Die in Basel lebende Künstlerin Hannah Weinberger zeigt in der Kunsthalle Basel eine erste Einzelausstellung. Die Besucher werden zu Komponisten und haben – eher unbeabsichtigt – die Gelegenheit, künstlerischen Prozessen beizuwohnen.
Die Ausstellung von Hannah Weinberger in der Kunsthalle Basel ist eigentlich keine Ausstellung im traditionellen Sinn, sondern eine lange akustische Spur, die sich durch die fünf Säle des Untergeschosses zieht. Alles Visuelle ist eher Nebensache: In jedem Raum finden sich einige wenige Lautsprecher, Soundboxen und Kabel, welche die Boxen mit der Elektrik im Boden verbinden. Zudem gibt es in drei der Räume weisse, manchmal ganze Wände füllende Vorhänge zwecks Dämmung des Schalls.
«When You Leave, Walk Out Backwards, So I’ll Think You’re Walking In» lautet der Titel der Ausstellung, einen Song zitierend. Er benennt auf poetische Weise ein Leitmotiv: das der Bewegung des Betrachtenden. Durch diese werden die Besucherinnen und Besucher zu Komponisten ihres Stücks. Mit der Bewegung wird entschieden, wie die Musik zusammengefügt wird, in welcher Intensität bzw. mit welchem Übergang. Doch auch die Musik steuert die Bewegung: Klänge geben Anreize, in die eine oder andere Richtung zu gehen. Bald geht man hin und her ähnlich der manchmal sphärisch sich wiegenden Sounds.
Hannah Weinberger hat die Musik aus vorproduzierten Tracks zusammengesetzt wie sie in Audio-Programmen zu finden sind, womit die 1988 geborene Künstlerin sich als Teil der «Computer»-Generation erweist. Doch ihr geht es nicht wie in der elektronischen Musik darum, einen tanzbaren Beat zu finden, sondern aus den Spuren von Drum-Kits, Percussions, Bass, Grand Pianos, Synthezisern oder Strings eine allgemeingültige, harmonische Komposition, die auf Dur und Moll basiert, zu finden.
Die Arbeit hat sie eigens für die Kunsthalle Basel entwickelt. Stundenlang hat sie sich in den Räumen aufgehalten, um die Musik auf diese abzustimmen. Insgesamt 22 Stunden Musik hat Hannah Weinberger für die Ausstellung zusammengestellt und auf elf Kanäle in den fünf Räumen verteilt. Dabei sei sie «sehr intuitiv» vorgegangen. Ihre eher sanfte Musik, bei der es zwischendurch rhythmische Einschübe gibt, lässt sich als «Ambient», einer Variante der elektronischen Musik, bezeichnen. Wiederholungen und Überlagerungen, bilden weitere musikalische Erfahrungsmomente für die Besucher. Die Ausstellung wird zum Hörstück. Die Grenzen von Kunst- und Konzerthalle scheinen somit zu zerfliessen.
Assoziationen und Prozesse
In der zeitgenössischen Kunst sind wir seit den 1950er Jahren solche Gattungsüberschreitungen mit John Cage und Fluxus gewöhnt. Die Frage der Zuschreibung wird auch vernachlässigbar aufgrund des Erfahrungsgewinns: Unsere körperliche Anwesenheit ist wichtig! Wir sind unsere eigenen Komponisten! Doch wie steht es um die Qualität der Musik, die da jeder/jede für sich zusammenstellt? Wie gross sind die sprichwörtlichen Spielräume?
Der atmosphärischen Ambiente-Musik kann man kaum entkommen. Assoziationen an Barmusik, Tanz, After-work-Stimmung tauchen auf. Die Beurteilung der Musikqualität mag Musikspezialisten überlassen sein (Liebe Leserinnen und Leser, Bitte um Feedback!). Als Kunstkritikerin erlaube ich mir hier kein Urteil, sondern suche nach Resten von Visuellem: So bekommen die Anordnungen der Lautsprecher und der Vorhänge skulpturale bzw. installative Qualitäten, den in jedem Raum sind unterschiedliche technische Lösungen gefunden worden.
Hannah Weinberger hat mit einem Techniker zusammengearbeitet, der die Abdämmung der Räume mit den Vorhängen ausgetüftelt hat. Nur an einer Stelle ist sie von seinem Rat abgewichen: Im letzten, grössten Saal. Hier hängen Vorhänge nicht, wie vorgeschlagen, an den beiden Längsseiten, sondern nur an der abschliessenden Stirnwand. Ein optischer Schlusspunkt. Eine visuelle Setzung.
Doch auch für Hannah Weinberger scheint ihr jetziges Werk noch nicht ganz abgeschlossen zu sein. Sie überlegt, ob sie eine Performance aufführen lässt. Ihr eigenes Werk umfasst ebenfalls Performance sowie kollaborative Praktiken. Ihre Überlegung würde somit durchaus Sinn machen und evt. eine – noch ausstehende – Ergänzung sein. Doch ist ihre Arbeit damit schon «reif» für die altehrwürdige Kunsthalle? Es bleibt der Eindruck, dass wir einem künstlerischen Prozess beiwohnen. Die Definitionsmacht des Ortes, eine fertige Ausstellung zu präsentieren, kann sich hier als erdrückend wirken.
Chancen
Der Kunsthallendirektor Adam Szymczyk hat mit seiner Künstlerinnenwahl Mut zum Risiko bewiesen und einer jungen Vertreterin der Basler Kunstszene, die sonst eher selten in seinem Programm vertreten ist, Anlass für eine erste grosse Einzelausstellung gegeben. Indem er sie zeitgleich zu Cevdet Ereks Soundinstallation, die einige Ähnlichkeiten aufweist, im Obergeschloss zeigt, positioniert er sich hier sehr deutlich mit seinen kuratorischen Vorlieben.
Hannah Weinberger beendet gerade ihren MFA Abschluss an der Zürcher Hochschule der Künste. 2010 gab sie ein Konzert anlässlich der Regionale in der Kunsthalle Basel. Ihren ersten Auftritt in Basel hatte sie beim Shift Festival 2008. Dass sie noch am Entwickeln und Erproben ist, ist durchaus nachvollziehbar. Nehmen wir dies als Chance an.
>Hannah Weinberger: When You Leave, Walk Out Backwards, So I’ll Think You’re Walking In, Kunsthalle Basel vom 29.01. bis zum 18.03.2012. Vernissage: Samstag, 28. Januar, 19 Uhr.