Wo der Berg ruht – Wochenendlich in Gunten am Thunersee

Der Niesen hat viele Künstler inspiriert. Den besten Blick auf die «Pyramide» haben Schwindelfreie.

Der Niesen vom unteren Ende des Thunersees aus gesehen. (Bild: Alexander Mahrzahn)

Paul Klee war kein Alpenmaler. Seit seiner Tunis-Reise 1914 haben die Farben des Orients seinen Pinsel geführt. Die blaue Pyramide, die er ein Jahr später aufs Papier brachte, hat aber solide Schweizer Wurzeln: «Der Niesen – Ägyptische Nacht» heisst das feine Aquarell. Als Feriengast in Merligen am Thunersee konnte Klee es sich nicht verkneifen, den schönsten Gipfel der Berner Voralpen mit einem Hauch ahnungsvoller Exotik zu umhüllen.

Der Thuner Hausberg ähnelt mit seiner fast perfekten Kegelform tatsächlich einer Pyramide, doch gegen seine 2362 Meter kommt kein Weltwunder an. Die majestätische  Ruhe, die er ausstrahlt, erfährt man besonders eindrücklich vom gegenüberliegenden Seeufer aus.

Wir nächtigen im Parkhotel Gunten, einem familiären Drei-Sterne-Haus, das den Glanz vergangener Zeiten unprätentiös bewahrt. Schade nur, dass drei mächtige Baumriesen am Seeufer den Blick auf den Niesen versperren. So schnüren wir die Wanderschuhe, steigen hinter dem Ort die enge Gummischlucht hoch (mit Kautschuk hat der Name nichts zu tun) und wagen uns mit vorsichtigen Schritten auf die 340 Meter lange, leicht schwankende Hängebrücke von Sigriswil, die seit 2012 das Dorf mit dem Weiler Aeschlen verbindet.

Mit dem Minimum an Höhenmetern

Es gibt wohl keinen spektakuläreren Ort, um den Niesen in seiner ganzen Pracht zu bewundern. Dass man nach der Überquerung von zwei uniformierten «Rangern» um acht Franken erleichtert wird – «die sympathische Alternative zum Drehkreuz» (Webseite) – nimmt man in Kauf: die Brücke wird nicht nur von 27 Tonnen Stahlseil, sondern auch von einem Verein getragen, der Wanderern die Umrundung des Sees mit einem Minimum an Höhenmetern ermöglichen will.

Wir folgen dankbar der Route und erreichen in Merligen, wo Klee einst seine ägyptische Nacht verbrachte, den alten Jakobsweg. Während durch das Grün der Bäume das türkisblaue Wasser funkelt, führt der gut ausgebaute Pfad am Fuss des Niederhorns auch an den St.-Beatus-Höhlen vorbei: Die Vermarktung mit Zwergen und Drachen lässt erahnen, dass der Tourismus längst auch die Unterwelt erreicht hat. Wohl wegen des schweisstreibenden Aufstiegs vom Parkplatz bzw. von der Schiffsanlegestelle her ist der Ort vom ganz grossen Ansturm aber verschont geblieben.

Etwa vier Stunden benötigen wir von Gunten bis zur Ostspitze des Sees, wo man zwischen Camping- und Golfplätzen vor dem properen Strandhotel Neuhaus noch einmal Seeluft (wahlweise auch Fischduft) schnuppert. Durch die schattigen Auen des Naturschutzgebiets Weissenau, der schönen grünen Aare nach, erreichen wir Interlaken, von wo uns das Kursschiff zurück an den Ausgangsort bringt.

«Es ist fast zu schön hier», hatte Klees Künstlerfreund August Macke notiert, der gar seinen Wohnsitz an den Thunersee verlegt hatte. Und natürlich auch den Niesen malte. Als Pyramide.

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