Es ist Punkt zwölf Uhr. Noch knapp fünf Minuten, dann trifft mein Direktzug aus Manchester Piccadilly am Bahnhof in York ein.
Ich bin seit eineinhalb Stunden unterwegs. Die Fahrt ging durch beschauliche Landschaften: sanfte Hügel, kleine Wälder, gelb leuchtende Rapsfelder, geruhsam grasende Schafe, rieselnde Bäche. Dazwischen ein oder zwei Dörfer, die kurz hinter dem Laubwerk auftauchten und schnell wieder verschwanden.
Nun ertönt ein anhaltendes schrilles Quietschen. Das vertraute Geräusch bremsender britischer Eisenbahnen. Ich stehe auf, schnappe mir meine Tasche und gehe zum Ausgang. Der Zug fährt ein. Wie immer auf Gleis 8.
Hello, old friend.
Drei Jahre habe ich in York studiert. Wenn ich davon erzähle, hören die meisten Leute «New York». Dabei zählt die University of York zu Englands Top-Unis. Dem Campus sieht man das nicht an: hässliche Bauten aus den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts, grau in grau, architektonische Tristesse.
Schön ist dafür der Park, der sich fast über das gesamte Uni-Gelände erstreckt. Und hier sieht man, das es nach allgemeiner Ansicht gar nicht geben dürfte: schwarze Schwäne. In York muss man sich darauf einstellen, dem Unvorhersehbaren zu begegnen.
Monatelang Hochwasser
Im Bahnhof dränge ich mich durch die Menschenmenge, raus auf die Hauptstrasse, die direkt in die Innenstadt, über den Fluss Ouse und zur historischen Stadtmauer führt. Wuchtig. Pompös. Empire.
Aus der Mitte der Stadt ragt die sandsteinfarbene Kathedrale hervor, Saint Peter, die grösste mittelalterliche Kirche Englands, fertiggestellt 1472, nach 250 Jahren Bauzeit. Wie schnelllebig und unbeständig unsere Zeit geworden ist, denkt man im Vorbeigehen.
York ist aber nicht nur Erzbischofssitz, es war auch Residenzstadt der Grafschaft Yorkshire. Viele der alten Fachwerkhäuser sind gut erhalten. Die imposanten Häuserzeilen sind unterbrochen von engen Gässchen mit Kopfsteinpflaster – den sogenannten «snickelways», oft so eng, dass heutige Fahrzeuge nicht durchpassen.
Quer durch die Stadt fliesst die Ouse. Jedes Jahr zwischen November und April steigt der Fluss und überflutet über Monate hinweg die Ufer, bis hinauf zu den ersten Stockwerken der vielen Restaurants und Bars, die dort gelegen sind. Heute ist das Wasser ruhig. Die Ruderteams der Universität trainieren. Touristen unternehmen Bootstouren.
Aberglaube und Afternoon Tea
Vom Wasser aus sind es nur einige Meter bis zum Museumsgarten. Hier habe ich während der Prüfungszeit gelesen, gelernt und auf Karteikarten zusammengefasst, was ich mir unbedingt merken wollte. Es ist der schönste Park in der Stadt. Mittendrin stehen die St. Mary’s Abbey aus dem 11. Jahrhundert, heute eine Ruine, und das Yorkshire Museum. Am unteren Ende lockt «The Star Inn the City». Mein erster Halt.
In diesem Gasthof feiern viele Studenten ihren Abschluss. Die Speisekarte wechselt mit den Jahreszeiten, die Zutaten werden lokal angebaut und bezogen. Alles schmeckt fantastisch frisch. Besonders der Posh Prawn Cocktail und die Ravioli of Truffled Mushrooms.
Nach dem Essen schliesse ich mich wieder den Touristen an und folge der Hauptstrasse zur Kathedrale. Jetzt, da ich meinen Abschluss habe, kann ich nämlich endlich den Turm besteigen. Hätte ich das vorher gemacht, wäre ich bei den Prüfungen durchgefallen – so der alte Aberglaube.
Mein Spaziergang führt mich weiter zu «Bettys». Von einem Schweizer gegründet, gehört das Lokal zu den beliebtesten der Stadt. Hier gibt es den besten Afternoon Tea des Nordens. Weshalb sich draussen oft eine schier endlose Warteschlange bildet. Nach einer Tasse Tee überquere ich den Market Square und gehe in die «Shambles», die älteste Strasse der Stadt, laufe runter zum Clifford’s Tower und vorbei am York Castel Museum.
Zum Abschluss geht es ins Restaurantviertel Walmgate. Mein Lieblingsort hier ist «El Gaucho», ein argentinisches Steakhouse. Das Fleisch ist hochwertig und wird mit verschiedenen Roséweinen serviert.
Und um die Ecke gibt es eine Cocktailbar, die Johnny Depp als seinen «favourite place on earth» beschrieb. «Evil Eye» ist ein Treffpunkt, auch für viele Studenten. Die Bartender sind freundlich, die Drinks nicht überteuert, die ist Musik cool. Ich bestelle wie schon so oft «Applestrudel». Allerdings «to go», denn ich muss zurück zum Zug. Das Eisenbahnmuseum direkt neben dem Bahnhof lasse ich dieses Mal aus. Empfohlen sei es trotzdem, sind dort doch Originalloks und zahlreiche royale Luxus-Waggons zu sehen.
Am Bahnhof warte ich auf meinen Zug und höre das vertraute Quietschen. Bei der Abfahrt winke ich von Gleis 8.
Goodbye, old friend.
Anreise: Direktflüge von Basel nach Manchester, anschliessend per Zug. Wahlweise auch per Zug und/oder Fähre via London.
Einkehren: «Bettys», der beste Afternoon Tea von Nordengland.
Absacken: «Evil Eye», «home of the bizzarre, weird and wonderful», heisst es auf der Website. Cheers.