Adam Driver: Zum Star geboren

Indie-Held, Star-Wars-Bösewicht, Jim Jarmuschs neuster Protegé: Der Amerikaner Adam Driver ist der Schauspieler der Stunde.

Der geborene Star: Adam Driver in Jim Jarmuschs «Paterson».

(Bild: FIlmcoopi)

Indie-Held, Star-Wars-Bösewicht, Jim Jarmuschs neuster Protegé: Der Amerikaner Adam Driver ist der Schauspieler der Stunde.

Plötzlich war er da. Schlaksig und segelohrig stand Adam Driver vor Supergirl Lena Dunham im Türrahmen, und man wusste: Gott hat einen Star erschaffen. Das passiert selten, dass man solches weiss. Das letzte Mal bei Léa Seydoux vielleicht. Oder davor bei Tilda Swinton.

Einen Star machen zwei Dinge aus: Präsenz und Aussehen. Präsenz ist sowas wie Charisma, aber weniger offensichtlich. Eine subtile Ausstrahlung, die keiner Worte bedarf. Star kommt in den Raum, Star nimmt den Raum ein. Dazu muss auch das Aussehen stimmen, und hier gilt: je seltsamer, desto besser. Wobei seltsam gar nicht hässlich bedeuten muss, eher einzigartig, ausserirdisch. Ein Star muss für etwas stehen, das gleichermassen ganz nah und ganz weit weg ist, er muss uns tief im Innern ansprechen und gleichzeitig unerreichbar sein. Wie die grosse Liebe oder ein Landgut in der Provence. Ein Star halt.

Wie Adam Driver.

Ja, so sieht ein Star aus. Adam Driver und «Girls»-Kollegin Lena Dunham.

Ja, so sieht ein Star aus. Adam Driver und «Girls»-Kollegin Lena Dunham.


Denn Driver erfüllt zweifellos beide Kriterien. Der 33-Jährige hat so viel Präsenz, dass man ihn den ganzen Tag nur anstarren will. In der Fernsehserie «Girls», wo er zum ersten Mal in der Rolle von Dunhams abstossendem Freund Adam auffiel, spulte man jeweils zurück, nur um sich dieses merkwürdige Wesen noch einmal anzuschauen. Ist der echt? War er. Obwohl das Gesicht dieses Adams so aussah, als wäre Gott bei seiner Erschaffung ziemlich in Eile gewesen. 

Ein bisschen zu abartig

Wenig passt so richtig, Mund, Nase, Ohren – alles ist ein bisschen zu gross, ein bisschen zu ungelenk, ein bisschen zu abartig. Adam Driver ist so sonderbar, dass es einen Twitter-Account für seine Brust und ein Katzenpendant zu seinem Gesicht gibt:  

Zur seltsamen Präsenz gehört aber auch seine Art, an die Dinge heranzugehen. Wie die Massnahme, die Driver ergriff, nachdem er mit knapp 20 wegen eines kaputten Brustbeins beim Marine Corps aussteigen musste.

Er entschied sich für die 180-Grad-Kehrtwende und sprach bei der renommierten Schauspielschule Juilliard in New York vor. Vom Militär auf die Bühne, zwei komplett verschiedene Welten, die höchstens die Tatsache verbindet, dass beide geradezu irrsinnig anspruchsvoll sind. Für Driver war diese Entscheidung aber ganz einfach zu erklären: Die extreme Herausforderung habe ihn halt gereizt. Wenn schon, dann richtig.

Brutale Disziplin, kein Mittelmass

Das erste Mal in Juilliard wurde er abgelehnt, also zog er zurück in seine Heimatstadt Indianapolis, hing als Alibi-Student an der dortigen Uni ab und wartete auf das nächste Vorsprechen.

Seine Beharrlichkeit lohnte sich: Beim nächsten Versuch bekam er den renommierten Ausbildungsplatz. Für die Uni oder eine sonstwie herkömmliche Ausbildung hatte er sich nie interessiert. Dafür ging er mit brutaler Disziplin an die Schauspielausbildung: «I felt like I wanted to do it! Really hard! Whatever it was! And I needed to calm down a little bit», sagte er 2014 dem «WWD»-Magazin. Adam Driver und Mittelmässigkeit – das gehört nicht zusammen.



Von der Hipsterserie ins Blockbuster-Kino: Driver schafft es auch, den Star Wars Bösewicht rauszuhängen.

Von der Hipsterserie ins Blockbuster-Kino: Driver schafft es auch, den Star Wars Bösewicht rauszuhängen.

So wenig wie Driver ins 21. Jahrhundert passt: Angeblich weiss er nicht, was eine Cloud ist, hat von Computern keine Ahnung und ruft seine Freunde an, statt Nachrichten zu verschicken. In seiner Freizeit trägt er Mokassins und spielt zu Hause auf seinem Second-Hand-Piano Rachmaninoff. Sagt man sich. Ein Star ist immer auch ein Faszinosum.

Vom Indie-Film zum Blockbuster

Ambitioniert und schräg schlug sich Driver also durch seine zweite harte Ausbildung und kriegte nach und nach Engagements, erst am Broadway, dann in der Serienlandschaft New Yorks. Hier traf er auch auf Lena Dunham und auf den hippen Direktor Noah Baumbach, der ihm seine erste Filmrolle im Indiefilm «Frances Ha» gab.

Es folgten die Coen Brüder («Inside LLewyn Davis»), Jeff Nichols («Midnight Special»), J.J. Abrams («Star Wars: The Force Awakens» – als Bösewicht Kylo Ren) und schliesslich Grandmaster Jarmusch. Für Driver die absolute Ehre: «Ich hätte sogar einer Colgate-Werbung zugesagt, wenn Jim Regie geführt hätte.» Entstanden ist ein Jarmusch wie wir ihn lieben:

In «Paterson» passiert nichts, und man ist verzaubert. Einfach mal dem Busfahrer Paterson dabei zusehen, wie er jeden Tag aufsteht, seine Frau küsst, die Menschen in der Stadt rumfährt, seinen Hund Gassi führt, in der Bar ums Eck ein Bier trinkt und dabei kleine Gedichte schreibt. 

Bezaubernde Eintönigkeit

Das ist eintönig, keine Frage, aber so ist das alltägliche Leben nunmal. Routine, Gewohnheit, Langmut. Was nicht zwangsläufig Belanglosigkeit mit sich ziehen muss. In genau dieser Aneinanderreihung von Trivialitäten nämlich öffnet sich der Blick für die kleinen, poetischen Irrungen des Alltags. Was uns Paulo-Coelho-Zitate seit Jahren sagen wollen, wird hier endlich angemessen vermittelt: Innehalten steigert die Lebensqualität.



Jeder Tag wie der andere: Paterson auf dem Weg zur Arbeit.

Jeder Tag wie der andere: Paterson auf dem Weg zur Arbeit. (Bild: FIlmcoopi)

Und das alles mit einer Stadt als Schauplatz, die nicht gerade als Vorzeigebeispiel für Lebensqualität steht: Paterson fährt Bus in Paterson, einer Kleinstadt mit hoher Kriminalitäts- und Arbeitslosenrate in New Jersey. Dass Protagonist und Schauplatz denselben Namen tragen, ist weder Zufall noch seichte Pointe – es ist Jarmusch.

Streber-Referenzen, ganz subtil

Denn Paterson ist nicht nur eine abgeranzte Kleinstadt in New Jersey, sondern Geburtsort des Beat-Poeten Allen Ginsberg und bedeutsamer Teil amerikanischer Literaturgeschichte: Der amerikanische Lyriker William Carlos Williams schrieb in den Vierzigerjahren einen fünfbändigen Gedichtzyklus zur Stadt, eine Art «Ulysses», nur halt für Paterson statt für Dublin. 

So eine Streber-Referenz kann schnell ganz schön kopflastig werden, zum Glück zieht es Jarmusch aber vor, sie nur im Hintergrund laufen zu lassen. Busfahrer Paterson liebt William Carlos Williams, William Carlos Williams liebte die Stadt Paterson – aber bis auf eine etwas bizarre Plauderei Patersons mit einem asiatischen Touristen werden wir von lyrischen Intellektualismen verschont. Jarmusch macht es uns einfach, er gibt uns Paterson, der durch Paterson und durch den Paterson in uns fährt – diese bescheidene, zufriedene Seite in uns, auf die wir viel zu selten hören.

Und so kommt man wie bei jedem Jim-Jarmusch-Film am Ende aus dem Kinosaal raus und fühlt, wie sich ein Schimmer über die Welt gelegt hat. Ganz zart und ganz tiefschürfend. Wie Adam Driver, der Star.

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