«Zu viel Kontrolle macht Menschen ­unglücklich»

Der Ökonom und Glücks­forscher Bruno S. Frey über Berufsausbildung, flexible Angestellte und Glück am Arbeitsplatz.

Der Ökonom und Glücksforscher Bruno S. Frey rät Jungen, sich vielseitig auszubilden. (Bild: Stefan Bohrer)

Der Ökonom und Glücks­forscher Bruno S. Frey über Berufsausbildung, flexible Angestellte und Glück am Arbeitsplatz.

Macht die heutige Wirtschaft die Menschen glücklich?

Für die Schweiz würde ich ganz klar Ja sagen. Wir leben im Vergleich zu den Menschen in anderen Ländern unter sehr günstigen Bedingungen. Nehmen Sie zum Beispiel Spanien: Dort ist eine grosse Mehrheit der jungen Leute ohne Job.

In der Schweiz hangeln sich ­allerdings auch immer mehr junge Menschen von Praktikum zu Praktikum, da sie keine Festanstellung bekommen.

Das stimmt, aber das Problem ist hierzulande nicht so gross wie in ­anderen Ländern. Wer heute in der Schweiz zum Beispiel als junger Akademiker auf den Markt kommt, hat noch immer gute Jobaussichten.

Warum ist das so?

Die Schweiz ist nicht so stark «überakademisiert» wie andere europäische Länder.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wirft der Schweiz vor, der Anteil an Hochschul­abgängern sei zu klein.

Ich halte die Forderung nach mehr Uni-Absolventen für völlig falsch. Für die meisten Berufe braucht es keine akademische Ausbildung. Unser ­duales Ausbildungssystem mit einer praktischen Ausbildung in einem ­Unternehmen und dem parallelen ­Besuch einer Berufsschule ist hervorragend. Und wenn ein junger Mensch nach der Lehre nach Höherem strebt, kann er via Berufsmatura an einer Fachhochschule studieren gehen. Diese Vielfalt in der Ausbildung müssen wir unbedingt bewahren.

Wie beurteilen Sie die Lehrstellensituation in der Schweiz?

Wichtig ist, dass junge Leute eine Lehre machen können. Zum Glück hat sich die Lehrstellensituation wieder stark verbessert. Heute ist es so, dass es wieder mehr offene Lehrstellen als Lehrlinge gibt.

Welche Art von Arbeit wird die zukünftige Wirtschaftswelt prägen? Und was sind aus Ihrer Sicht die Branchen der Zukunft?

Wir kennen die Zukunft nicht und können nur Mutmassungen anstellen. Etwas scheint mir aber offensichtlich zu sein: Menschen werden künftig nicht mehr nur einen Beruf erlernen und ausüben, sondern verschiedene.

«Glückliche Menschen arbeiten produktiver und leben länger gesund.»

Im Falle der Wissensberufe passiert das ja heute schon. Wie steht es aber mit den klassischen Handwerksberufen? Kann ein Spengler einfach so umsatteln?

Das geht. Mein Nachbar zum Beispiel erlernte den Beruf des Schaufensterdekorateurs, heute arbeitet er erfolgreich als Innenarchitekt – er hat sich weitergebildet.

Dauernd flexibel sein, dauernd Veränderungen ausgesetzt sein – macht das nicht unglücklich?

Das glaube ich nicht. Die Forschung zeigt, dass Freiräume und eine gewisse Form der Selbstbestimmung in der Arbeit die Menschen glücklich macht. Zu viel Kontrolle, zu viele Eingriffe und zu viel Bürokratie ­dagegen machen Menschen unzufrieden. Wir sprechen dabei von der sogenannten intrinsischen Moti­va­tion – also dem Bestreben, etwas zu tun, weil es Spass macht, Interessen befriedigt oder eine Herausforderung darstellt. Diese Motivation wird in Zukunft eine noch stärkere Rolle spielen und gerade auch für die Schweiz ganz wichtig werden.

Wie meinen Sie das?

Die Stärke der Schweiz besteht da­rin, dass wir viele gut ausgebildete und motivierte Leute haben. Dies gilt es im Zuge der zunehmenden Globalisierung unbedingt zu bewahren. Hier hat unser Land auch gute Chancen, wenn Sie zum Beispiel an die Verhältnisse in China denken, wo der Selbstbestimmung in der Arbeit ein sehr geringer Wert zugebilligt wird.

Und wie steht es um den Zusammenhang von Lohn und Glück?

Wenn Sie eine Glücksumfrage machen, dann wird der Lohn meistens an siebter oder achter Stelle erwähnt. In Tat und Wahrheit spielt der Lohn für junge Leute aber eine ganz entscheidende Rolle – gerade wenn es zum Beispiel gilt, eine Familie zu gründen und ein Elternteil plötzlich weniger oder gar nichts mehr verdient, weil zu Hause Familienarbeit geleistet werden muss.

«Ich bin ganz klar dafür, dass man die Arbeit stärker flexibilisiert.»

Was halten Sie vom Konzept der «Lebensarbeitszeit»: Dass man also im Alter von 20 und 30 mehr sowie ab 65 Jahren weiter arbeitet, um dafür in der «Familienphase» zwischen 30 und 40 beruflich kürzertreten zu können?

Ich bin ganz klar dafür, dass man die Arbeit stärker flexibilisiert. Ich bin übrigens auch der Meinung, dass es in bestimmten Berufen absolut möglich ist, länger zu arbeiten als bis 65. Ältere Menschen sind nicht weniger produktiv, sondern anders produktiv.

Unser Eindruck ist, dass in der Wirtschaft nicht wirklich der Wille besteht, innovative Arbeitskonzepte voranzutreiben und umzusetzen.

Das scheitert vor allem in grösseren Firmen an der Bürokratie. Ausserdem muss Flexibilität organisiert werden. Vor diesen Kosten scheuen sich viele Unternehmen.

Obwohl Flexibilisierung die Menschen glücklicher und produktiver macht, wie Sie sagen?

Das ist leider so, weil diejenigen, die die Flexibilisierung organisieren müssen, nur die Kostenseite sehen und nicht die produktiven Vorteile, die die Auflösung schwerfälliger Strukturen bringen kann.

Was für einen Rat geben Sie jungen Menschen, die vor der Berufswahl stehen?

Sich möglichst vielseitig auszubilden: also Sprachen zu erlernen, sich Computerkenntnisse anzueignen, auch ein offenes Auge für Mathematik und Naturwissenschaften zu ­haben. Wie gesagt: Wir wissen nicht, wie die Berufswelt in ein paar Jahren aussehen wird. Sicher aber ist: Die Tätigkeit, die wir heute ausüben, wird mit grosser Sicherheit in zwanzig Jahren ganz anders aussehen.

Was ist eigentlich Glück?

Das weiss ich nicht. Wir fragen vielmehr die Menschen selbst, wie glücklich sie sind. Wir vertrauen darauf, dass die Menschen ihren Gemütszustand selbst beurteilen können.

Als Glücksforscher müssen Sie doch wissen, was Glück ist?

Für jeden Menschen bedeutet Glück etwas anderes. Was wir aus der Forschung wissen, ist: Glückliche Menschen arbeiten produktiver und leben länger gesund. Glück lässt sich aber nicht durch eine «Glückspolitik» orga­nisieren, wie sie Staaten wie Gross­britannien, Frankreich oder China proklamieren. Der Staat kann nur die Bedingungen fürs Glücklichsein ­schaffen – also für gute Ausbildung und Freiraum sorgen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.02.13

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