Als das Basler Museum «entartete Kunst» aufkaufte

Das Kunstmuseum Basel hat seine Werke der Klassischen Moderne neu gehängt. Und ermöglicht so einen aufschlussreichen Blick auf den Sammlungsmoment von 1939, als der damalige Direktor Georg Schmidt 21 Meisterwerke der «entarteten Kunst» aufkaufte.

Kuratorin Eva Reifert vor den einst «entarteten» Werken von Lovis Corinth.

(Bild: Dominique Spirgi)

Das Kunstmuseum Basel hat seine Werke der Klassischen Moderne neu gehängt. Und ermöglicht so einen aufschlussreichen Blick auf den Sammlungsmoment von 1939, als der damalige Direktor Georg Schmidt 21 Meisterwerke der «entarteten Kunst» aufkaufte.

Beim Namen Gurlitt denkt man spontan wohl an das Kunstmuseum Bern. Dieses hatte die Sammlung, die der Kunsthändler der Nationalsozialisten (und sein Sohn) gehortet hatten, geerbt. Nina Zimmer, die ehemalige Kuratorin für die Kunst des 19. Jahrhunderts und die Klassische Moderne am Kunstmuseum Basel und heutige Direktorin in Bern, stellt in ihrem Haus eine Ausstellung mit Werken «Entarteter Kunst» aus dem Gurlitt-Konvolut zusammen, die im November ihre Tore öffnen wird.

Mit Hildebrand Gurlitt und «entarteter Kunst» befasst sich auch Zimmers Nachfolgerin in Basel, Eva Reifert. Sie stellte sich der Herausforderung, die herausragende Basler Sammlung von Werken der Klassischen Moderne im zweiten Stock des Kunstmuseum-Hauptbaus von Grund auf neu zu hängen. Dahinter steckt die vorbildliche Idee, nicht nur die Kunst oder Kunstgeschichte, sondern auch Sammlungsgeschichte und -geschichten in den Fokus zu stellen.

Säuberung deutscher Museen

Vor diesem Hintergrund landet man Ende der 1930er-Jahre beim schrecklichsten Kapitel der Weltgeschichte, nämlich der neuen faschistischen Weltordnung, die die Nationalsozialisten etablieren wollten. Und im Fall der Kunst bei der «entarteten Kunst», also der Säuberung deutscher Museen von Werken, die als dekadent, unnatürlich und zersetzend diffamiert wurden.



Lovis Corinths «Ecce Homo» an der Ausstellung «Entartete Kunst» 1937 in München bevor es 1939 nach BAsel verkauft wurde.

Lovis Corinths «Ecce Homo» an der Ausstellung «Entartete Kunst» 1937 in München bevor es 1939 nach Basel verkauft wurde.

(Bild: bpk)

21 dieser Werke, die meisten von ihnen waren 1937 in der berüchtigten Ausstellung «Entartete Kunst» in den Münchner Hofgartenarkaden gezeigt worden, landeten in der Öffentlichen Kunstsammlung Basels. Der damalige Museumsdirektor Georg Schmidt nutzte die Gelegenheit, die Basler Sammlung mit Meisterwerken der deutschen Moderne zu bereichern.

Ausgestattet mit einem Sonderkredit der Basler Regierung ging Schmidt an der berüchtigten Auktion Fischer in Luzern auf Einkaufstour, die von Hermann Göring für die Veräusserung der geächteten Werke ins Ausland auserkoren wurde. Und in einem Depot in Berlin, wo er der Gefahr entgehen konnte, dass die begehrten Werke die Schwelle der Bezahlbarkeit überschreiten konnten. Hier leisteten die vom Propagandaministerium beauftragten Kunsthändler Karl Buchholz und Hildebrand Gurlitt nützliche Dienste.

Eine Ikone der «Entarteten Kunst»

Zu den dabei erstandenen Werken gehörte das grossformatige «Ecce Homo» (1925) von Lovis Corinth, die überwältigend düstere Darstellung der Leidensfigur Christi, die zum Kreuz geführt wird. Das Bild erschien auf vielen Fotografien der Ausstellung «Entartete Kunst», sodass es beinahe zu einer Art Ikone hierfür wurde. Allerdings sei es 1937 in München nur wenige Tage gezeigt worden, sagt Kuratorin Eva Reifert. «Offensichtlich war man sich nicht einig, ob dieses Werk wirklich als ‹entartet› gelten soll.»



«Ecce Homo» von Lovis Corinth (1925)

«Ecce Homo» von Lovis Corinth (1925) (Bild: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler)

Reifert erachtet es als wichtig, auf dieses Kapitel der Sammlungsgeschichte hinzuweisen. Ohne Tabus, aber auch mit der Präzisierung, dass sich das Kunstmuseum deswegen nicht zum Komplizen der nationalsozialistischen Kunstsäuberung gemacht habe. Und dass es sich nicht um Raubkunst handelt. «Die Bilder stammten alle aus deutschen Museen und nicht aus Wohnzimmern jüdischer Familien», betont sie. Und ohne Aufkauf wären sie verloren gewesen wie viele andere Bilder aus dieser Zeit.

Die neue Hängung, die diese Bilder nun zusammenbringt, zeigt, dass es kunstgeschichtlich einer Katastrophe gleichgekommen wäre, wären diese Meisterwerke verloren gegangen. Zum Ankauf aus dem Jahr 1939 gehört zum Beispiel das berückende Gemälde «Die Windsbraut» von Oskar Kokoschka, in dem die wilde (und zum Teil überbordende) Liebschaft des Malers zu seiner Geliebten Alma Mahler richtiggehend fühlbar wird.

Oder das ungestüme und wild-bewegte Werk «Tierschicksale» von Franz Marc, das einst zum Opfer eines Brands wurde und später von Marcs Künstlerfreund Paul Klee restauriert wurde. Einer von Marc Chagalls berühmten Rabbinern («La prisée / rabbin)» von 1923–1926 gehörte ebenso zum Ankauf wie Meisterwerke von Emil Nolde, Max Beckmann, Oskar Schlemmer, Paul Klee oder Otto Dix.



«Tierschicksale» von Franz Marc (1913).

«Tierschicksale» von Franz Marc (1913). (Bild: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler)

Oder Ernst Barlach. Georg Schmidt kaufte 1939 einen Bronzekopf, den der Künstler 1926 für ein Ehrendenkmal für die Toten des Ersten Weltkriegs in Güstrow geschaffen hatte. Der Kopf ist noch nie oder sicher seit vielen Jahrzehnten nicht mehr zu sehen gewesen.

Bei nicht wenigen Werken ist heute schwer nachvollziehbar, warum sie von den Nazis als «entartet» verstossen wurden. Etwa bei zwei Werken von Oskar Schlemmer, «bei denen man nicht versteht, warum sie dem deutschen Volk entzogen wurden», wie Reifert Schmidt zitiert. Oder bei Emil Nolde, der selber ein glühender Gefolgsmann der Nationalsozialisten war. Sein Landschaftsbild «Vorabend (Marschlandschaft)» (1916) hat nun wirklich nichts Aufrührerisches an sich. «Bei diesen Werken zeigt sich deutlich, dass die Verantwortlichen selber nicht wirklich wussten, was sie taten», sagt Reifert.

Heute Teil einer umfassenden Sammlung

Das Kunstmuseum Basel zeigt diesen Teil der Sammlungsgeschichte nicht abgeschottet, sondern bettet die 1939 angekauften Werke in das Gesamtkonvolut der deutschen Moderne ein, die nach dem Krieg zu einem bedeutenden Schwerpunkt angewachsen war. Auch sonst werden die herausragenden Sammlungsgeschichten, von denen es im Kunstmuseum Basel wahrlich viele zu erzählen gibt, schön eingebettet:

Etwa die legendäre Schenkung Raoul La Roche, die den Weltruhm des Basler Hauses unter anderem auf dem Gebiet des Kubismus begründete. Dann natürlich der nicht minder legendäre Picasso-Kauf von 1967, die Giacometti-Stiftung oder die Emanuel Hoffmann-Stiftung. Entstanden sind wunderbare Kunstlandschaften, die es erlauben, die Basler Sammlung neu kennenzulernen oder sie mit diesen neuen Einblicken wieder zu entdecken.

Oder alten Einblicken. Bereits der Gang die Treppe hoch wird zum Erlebnis, wenn man im weiten Vorraum zu den Gemäldegalerien des 2. Stocks auf das fast neun Meter breite Monumentalgemälde «Der Blick in die Unendlichkeit» von Ferdinand Hodler trifft. Viele Jahre hing das Bild weiter unten im Treppenhaus, jetzt ist es wieder an den Ort gelangt, wo es ursprünglich hing. Und der, so bekommt man das Gefühl, extra für dieses Werk geschaffen wurde.



Kleine Bildchen auf einem Plan: So entsteht eine Ausstellung.

Kleine Bildchen auf einem Plan: So entsteht eine Ausstellung. (Bild: Dominique Spirgi)


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«Entartete Kunst für Basel – ein komplexes Stück Sammungsgeschichte». Führung im Rahmen des Spezialprogramms des Internationalen Museumstags, der dem Thema «Mut zur Verantwortung! Sensible Themen im Museum» gewidmet ist. Sonntag, 21. Mai, 11, 13, und 15 Uhr.

TagesWoche-Kolumnist Georg Kreis hat sich mit dem Buch «‹Entartete› Kunst für Basel. Die Herausforderung von 1939» ausführlich mit den Basler Ankäufen befasst. In der TagesWoche nahm er dieses Thema 2013 in einem Artikel wieder auf:

Geschäfte in der Grauzone

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