Würdiger Abgang

Der Philosoph Karl Jaspers lehrte bis ins Alter von ­78 Jahren an der Universität Basel. Kurt Wyss fotografierte ihn nach seiner letzten Vorlesung in der Aula.

Abgang des Meisters: Karl Jaspers verlässt nach seiner Abschiedsvorlesung am 3. Juli 1961 die Aula der Uni Basel. (Bild: Kurt Wyss)

Der Philosoph Karl Jaspers lehrte bis ins Alter von ­78 Jahren an der Universität Basel. Kurt Wyss fotografierte ihn nach seiner letzten Vorlesung in der Aula.

Ein starkes Bild! Warum? Der leeren, geometrisch aufgereihten Stühle wegen? Weil hier ein wohlgekleideter Mann von dannen schreitet und eine eigenartige Frau (nicht seine) ihm sonderbar nachschaut?

Es ist ein Bild zur Abschieds­vorlesung des grossen Philosophen Karl Jaspers vom 3. Juli 1961. Wir befinden uns in der Aula des Hauptgebäudes der Universität.

Eben waren noch sämtliche Stühle besetzt. Rektor Salin war anwesend und Regierungsrat Zschokke. Jetzt sind alle weg. Nun kann auch der Meister gehen und das grosse Blumenarrangement hinter sich lassen, das vor Pult und Mikrofon dem Anlass zusätzliche Festlichkeit verliehen hat.

Eigentlich müsste uns interessieren, was Jaspers zuvor ausgeführt hat. Recherchen ergaben: «Chiffren der Transzendenz» – was immer damit gemeint war.

Eine der Feststellungen lautete, dass wir dahin ­gehen, «woher die letzten Bestimmungen auf uns zuzukommen scheinen, ohne dass wir davon noch reden können». Hier ist der Abschiedsmoment wichtig. Der Professor hat noch die letzten Unterschriften in die Testat­heftchen der Studierenden gegeben, die in langen Schlangen links und rechts vom Pult darauf warteten, an die Reihe zu kommen.

In Basel bildete er am universitären Himmel ein
leuchtendes Gestirn.

Natürlich ging mit diesem Moment Jaspers Schaffen nicht zu Ende. Sein Denken war nach wie vor gefragt. Jetzt war er aber ein «Emeritus», ein seiner Lehrpflicht Entbundener. Emeritiert, dies gilt auch, wie hier deklariert sei, für den Schreibenden, darum ein gewisses Einfühlungsvermögen für diese Situation. Auch wenns viel dramatischer klingt, als es ist: Vor dem Tod sind alle gleich, so gleich wie vor den unbarmherzig leeren Stühlen, die darauf warten, für die nächste Veranstaltung gebraucht zu werden. Das heutige Emeritierungsalter liegt bei 65 – Jaspers, Jg. 1883, durfte bis 78 lehren.

Jaspers kam 1948 unter besonderen Umständen nach Basel. 1937 von den Nazis zwangspensioniert, mit Publikationsverbot belegt und unter ständiger Beobachtung; 1945, im Moment der Befreiung mit Ehrungen überschüttet, enttäuschte ihn die Entwicklung im Nachkriegsdeutschland. So war er für die Schweiz zu haben.

In Basel bildete er am universitären Himmel ein leuchtendes Gestirn, zusammen aufgezählt in wechselnden Kombinationen (Barth, Portmann, Bonjour, Reichstein etc., natürlich auch der bereits erwähnte Salin). Jaspers war aber bei jeder Aufzählung dabei. Er lebte noch acht Jahre und starb 1969. Er wohnte bescheiden an der Austrasse Nr. 126, wo heute eine Messingplakette an ihn erinnert. Ein Jahr nach seinem Tod, 1970, wurde eine grosse Strasse nach ihm benannt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.03.13

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