Zug um Zug in die richtige Richtung

Wer im Bahnverkehr die Weichen stellt, trägt viel Verantwortung. Früher kam harte Knochenarbeit hinzu.

Mächtige Hebel, schrille Glocken, hohe Anspannung: Die Arbeit im Stellwerk eines grossen Bahnhofs, wie hier im Einfahrtsbereich der Grenzdestination Basel SBB anno 1960, erforderte damals nicht zuletzt auch viel Muskelkraft für die mechanische Umstellung (Bild: Kurt Wyss)

Wer im Bahnverkehr die Weichen stellt, trägt viel Verantwortung. Früher kam harte Knochenarbeit hinzu.

«Schon wieder fünf Minuten Verspätung. Bereits zum dritten Mal in dieser Woche. Unglaublich, diese Schlamperei. Vom internationalen Verkehr erst gar nicht zu reden.»

Wer in zugigen Bahnhofshallen mit solchen Tiraden den aufgestauten Dampf ablässt, müsste zumindest zweierlei zur Kenntnis nehmen. Erstens, dass es sich bei der von ihm auf das Abstellgeleise der Unzuverlässigkeit verdammten Bahn zumindest hierzulande längst um ein auf Elektrobetrieb umgestelltes Transportmittel handelt. Und zweitens, dass er zumindest dem Bahnpersonal mit seinen verbalen Eruptionen in aller Regel bitter Unrecht tut.

Was die Männer und Frauen tagtäglich leisten, die im Dienst der Bahn für die Sicherheit und den reibungslosen Transport von Menschen und Waren sorgen, ist aller Ehren wert. Früher genauso wie heute. Auf und neben den Schienen. In den manuell und mit hohem Kraftaufwand betriebenen Stellwerken im Einfahrtsbereich des Bahnhofs Basel SBB von damals ebenso, wie in dem mit Hightech voll­gestopften «Kupferklotz» von Herzog & De Meuron beim Münchensteiner Viadukt.

Einem Unternehmen chronische Unpünktlichkeit vorzuwerfen, das seine Kapazitäten auf einem weitgehend historisch gewachsenen Schienennetz dank elektronischer Sicherheitstechnik bis an die Grenzen des Möglichen ausgeweitet hat, bedeutet den Sack statt die Esel zu schlagen. Denn nicht die durch die technische Evolution ermöglichte Fahrplanverdichtung ist die Ursache des Problems, sondern die Tatsache, dass die baulichen und infrastrukturellen Voraussetzungen für eine reibungslose Bewältigung des wachsenden Personen- und Güterverkehrs den heutigen Anforderungen zum Teil um Jahrzehnte hinterherhinken.

Während die Weichen im täglichen Betrieb nach wie vor einwandfrei und in die richtige Richtung gestellt werden, damit wir sicher und meist auch pünktlich an unser Ziel gelangen, wurden die Weichen für die Zukunft der Bahn längst nicht mit gleicher Präzision gestellt. Weder im Parlament noch in den Chefetagen hoch über den Geleisen.

Instinktlose Politiker und ebensolche Manager sorgten und sorgen dafür, dass die einst komfortable Bahn zum Breitspur-Tram verkam, das uns in absehbarer Zeit mit Stehplatzfreuden verwöhnen will. Nieder mit der Dienstleistung, hoch die (scheinbare) Rentabilität!

Was ist daraus zu lernen? Längst nicht jeder, der bei der Bahn arbeitet, weiss die Weichen richtig zu stellen. Vor allem dann, wenn es darum ginge, den Zug nicht in die falsche Richtung umzuleiten. Nach Nirgendwo, wo er mit Garantie pünktlich ankommen wird.

Mächtige Hebel, schrille Glocken, hohe Anspannung: Die Arbeit im Stellwerk eines grossen Bahnhofs, wie hier im Einfahrtsbereich der Grenzdestination Basel SBB anno 1960, erforderte damals nicht zuletzt auch viel Muskelkraft für die mechanische Umstellung der Weichen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.10.12

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