Am 29. Januar 2004 wanderten 2500 Menschen vom Petersplatz zum Marktplatz. Unter ihnen waren viele Studierende, die meisten aus Basel, aber auch von anderen Universitäten. Vor dem Rathaus stand die Menschenmenge ein für eine verantwortungsvolle Bildungspolitik.
Auslöser war die öffentliche Beichte des Basler Unirats wenige Tage zuvor: Bis 2008 rechne man mit einem jährlichen Defizit von 23 Millionen Franken. Die Uni Basel war in finanzielle Schieflage geraten. Also musste sie sparen – und zwar so viel wie nie zuvor. Der Plan: Fächer zusammenlegen, auslagern oder ganz streichen. Löhne senken, Verwaltung straffen.
Betroffen waren 150 Studierende, 16 Professoren und das Personal. Auf die Strasse ging in jenem Winter aber ein Vielfaches davon.
2017 rief der Unirat wieder zur Pressekonferenz und verkündete: Die Uni muss erneut sparen, und zwar einiges mehr als damals. Betroffen sind alle Fakultäten. Wo genau der Sparhammer angesetzt wird, gelangt seither nur tröpfchenweise ans Licht.
Und jetzt? Wo sind die 2500 Demonstranten?
Zum Dies Academicus im November 2017 konnten immerhin um die 300 Studierende und Schüler mobilisiert werden. Was von dem «Trauerzug» blieb, waren die Sprayereien, die in der Nacht zuvor Unbekannte an Gebäuden rund um die Uni hinterlassen hatten.
Seitdem scheinen die Studierenden in eine Schockstarre gefallen zu sein. Eine seltsame Stille hat sich über sie gelegt, von aussen ist praktisch nichts mehr hörbar. Dafür haben die im Kollegienhaus ausgelegten «Weltwoche»-Ausgaben die Studentenschaft zu einem schnellen und heftigen Aufbegehren bewegt.
Warum löst das Verteilen eines Hefts Proteste aus, die tagelang für Aufsehen sorgen, während ein Sparpaket, das zu einem massiven Bildungsabbau führt, schweigend hingenommen wird?
Die Soziologen finden, die Sparmassnahmen böten «eine zu wenig pointierte Angriffsfläche für studentische Protestaktionen».
Die TagesWoche hat bei verschiedenen Fachgruppen (FG) der Uni nach den Ursachen für den ausbleibenden Protest gefragt.
Früh melden sich die Medienwissenschaftler. Die Sparmassnahmen und allfällige Aktionen dagegen würden in der Fachgruppe «heiss diskutiert», antwortet Vize-Präsident Ramon Waser schriftlich. Man pflege einen «engen Austausch» mit dem Seminar, um informiert zu bleiben und «um bei der Schadensbegrenzung aktiv mitarbeiten zu können». Zudem habe sich im letzten Herbst unter dem Titel «Kritische Studierende Uni Basel» eine Organisation gegen den Bildungsabbau formiert.
Die FG Theologie verweist auf einen Brief an das Rektorat, den alle Fachgruppen gemeinsam bereits 2017 verfasst hätten. Und schreibt weiter: «Die Wirkung wäre wohl beschaulich, wenn jede Fakultät für sich auf die Strasse ginge.» In den Anhang packen sie eine 3000 Zeichen lange Stellungnahme zu den Sparmassnahmen, datiert auf den 9. Oktober 2018. Darin äussern sie Kritik gegen die Baselbieter Regierung und definieren die beschlossenen Massnahmen als Verlust für alle.
Sehr ausführlich antwortet Lars Dickmann, Mitglied der FG Soziologie. Auch er meint, die anfängliche Dynamik sei mit dem Trauerzug verflogen. Zudem hätte sich dieser Protest gegen eine Erhöhung der Studiengebühren gerichtet. Die Sparbeschlüsse hingegen «bieten eine zu wenig pointierte Angriffsfläche für studentische Protestaktionen». Weiter seien die Auswirkungen bei den Fakultäten unterschiedlich. Einen übergreifenden Protest zu organisieren, sei dementsprechend schwierig. Dennoch würden sich die Studierenden laut Dickmann «vermehrt unipolitisch interessieren und engagieren».
Aber wieso hört man von ihnen nichts?
Kritik an der Skuba
Eine Gruppe, die sich Gehör verschaffen will, sind die erwähnten «Kritischen Studierenden Uni Basel». Jüngst behängten sie den Petersplatz zu Beginn des Herbstsemesters mit Transparenten, bemalt mit den Worten: «Wann wird dein Fach gestrichen?» Immerhin.
Rund 20 Studierende sind Teil dieser Gruppe gegen Bildungsabbau. Zum Vergleich: Über 13’000 sind an der Uni Basel immatrikuliert. Zwei Mitglieder der Gruppe sehen die Ursache des fehlenden Engagements in der Struktur begründet: «Die Studierenden sind sehr verteilt und oft für sich am Studieren. Es ist schwer, sie zusammenzuführen.» Zudem sei eine Verschulung spürbar. Die Uni würde als Institution gesehen, die man besuche, wo man lerne und dann wieder nach Hause gehe. «Die Partizipation wird nicht genug gefördert», sagen sie.
Die beiden kritischen Studierenden sehen eine Teilschuld auch bei der Skuba, der studentischen Körperschaft der Uni Basel, der offiziellen Vertreterin der Studierenden. «Die Skuba macht eindeutig zu wenig. Es stört uns enorm, dass sie sich hinter einer Neutralität versteckt, obwohl es einen öffentlichen Disput gibt. Ihre Haltung ist ungefähr so: Wir haben das Beste probiert, jetzt ist es halt so.»
Das sei besonders ärgerlich, da die Skuba das Potenzial hätte, die Studierenden zu motivieren. «Doch die Skuba ist in der Institution verhaftet. Sie ist ein Stück vom Apparat. Sie erinnert mehr an ein Management als an eine Studierendenvertretung.»
«Hochschulpolitische Themen sind nach unserer Erfahrung nicht sehr populär.»
«Es gehört zur Aufgabe des Vorstands, einen guten Draht zum Rektorat und seinen untergeordneten Stellen zu haben», sagt Giuliano Borter, bis Ende Oktober noch Präsident der Skuba, auf Anfrage. Den Vorwurf, dass die Skuba abhängig von der Unileitung sei, weist er jedoch zurück. Die Aufgabe der Skuba sei es, das Mitspracherecht der Studierenden zu organisieren, alle vorhandenen Plätze in den zig Kommissionen und Gremien zu besetzen. Zudem versuche sie, Informationen zu den konkreten Sparmassnahmen zu sammeln und diese den Studierenden zur Verfügung zu stellen.
Wieso es keine Proteste zum Sparbeschluss gebe, kann Borter nicht beantworten. Er meint nur: «Hochschulpolitische Themen sind nach unserer Erfahrung nicht sehr populär.»
«Man sollte»
Der TagesWoche liegt ein Wortprotokoll einer Studierendenrats-Sitzung von Ende März 2018 vor. Der Studierendenrat ist das Parlament der Studierenden der Uni Basel und Teil der Skuba. In jener Sitzung diskutierte der Rat über die Studiengebühren sowie über die Sparmassnahmen. Ein Ratsmitglied wünscht sich darin mehr Präsenz der Skuba. «Es muss kein riesiger Protest sein, aber irgendeine kleine Aktion wäre gut.»
Es folgt ein längeres Hin und Her. Die einen sind gemäss Protokoll für den Protest. Darauf würden auch die Medien anspringen. Andere fürchten sich, damit nicht ernst genommen zu werden. Zudem sei das bei den Studiengebühren einfacher. «Ich weiss, was an meiner Fakultät läuft, aber bei den anderen: keine Ahnung. Sehr schwierige Koordination, kann ich nur sagen», so ein Mitglied des Skuba-Vorstands. Besser nicht die Finger verbrennen. Vielleicht lieber ausgefeilte Statements, die man der Politik vorlegen könnte? So, wie es Conradin Cramer empfohlen hatte? Oder doch ein Podium mit der Rektorin?
Was nicht im Protokoll steht: Das Gespräch endet mit einem Antrag auf Diskussionsabbruch und damit ohne Beschluss, wie ein Ratsmitglied gegenüber der TagesWoche erzählt. Deckel drauf, «case closed».
Im Gespräch mit der TagesWoche liessen die kritischen Studenten folgenden Satz fallen: «Man sollte alle Studierenden dazu ermutigen, selber etwas auf die Beine zu stellen und sich nicht auf diesen Apparat zu verlassen.»
Damit haben sie wohl recht. Aber nur mit «man sollte» wird aus einem braven Studi noch lange kein feuriger Kämpfer wider den Bildungsabbau.