Die Zürcher Choreografin Alexandra Bachzetsis zeigt in der Kaserne «Massacre: Variations on a Theme». So brutal, wie es der Titel verspricht, ist das Stück aber nicht. Leider.
Erst tut es ein bisschen weh. Schon ganz zu Beginn, als man gerade erst angekommen ist. Ein kleines Zwicken, das sich in der Magengegend breitmacht, wenn man sich die ganzen Menschen hier anschaut: eine einzige Bubble von Schwarz/Nude/Grau-angezogenen Millennials, mit hochgekrempelten Kappen und weissen Turnschuhen. Wie man selbst.
Man seufzt und denkt, so ist das eben mit dieser Normativität. Alle wollen anders, aber sind gleich und ziehen es vor, sich mit Gleichem zu vergleichen. Deshalb ist man ja auch hier an dieser Weltpremiere, denn Alexandra Bachzetsis spricht Millennial, ja sie verkörpert es geradezu, indem sie diese schwarzgrauhautfarbene Bubble in Bewegungen und Abläufe packt und auf die Bühne bringt.
Hoffentlich nix Triviales
Diese erste Selbsterkennung schmerzt, wie die Befürchtung, dass man heute Abend vielleicht nur eine paradehafte Untermauerung der eigenen Trivialität sehen wird. Der Titel «Massacre: Variations on a Theme» klingt da wie eine unheilvolle Verheissung, ein prophetisches Versprechen.
Aber erst mal hinsetzen jetzt.
Drei Musiker – einer an einem Laptop, zwei an zwei Flügeln – schräubeln an ihren Geräten rum, während das Publikum eintrudelt. Das kennt man von Bachzetsis – die Vorbereitung gehört zur Einleitung und ist von Stückbeginn an in vollem Gange. Es gibt keinen Moment des Anfangs, man kommt rein und man ist drin.
Flügel ohne Maestro
Auch dieses Mal wieder, obwohl die drei Tänzerinnen (oder «Performerinnen», da will man keine Unterscheidung machen) noch betont gelangweilt an den Bühnenenden rumstehen. Dann plötzlich aber spielt der eine Flügel auf, ganz von selbst, eine herrliche Komposition ohne ausführenden Musiker.
Kurz darauf betritt die erste Performerin die Bühne, wiegt ihren Kopf, immer wieder und weiter. Mit der Zeit kommt der Rest des Körpers dazu, die Redundanz wird zum Ritual, die Frau keucht leise. Man denkt an die amerikanische Philosophin Judith Butler und ihre Theorie des Gender als Konstrukt, als eine wiederholte Stilisierung des Körpers. Kraft in der Wiederholung, in der Ritualisierung, in der Ekstase.
Ekstatisch sind denn auch die folgenden 50 Minuten: eine Aneinanderreihung von repetitiven Bewegungsabläufen, die in ausgelassenen Zuckungen, Verdrehungen und Überspannungen münden. Nicht nur die Körper hat Bachzetsis instrumentalisiert, auch die Musik folgt diesem Schema des Rausches: Lärm und Stille sind perfekt eingesetzt und harmonieren makellos mit den Bewegungen.
Die drei Frauen tanzen ein ganzes Spektrum an Körpergeschichte ab – wobei «Tanz» für diese Form von Ausdruck als Bezeichnung dann doch etwas unbeholfen anmutet. Vielmehr ist es eine Übersetzung von kulturellen Körperbildern in Bewegungen. Stammestänze, Twerking, Tarantismus, alles da.
Eine anspruchsvolle Aufgabe, die ständig von der Gefahr begleitet ist, ins Plakative zu rutschen: Frauen, Kultur, Körper? Da ist jede Menge Klischee möglich.
Bachzetsis aber gelingt die Umsetzung, zumindest grösstenteils. Die einzigen Schwachstellen treten da hervor, wo die Körper nicht alleine auf der Bühne stehen. Plötzlich ist da ein Spiegel, ein Yoga-Klotz, ein mit Malerband umwickelter Schuh. Mal abgesehen davon, dass ein Spiegel die wohl plumpste Form einer Spiegelungsbekundung ist, sind diese Objekte auch ziemlich überflüssig. Sie sind und bleiben platte Akzente der starken Aussagen, die Bachzetsis in «Massacre: Variations on a Theme» trifft.
Aber das lässt man dem Stück durchgehen, die Tänzerinnen nämlich fügen ihre Körper so betörend nahtlos an die Musik an, dass das rumliegende Zeug nicht mehr stört. Auch das klingt reichlich klischiert, aber hat man es gesehen, weiss man, wovon die Rede ist.
Darstellerinnen wie frisch aus dem Publikum
Vielleicht liegt diese Instant-Connection mit den drei Darstellerinnen aber auch an ihrer Aufmache. «Acne-Modeschau!» flüstert die Begleitung belustigt und Recht hat sie: Die Drei sehen aus, als wären sie direkt dem hiesigen Szenie-Publikum entstiegen. Und vielleicht ist genau das die Ursache des Zwickens, das sich auch nach der Vorstellung nicht verflüchtigt hat: Man mochte dieses Stück, aber man weiss, dass es nicht weit genug gegangen ist. Und man weiss, dass man es mochte, weil es formal genau so aufgemacht war, dass es einem gefallen würde.
Ein Massaker ist was anderes, ein Massaker schmerzt, es wütet, es fordert Opfer. Aber vielleicht entlarvt sich dieses Stück ja so auch gerade selbst: Als Zurschaustellung übertriebener Selbstbezogenheit, aufgetakelter Hysterie, unechter Ernsthaftigkeit. Schwarzgrauhautfarben. Und das ist am Ende dann doch auch reichlich schmerzhaft.