Alfred Hitchcocks unverschämteste Schlusseinstellung

Das Stadtkino Basel erinnert an das grossartige Werk von Alfred Hitchcock. Dabei bringt es auch «Der unsichtbare Dritte» auf die Grossleinwand. Der Thriller mit Cary Grant auf der Flucht zählt zu den ersten Actionfilmen überhaupt.

Er rennt, er rennt, der Cary Grant.

Das Stadtkino Basel würdigt den «Master of Suspense»: Alfred Hitchcock. Dabei bringt es auch «Der unsichtbare Dritte» auf die Grossleinwand. Der Thriller mit Cary Grant auf der Flucht zählt zu den ersten Actionfilmen überhaupt – ein Klassiker, ohne den James Bond im Kino ein anderer wäre.

«Das ist seltsam.» – «Was?» – «Der Flieger besprüht ein Getreidefeld, wo gar kein Getreide ist.»

Wenn das nur das Seltsamste wäre, was Roger Thornhill widerfährt. Zuerst wird er wegen einer Verwechslung aus einer Hotellobby entführt. Dann hat er wegen Mordverdacht die Polizei am Hals, und schliesslich rettet ihn eine unbekannte Schöne mit einer Einladung in ihr Schlafwagenabteil vor der Verhaftung am Bahnhof. Nur um ihn tags darauf an ein vermeintlich klärendes Treffen draussen auf dem Land zu schicken, wo niemand ihn erwartet. Niemand ausser dieser Flieger, der ihn sogleich mit Maschinengewehrsalven durchs Maisfeld hetzt

«North by Northwest» (zu Deutsch «Der unsichtbare Dritte») war der Film, den Alfred Hitchcock nach «Vertigo» drehte, einem symbolbefrachteten Traumstück, in dem sich der Suspense durch das Taumeln des Protagonisten zwischen Realität, Täuschung und Wahn aufbaut, inszeniert mittels Spiegeleffekten, Farbfiltern und schwindelverursachenden Kamerafahrten. «North by Northwest» war das Gegenteil – eine temporeich erzählte Agentengeschichte mit grossen Landschaftsaufnahmen, geschliffen scharfen Dialogen und vielen Knalleffekten: Mord im Uno-Hauptquartier, deftige Prügeleien, ein explodierender Laster und als Klimax eine spektakuläre Fluchtszene über Mount Rushmore.

Das klingt, mit fast 60 Jahren Distanz, ganz und gar nach James Bond, und tatsächlich lässt sich der Einfluss von «North by Northwest» auf die berühmte Agentenreihe, die drei Jahre später im Kino lanciert wurde, nicht leugnen. Cary Grant spielte den Werbefachmann Thornhill mit einer derart schnöseligen Maskulinität, dass ihm noch vor Sean Connery die Rolle als 007 angeboten wurde (er lehnte ab), und sein Gegenspieler James Mason definierte als Gentleman mit guten Manieren, edlem Anzug und kultiviertem Geschmack einen Typ Bösewicht, den man als Bonds Nemesis mehrfach wiederfindet. Die berühmte Maisfeldszene taucht 1963 in «From Russia With Love» wieder auf, und wie bei 007 ordnet sich die Geheimdienstarbeit gehörig der flotten Action unter. Oder erinnert sich jemand daran, dass es in «North by Northwest» eigentlich darum geht, den Schmuggel eines Mikrofilms zu verhindern?

«Logik ist langweilig», antwortete Hitchcock 1962 in seinem berühmten Interview mit dem Meisterregisseur François Truffaut auf dessen Bemerkung, die Story des Films enthalte einige Löcher. Und Verwirrung ist in der Tat das grosse Thema dieses Films, vor allem für die Hauptfigur, die erst im letzten Drittel erfährt, was eigentlich gespielt wird. Anders als im Film Noir, in dem das Individuum ebenfalls zum Spielball obskurer Mächte wird, deren Ränke es nicht begreifen kann, unterwirft sich der vermeintliche Held Thornhill jedoch nicht völlig der Verschwörung, sondern entschliesst sich am Ende aus Nächstenliebe, das Mädchen aus den Fängen des Bösen zu retten. 

Der Liebe – oder zumindest der Triebe wegen: In der letzten Szene zieht Thornhill die junge Agentin aus dem klaffenden Abgrund heraus und direkt in sein Bett im Schlafwagenabteil. Und während sie umschlungen in die Laken fallen, fährt der Zug hinein in den dunklen Tunnel. Nichts an diesem Film ist zufällig, auch dieses Abschlussbild nicht: «Die impertinenteste Schlusseinstellung, die ich je gedreht habe», sagte Hitchcock über dieses Abschlussbild, mit dem er die damals noch gültigen rigiden Produktionsregeln gegen Sittlichkeitsverstösse im amerikanischen Film überlistete. Die List, die Manipulation, die Scharade und der Witz – sie gehören so sehr zu Hitchcocks Schaffen wie die zahlreichen Toten.
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Samstag, 7. Mai, 15.15 Uhr. Stadtkino, Basel.

Zum zweiten Mal in diesem Jahr widmet sich das Stadtkino Basel den Filmen von Alfred Hitchcock: Nachdem im Januar sein Frühwerk gewürdigt wurde, liegt die Programmwahl der nächsten Wochen auf den Hollywood-Jahren des britischen Meisterregisseurs. Gezeigt werden dabei nicht nur seine Meilensteine wie «North by Northwest», «Psycho», «Vertigo» oder «Rear Window», sondern auch eine Werkauswahl von Regisseuren, deren Schaffen deutlich von Hitchcock beeinflusst ist: David Lynch und Akira Kurosawa, John Carpenter und Martin Scorsese.

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