Wyss‘ Archiv: Zwischen Flaggen und Sternen

Vor 50 Jahren ist die Schweiz dem Europarat beigetreten. Seither gehören die zwölf europäischen Sterne auch ein bisschen uns Eidgenossen.

Die europäischen Sterne: Ihre Zahl gibt nicht die Zahl der Mitgliedstaaten an, die ständig wächst – sie steht für die babylonische Duodezimalgrösse und symbolisiert die «Vielheit», die im Europarat vertreten ist. (Bild: Kurt Wyss)

Vor 50 Jahren ist die Schweiz dem Europarat beigetreten. Seither gehören die zwölf europäischen Sterne auch ein bisschen uns Eidgenossen.

In diesem Jahr wird in der Schweiz an die im Jahre 1963 – also vor 50 Jahren – eingegangene ­Mitgliedschaft beim Europarat erinnert. Die nicht sehr mächtige Institution war bereits 1949 gegründet worden, doch die Schweiz hielt sich lange fern. Die Berührung mit dieser harmlosen Institution wurde als derart gefährlich eingestuft, dass man noch Ende der 1950er-Jahre nicht einmal Beobachter nach Strassburg schickte. Um nicht eingestehen zu müssen, dass man klüger geworden (beziehungsweise vorher dümmer gewesen) war, lautete eine Erklärung für den späteren Beitritt, der Europarat habe sich gewandelt.

Eidgenossen, die ihre liebe Schweiz möglichst auf Distanz halten wollen, sehen in den goldenen Europasternen auf blauem Untergrund vor allem das Emblem der EU, das hierzulande «nichts verloren» habe. Da kann man aber Entwarnung geben: Die zwölf Sterne gehören dem Europarat, dem die Schweiz nun seit 50 Jahren angehört, und sie sind der EG/EU nur ausgeliehen.

Das ist eines der Probleme: In Europa­sachen geraten die Dinge durcheinander, und man kommt da nicht recht mit. Schuld daran sind nicht die schweizerischen Wahrnehmungsschwierigkeiten, sondern die europäischen Kompliziertheiten.

In Sachen Europa geraten Dinge rasch durch­einander – man kommt nicht mehr mit.

Und damit auch das gesagt ist: Die Zahl der Sterne gibt (anders als bei den «stars» des USA-Banners) nicht die Zahl der Mitgliedstaaten an, die ja ständig wächst und gerade kürzlich auf 28 gestiegen ist. Sie steht vielmehr für die babylonische Duodezimalgrösse und soll die «Vielheit» symbolisieren.

Das Bild zeigt anhand der Türen des Strassburger Europaratsgebäudes in einer tiefsin­nigen Komposition die Vermischung der ­abstrakten Sternsymbolik und die reale Gemeinschaft, um die es letztlich geht: Hinter den egalitären übernationalen Sternen – unscharf – die nationalen Flaggen der Mitgliedsländer und dazwischen eben die Menschen.

Doch was sind solche Institutionen, wenn sie nicht medial die Menschen erreichen? Erreichbar heute eher über Internet – noch vor 30 Jahren aber mit Drucksachen. Kurt Wyss schuf dieses Bild 1981 für einen Prospekt zusammen mit dem Journalisten Norbert P. Engel, der auch die Monatszeitschrift «Trio – das Rheinische Magazin» geschaffen hat. Der Prospekt kam so gut an, dass auch das Europäische Parlament einen haben wollte, allerdings nicht wie im Fall der blauen Flagge den genau gleichen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.07.13

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