Halb neun am Abend. In den Reben singt der Wind, das Rosa des Himmels macht allmählich einem Dunkelblau Platz, dem Vorgänger der Nacht. Drei Weinkrüge stehen auf der gedeckten Tafel im Hofgarten bereit. Mit einer einladenden Geste bittet uns der Hausherr zu Tisch – und gleich folgen: Körbe mit Pane Carasau, dem typischen sardischen Brot, das so dünn ist, dass es stellenweise durchsichtig scheint. Gegrillte Zucchini mit Baumnüssen. Frittierte Teigtaschen mit Gemüse. Salsiccia. Pecorino. Plattenweise. Die Frau des Bauern steht seit Stunden in der Küche, alles kommt frisch vom Hof.
Morgen wird das Paar 13 Betten frisch beziehen und für 15 Personen kochen. Heute sind wir nur zu acht: ein junges Paar aus Barcelona, ein älteres aus Triest, wir zwei aus der Schweiz sowie die Gastgeber, die sich zwischen den Gängen dazusetzen. Auf die Antipasti folgen: Spaghetti an einer Artischockensauce. Kaum ist die Schüssel leer, wird sie wieder aufgefüllt. Und weil es sich mit den Weinkrügen nicht anders verhält, wird unsere kleine Runde immer lauter, immer fröhlicher. Man kommt miteinander ins Gespräch, obwohl wir nur ein paar Brocken Italienisch sprechen und die Italiener am Tisch keine andere Sprache kennen.
Der Hausherr isst nur wenig, er tätschelt lachend seinen Bauch: «Die Linie…» Man kann ihn verstehen; jeden Abend ein solches Festmahl, da verlöre auch ein jugendlicher Körper seine Form. Dann verschwindet er in der Küche und taucht mit einer Frucht wieder auf, die wir alle noch nie gekostet haben. Eine Kreuzung zwischen Gurke und Melone, weniger süss als Letztere, aber weit knackiger.
Bis nichts mehr runter geht
Mittlerweile sind die Sterne am Himmel aufgegangen, die Grillen in den Feldern zirpen so laut, als möchten sie uns in ihre Geheimnisse einweihen. Und weil der Wind vom nahen Meer auffrischt, rücken wir noch näher zusammen. Es ist mir, als hätte ich noch nie was Besseres gegessen. Diese erfrischende Melonengurke, für die es auf Deutsch keinen Namen gibt, und die ich seither bei jedem Fruchthändler suche, aber noch nicht gefunden habe, schmeckt nach Ferien, Erholung und Sardinien in einem.
Dann schleppt die Bäuerin mehrere Hackbraten und schüsselweise Salat an. Die Männer greifen zu, ich nehme ein kleines Stück. Und obwohl auch dieses lecker ist, kann ich nach drei Tellern Antipasti und zwei Tellern Pasta nicht mehr mithalten und muss an das Grimm-Märchen «Der süsse Brei» denken, in dem ein Zaubertopf Brei kocht, bis das ganze Dorf überschwemmt ist.
Nach dem Essen gönnen uns die Gastgeber eine Pause. Der hofeigene Wein wird nachgeschenkt – auf den ungefähr 70-jährigen Mann aus Triest scheint er eine romantisierende Wirkung zu haben. Er bekräftigt die Liebe zu seiner Frau: Seit 44 Jahren seien sie nun verheiratet und er habe nie eine andere Frau haben wollen, weil er nun mal einfach die Beste gefunden habe. Sie lächelt still.
Dann kommen sie von der Liebe ganz abrupt zur Politik, sie schimpfen über die Elite Italiens, ohne ihre gute Laune darüber zu verlieren. Ich verstehe nicht viel. Aber eines weiss ich ganz bestimmt, als «il dolce» und eine Reihe Schnapsflaschen auf dem Tisch aufgebaut werden: Auch wenn in ihrer Heimat nicht alles rund läuft, nie würden sie sie verlassen wollen. Denn die italienische Küche ist dafür einfach zu gut.
Agriturismi auf Sardinien
Im Nordwesten:
- Agriturismo Meriagu, Alghero: im Text beschrieben, familiärer Rahmen, sehr gute Küche. www.agriturismomeriagu.it
- Agriturismo La Tankitta, Stintino: mitten in den Feldern, gemütliche Zimmer, leckeres Frühstück. www.latankitta.it
Im Osten:
- Agriturismo Codula Fuili, Cala Gonone: mit Meersicht, am Hang gelegen, gute Küche. Spezialiäten: Spanferkel, Ziegeneintopf, Ziegenmilchglace. www.codulafuili.com
- Agriturismo Nuraghe Mannu, Cala Gonone: wunderschöner, schattiger Campingplatz am Hang mit Meersicht. Spezialität: Antipasti. www.nuraghemannu.com