Zwei Geraden im Schrägen

Auch unauffällige Kunstwerke im öffentlichen Raum können Unmut erregen, wie das Beispiel von Werner von Mutzenbechers Werk «Horizont» in der Steinenberg-Unterführung zeigt.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Auch unauffällige Kunstwerke im öffentlichen Raum können Unmut erregen, wie das Beispiel von Werner von Mutzenbechers «Horizont» in der Steinenberg-Unterführung zeigt.

Es ist ein Ort, an dem man nicht stehenbleibt. Die Steinenberg-Unterführung, die den Platz hinter der Barfüsserkirche mit dem Platz vor dem Theater verbindet. Gebaut in den Siebziger Jahren, als das alte Stadttheater gesprengt und das neue gebaut wurde. Ein recht schmuckloses Loch, das einzig dem Zweck dient, die Fussgänger unter dem Steinenberg hindurch zu führen.

1979 dachte der Kanton, lasst uns diese Unterführung mit Kunst schmücken. Und so fragte der Kunstkredit fünf Kunstschaffende an, die Unterführung zu gestalten: Alain Simon, Lotti Tosin, Lukas Wunderer, Jean Zuber und Werner von Mutzenbecher. Von Mutzenbecher schliesslich überzeugte die Jury mit seinem schlichten wie ortsgebundenen Werk «Horizont»: Zwei einfache horizontale Streifen aus Chromstahl, links und rechts über fast die gesamte Länge der Unterführung. Darin eingraviert eine Linie und die Inschrift: «261 Meter über Meer / Bühnenebene Stadttheater».

Provokation!

Ein äusserst spartanisches Werk, so spartanisch, dass sich nach dem Entscheid der Jury bereits Widerstand dagegen regte: In einer Interpellation wurde der Regierungsrat nicht nur angefragt, den Entwurf nicht ausführen zu lassen, sondern auch die Frage aufgeworfen, ob von Mutzenbechers Werk die Ausschreibungskriterien erfülle, in denen von einer «farbigen Gestaltung» die Rede war. Zudem wollte der Interpellant wissen, ob der Regierungsrat die Befürchtung teile, «dass das Mini-Kunstwerk maximalen Ärger in der Bevölkerung hervorrufen» werden.

Der Regierungsrat antwortete prompt, der Arbeit hafte «in keiner Weise provokativer Charakter an». Tatsächlich ist das Kunstwerk so zurückhaltend, dass es von vielen gar nicht als das wahrgenommen wird. Wohl auch nicht von den Sprayern, welche die beiden Stahlbänder regelmässig mit unschönen Tags übersprühen.

Von Mutzenbecher konzipierte die Arbeit als Antwort auf die schiefen Ebenen, welche nicht nur die Unterführung selbst, sondern auch den Theaterplatz prägen. Genauer betrachtet: Die Decke ist wegen des Gefälles des Steinenberges schräg abfallend, die von der Barfüsserkirche aus gesehene linke Wand hat einen Knick, die rechte ist abgerundet. Der Boden läuft schief in Richtung Theaterplatz hoch, die Treppe hoch zum Tinguely-Brunnen setzt schräg an. Das einzige gerade Vertikale scheinen die Glaswände, welche die Theaterpassage vom Aussenraum abgrenzen. Zusammen mit von Mutzenbechers Horizontalen machen diese die restlichen schiefen Winkel erst so richtig bewusst.

Referenz über Basels Grenzen hinaus

Auf der Suche nach einer Idee habe er damals die Baupläne des neuen Theaters studiert, erzählt Werner von Mutzenbecher. Dabei habe er bemerkt, dass diese von einem selbst gewählten Nullpunkt ausgehen: von der Bühnenebene des grossen Saales. Seine Arbeit schafft somit eine Verbindung zum Theaterbau, schaut aber gleichzeitig über die Grenzen Basels hinaus, indem sie als Referenzpunkt für die Höhenmessung den Meeresspiegel nimmt.

Durch das Material, aus dem das Werk geschaffen ist, den polierten Chromstahl, wird ein kleiner Streifen des Lichts von draussen in die Unterführung hinein transportiert. Beim Durchschreiten dieser wandern die Lichtflecken, ein kleines poetisches Detail.

Wenig poetisch ist hingegen die Verstümmelung, die das Werk seit seiner Schaffung erfahren hat. Da sind nicht nur die Sprayereien, sondern vor allem auch die beiden Türen zu nennen, die im Zuge der Tramgleiserneuerung eingebaut werden mussten und die das eine Band nun in mehrere Teile zerstückeln. Zudem mussten knapp unter der Decke Verschalungen angebracht werden, um das Wasser daran zu hindern, die Wände herunterzutropfen.

Von Mutzenbecher selbst sagt zu diesen baulichen Eingriffen lapidar: «Kunst im öffentlichen Raum bedeutet immer auch einen Kompromiss.» Die Werke seien ja selten für die Ewigkeit bestimmt. Trotzdem stimmt ihn vor allem der desolate Zustand der Wände etwas traurig. Denn tatsächlich leidet der Gesamteindruck unter dem abblätternden Verputz. «Die Wände dürften allerdings aufgefrischt werden», schrieb der Künstler im Juni 1979 in seiner Projekteingabe. Ein Satz, der heute wieder Gültigkeit hat.

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