Wyss‘ Archiv: Bundesrat aus früherer Zeit

Bundesräte waren früher mehr noch als heute Respektspersonen. Erst recht, wenn sie solange im Amt ausharrten wie Philipp Etter, den man «Etter-nel» nannte.

Philipp «Etter-nel» Etter, Bundesrat von 1934 bis 1959 – fotografiert 1956, in seinem 22. Amtsjahr. (Bild: Kurt Wyss)

Bundesräte waren früher mehr noch als heute Respektspersonen. Erst recht, wenn sie solange im Amt ausharrten wie Philipp Etter, den man «Etter-nel» nannte.

Uns muss zunächst genügen, was wir einfach sehen und einfach erkennen können: ein paar Männer im Regen, feierlich gewandet, im Hintergrund ein farbentragender Student mit Schärpe, Mütze und Fahne. Hinzu kommt, was man dank anderer Bilder wissen kann: Der wichtigere Mann ist hier nicht der grosse im Vordergrund, vielleicht der Protokollchef oder eine örtliche Grösse (Regierungsrat oder Rektor), der wichtigere ist natürlich der im Zentrum des Bildes stehende Mann.

Dieser Mann ist derart wichtig, dass man sich fast ein wenig wundert, dass er seinen Schirm selber hält. Heute wäre das kaum mehr der Fall. Das Bild stammt aber aus dem Jahr 1956 und ist vor der Universität Freiburg vom Fotografenlehrling Wyss aufgenommen. Von seinem Meister ist er hingeschickt worden, damit er dort ein offizielles Bild macht: Magistrat am Rednerpult, voll besetzte Aula, zum Fototermin aufgestelltes Gruppenbild, dies mit einer Linhof-Grossbildkamera (Format 9 mal 12 Zentimeter).

Dem 20-jährigen Kurt genügte das nicht. Mit seiner persönlichen Rolleicord (Format 6 x 6 Zentimeter) schaute er sich nach inoffiziellen Motiven um und fand zum Beispiel dieses. Es zeigt eine Respektsperson in einer Randsituation.

Schon als Jungfotograf suchte Kurt Wyss nicht das «offizielle», sondern das Motiv am Rand.

Die Respektsperson war Bundesrat Philipp Etter. In ihm kamen zusammen: der Grund­respekt, den man – damals in noch höherem Mass – einem Landesvater automatisch ent­gegenbrachte, und als weiteres Respektselement die vielen Jahre seiner Amtszeit.

Etter war im März 1934 in die oberste Landesbehörde gewählt worden, war also bereits seit 22 Jahren im Amt. Er blieb dann noch drei Jahre, wurde punkto Sitzleder wohl nur von seinem CVP-Parteikollegen Giuseppe Motta (28 Jahre) übertroffen. Schon vier Mal war er Bundespräsident gewesen, was der Lehrling K. W. wahrscheinlich wusste. Und vielleicht schon damals kursierte der Übername «Etter-nel».

Angesichts dieser Ewigkeiten ist es unerheblich, was 1956 der konkrete Anlass für das hier gebannte Bild war. Jedenfalls kein Jubiläum der 1889 gegründeten katholischen Kaderschmiede und kein Dies academicus, der jeweils im November stattfindet (was nicht zum Laub der Bäume passen würde) – und auch kein Ehrendoktor und kein Präsidialjahr.

Der ewige Etter starb 1977 mit 86 Jahren. Zuvor erfreute er sich noch während vieler Jahre an seinen 14 Enkeln und am abendlichen Jass.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.08.13

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