Am Schnittpunkt zwischen Kunst und Realität

Eine reduzierte Ästethik und künstlerische Arbeiten mit dokumentarischem Charakter: So liesse sich die Ausstellung «Streulicht» im Ausstellungsraum Klingental in aller Kürze umschreiben.

Mondlandschaft oder Schnee auf einem Parkplatz? («mt tim hortons 001»). (Bild: Thomas Kneubühler)

Eine reduzierte Ästethik und künstlerische Arbeiten mit dokumentarischem Charakter: So liesse sich die Ausstellung «Streulicht» im Ausstellungsraum Klingental in aller Kürze umschreiben.

Ists draussen hell, so scheint das Innere des Ausstellungsraum Klingental umso dunkler. Eine veritable Blackbox. Und das erste, was ins Auge fällt, sind Bilder von Schneelandschaften. Dunkle Töne und hell erleuchtetes Weiss, kühl.

«Streulicht»
Ausstellungsraum Klingental, Kasernenstr. 23, Basel. Bis 12. Mai.
Gespräch der Künstler «Über die Präsenz von Abwesendem» mit Bettina Stucky, Thomas Maissen, Felix Stalder und Stéphane Vuilleumier, 3. Mai, 20 Uhr.
www.ausstellungsraum.ch

Die Fotografien stammen von Thomas Kneubühler. Seit Jahren lebt der Schweizer in Montréal, nennt inzwischen auch den kanadischen Pass sein eigen, und hat für die Serie «Electric Mountains» 2009 künstlich beleuchtete Skipisten bei Québec in der Nacht fotografiert. Wie weisse, kalte Lava ergiessen sich die Pisten über die Hänge der Hügel, von unzähligen Scheinwerfern beschienen. Realität erhält eine unwirkliche Ästhetik. Nicht anders wirkt aufgeschütteter Schnee auf dem Parkplatz eines Einkaufzentrums: Man glaubt, auf eine Mondlandschaft zu blicken.

Polarnacht

Die zweite Arbeit Kneubühlers, die in der Ausstellung «Streulicht» gezeigt wird – seine neueste –, nimmt Bezug auf eine Expedition des Künstlers in eine kanadische Militärstation 800 Kilometer vom Nordpol entfernt – mitten in schwärzester Polarnacht. Eine Videoarbeit zeigt, wie aus der Dunkelheit langsam die Konturen einer Landschaft erwachsen. So, als würden sich die Augen mit der Zeit anpassen und die Fähigkeit erlangen, in der Schwärze der Nacht zu sehen.

Kneubühlers Werke liegen am Schnittpunkt zwischen Kunst und Dokumentation. Hier wird nichts verfälscht, und die Motive sind grundsätzlich vollkommen unspektakulär. Und doch ist man sich nicht sicher, ob das Gesehene der Realität entspricht, oder ob die Realität der Ästhetik zuliebe verfremdet wurde.

Kunst oder Realität?

Die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Realität kann man auch in Bezug auf die Arbeiten Thomas Islers stellen. Stärker noch als bei Kneubühler wirkt der dokumentarische Charakter seiner Filme. Zwei davon präsentiert er im Klingental. Bald wird klar: Isler interessiert sich für Menschen und ihre Schicksale – persönliche oder kollektive. Für eine seiner Arbeiten, «Orientalisches Café», befragte er 2007 Ägypterinnen und Ägypter zu den Auswirkungen des 11. September 2001 auf ihren Alltag. Einige davon besuchte er nun wieder, um eine Art Fortsetzung zu drehen: In «Happy Moment of History» sprechen drei Zeitzeugen der ägyptischen Revolution über persönliche Erlebnisse während der Ereignisse rund um den Tahrir-Platz in Kairo.

Drei Projektionen sind es, an drei der vier Wände eines Raumes geworfen, die im Wechsel die einzelnen Personen zu Wort kommen lassen. An der vierten Wand hängt ein Fernseher, auf dem ein Live-Stream des TV-Senders «Al Jazeera» zu sehen ist. Während die erzählten Erinnerungen der Personen mehr und mehr zu historischen Zeugnissen werden, hält uns dieser Fernseher den Spiegel der Gegenwart vor.

Die zweite Arbeit Islers ist ein filmisches Doppelporträt. «Janaïna», eine junge Frau, erzählt uns die Geschichte ihres Vaters. Sie erzählt sie aber auch sich selbst, dergestalt, dass Isler zwei Projektionen sich gegenüberstellt, so dass Janaïna sich gegenübersitzt und zuhört. Diese Parallelmontage ist es, die Islers Werk von einem dokumentarischen Film abhebt. Gleichzeitig stellt sich damit sofort die Frage, wieviel an dieser Arbeit nun tatsächlich echt und wieviel fiktional ist.

Oder anders gefragt: Wo hört die Realität auf und wo fängt die Kunst an?

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