Vor 20 Jahren nahm der Rapper Black Tiger zusammen der Basler Hip-Hop-Crew P-27 das Stück «Murder by Dialect» auf. Mit seinem Plädoyer für die Graffiti-Szene machte er den Mundartrap populär.
Was steht für die Geburtstunde des Schweizer Mundart-Rap? Das dadaistisch-absurde Stück «Nüt», mit dem der Zürcher Sprechsänger Claude 1982 die Hitparade aufwirbelte? Oder gar die Firma Leisi, die ab 1984 mit ihrer grossen TV-Kampagne eine junge Kundschaft begeistern wollte: «De Taig no sälber rolle, nei si! Nämed sie de Quick vom Leisi!» Die Werbebotschaft ist Kult, eine komische Kuriosität auch. Für den Durchbruch des Mundart-Rap war aber ein Text besorgt, der nicht für Teig warb, sondern für ein Lebensgefühl: «Murder by Dialect», ein Plädoyer für Graffiti, das der Basler Rapper Urs Baur alias Black Tiger vor 20 Jahren aufnahm.
«Fresh Stuff» für die junge Szene
Wir schreiben das Jahr 1990. Die Schweizer Hip-Hop-Szene beginnt sich zu organisieren und zu vernetzen. Daraus resultiert zunächst die Compilation «Fresh Stuff 1», auf der die bekanntesten Rapper der Schweiz vereint sind: E.K.R. aus Zürich etwa, oder Sens Unik aus Lausanne. Rasch sind die 100 Schallplatten, die gepresst wurden, verkauft. Die stetig wachsende Szene lechzt nach mehr. Weshalb der Ostschweizer Musikproduzent Pascal De Sapio eine zweite Compilation initiiert und dafür auch die Basler Crew P-27 ins Boot holt. Kurzfristig erhalten sie 1991 die Möglichkeit, zur CD «Fresh Stuff 2» einen zweiten Track beizusteuern und laden hierfür den befreundeten Rapper Black Tiger ins Studio ein. Dieser schlägt einen schweizerdeutschen Text vor. Die Idee wird skeptisch aufgenommen. «Das klang so ungewohnt wie Esperanto auf Metal», erinnert sich Skelt! von P-27. «Aber der Groove war zweifelsohne da!»
Ein Aha-Erlebnis in Paris
Wie alle in der jungen Basler Hip-Hop-Szene hatte auch Black Tiger seine ersten Raps in Englisch verfasst, beeindruckt von den grossen Vorbildern aus den USA. 1987 schrieb der Gymnasiast seine ersten Texte, musste dafür aber von einer Kollegin für seine Aussprache Kritik einstecken. 1989 sah er in Paris eine Gruppe, die französisch rappte und war fasziniert: Das Publikum verstand nicht nur die Texte, es schrie sie sogar mit. Unter diesem Eindruck entschied er sich, vermehrt in seiner eigenen Sprache, dem Basler Dialekt, zu rappen.
Für seine Texte zehrte er von eigenen Erfahrungen. Black Tiger war leidenschaftlicher Sprayer und erlebte eines Nachts auf den Basler Bahngeleisen, wie ihm ein Geschoss um die Ohren flog. Eine Kugel. Die Polizei sei es nicht gewesen, meint er, eher ein Nachtwächter, wahrscheinlich aber sogar eine Privatperson. «Einige Leute hatten sich damals zu einer Bürgerwehr zusammengeschlossen, um gegen die Graffiti-Szene vorzugehen», erinnert er sich. «Wir fürchteten diese Patrouillen und hassten sie gleichzeitig. Uns ging es ja mit dem Sprayen nicht um Vandalismus, sondern um Kreativität und Selbstverwirklichung. Hätte es genügend amtlich bewilligte Graffiti-Wände gegeben, dann hätte ich dort gesprayt.»
Black Tiger griff in die Tasten seiner Hermes-Schreibmaschine, verfasste sein Manifest pro Graffiti. Im Studio raspelte er dieses über die Beats von P-27, als Gastbeitrag zu den kurios-bedrohlichen Englisch-Reimen von Scen und Tron. Fertig war «Murder by Dialect», der Klassiker, der den MundartRap-Boom begründete und noch viele Jahre später auf Schulhöfen und in Jugendzentren zitiert wurde: «Basel, dä Rap isch für di!»
Murder by Dialect: Der Text von Black Tiger
Ich bin e Schprayer und ich schpray, won ich will!
Das isch e Basler Rap, drum los zue und sig schtill!
D’Polizei will mi schtoppe, das schaffe die nie!
Wenn die mi schtresse wän, hän sie nur drmit Mieh.
Ihr saget ich vrschmirr alles und sig e Vandal,
doch ich vrzier nur Betonwänd, wo gruusig sind und kahl.
Ich trag nur zur Vrschönrig vom Schtadtbild bi.
Graffiti isch e Kunscht. Kunscht isch alles für mi.
Ich hass dr graui Alltag vo däm hani gnueg.
Ich will nöm schtill si. Ich gib nieme Rue.
Es git Lüt, die sage ich sig e Typ ohni Niveau,
doch die wärde mi nie vrschtoh
In de Auge vo dr Polizei bin ich kriminell.
Zue dene sag ich nur eins: «Go to hell!»
Lönt mi in Rue und schtöret mi nit,
wenn ich am Bahnhof schpray, sunscht fänd ich das shit.
Bulleschtress und Bürgerwehr,
Lüt mit Hünd, bewaffnet mit Gwehr,
dummi Type, die mache mi vrruckt.
Die sölle mi in Rue lo suscht schloni zrugg.
Die wän mi manipuliere, fruschtriere,
damit ich nömme due Wänd vrschmiere.
d’Polizei will mi schtoppe und ins Gfängnis keie
damit ich ändlich ufhör alles z’vrschpraye.
Nur kai Angscht, ich wird nie ufhöre,
denn ich bi au eine vo dene Vrschwörer,
eine, wo d’Schtadt e kli farbiger macht,
graui Wänd lot vrsuffe in dr Farbepracht,
im Farbemeer, das isch nit schwer,
s’Ainzige, wo schtört isch d’Bürgerwehr.
Die söt me abschaffe, wie d’Armee.
In e Kischte vrpacke und ab drmit in See.
Du findisch Baseldütsche Rap nit guet,
doch du muesch zuegäh, ich ha wenigschtens Muet.
Ich bi dr erschti Typ, wo uf Baseldütsch rappt.
Das isch erscht e Vrsuech, drum isch’s nonig perfäkt.
Toys und Suckers, wo mi abemache,
über sönigi Lüt kann ich nur lache.
Die sölle mi in Friede lo,
so dummi Typpe los ich eifach schtoh
In Basel dört bin ich dehai.
D’Hip Hop Szene isch dört nit klai.
Es wimmlet dört vo Schprayer und Rapper,
Breakdancers, DJ’s und Tagger.
Unsri Hip Hop Szene isch im ko
Und sie wird sich nit ufhalte lo
Hip Hop, BUM (Basel’s Unity Movement), isch alles für mi.
Basel, dä Rap isch für di!
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11