zeichen und verzichtete auf eine Edelstein besetzte Mitra und rote Papstschuhe. Damit zeigt der Bischof von Rom, dass es ihm auf das Evangelium ankommt. Es hängt davon ab, was er verwirklichen kann und wie gut er beraten wird. Er weiss, dass Millionen Katholiken abgewandert sind, weil vielerorts das Gemeindeleben am Boden liegt, die Leute aber einen lebendigen Kontakt haben wollen untereinander, zur Welt, zur Stadt und zu den Stadtvierteln, in denen sie leben, und sie wollen eine lebendige Liturgie. All diese Erfahrungen bringt der argentinische Papst mit. Zweitens hat Franziskus Erfahrungen im deutschen Sprachraum gesammelt und weiss daher, dass wir die kirchenspaltenden Erfahrungen des 16. Jahrhunderts endlich hinter uns lassen und gemeinsam die Kirche gestalten wollen.
Welche Reformen kann Franziskus konkret auf den Weg bringen, um katholische und protestantische Kirchen einander näher zu bringen?
Sicher schwebt dem Papst keine Einheitskirche vor, sondern eine Kirche in versöhnter Verschiedenheit. Es ist nicht notwendig, dass wir alle Elemente der orthodoxen Kirchenlehre in eine Einheitskirche einbringen. Sehr wohl aber müssen alle Exkommunikationen auf Ortskirchenebene aufgehoben werden. Das ist im Blick auf die Ökumene das Wichtigste.
«Ratzinger vertrat als Tübinger Professor viele Dinge, die er als Papst vergessen hat.»
Sehen Sie Möglichkeiten, dass evangelische und katholische Christen gemeinsam Gottesdienst feiern?
Es wäre nötig, nun zu realisieren, was in vielen ökumenischen Konsensdokumenten bereits beschrieben wurde: die vollgültige Anerkennung der Ämter der evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Kirchen durch die katholische Kirche. Auf diese Weise wird eine Abendmahlsgemeinschaft möglich. Wenn diese Einigungsdokumente endlich in die Praxis umgesetzt würden, wären wir einen grossen Schritt weiter in der Ökumene. Dabei ist es nicht nötig, dass sich auf der Stufe der kirchlichen Hierarchien alles umarmt, aber auf Ortsebene muss es möglich werden, dass sich die Menschen umarmen können.
Mit dem Pontifikat von Franziskus sehen Sie also tatsächlich Chancen für eine solche ökumenische Zukunft?
Man muss vorsichtig bleiben, denn auch Papst Franziskus kann – wie sein Vorgänger – die Chancen vertun. Ratzinger vertrat als Tübinger Professor viele Dinge, die er als Papst vergessen hat. So ist es immer möglich, dass jemand als Papst nicht weitergehen möchte und sich ernsthaften Reformen widersetzt.