Sie sitzen wie alte Leute auf ihren Stühlen, scheinbar intentions- und antriebslos: die Mitglieder der Skulpturengruppe von Andra Ursuta im Obergeschoss der Kunsthalle Basel.
Im Oberlichtsaal der Kunsthalle Basel ist derzeit unter dem Titel «Whites» eine eigens für Basel geschaffene Werkgruppe der rumänischen Künstlerin Andra Ursuta zu sehen: 14 Gestalten sitzen da, wunderbare geometrische Variationen der Grundform des freistehenden, sich nach oben verjüngenden Obelisken mit pyramidalem Abschluss.
Andra Ursuta ist 1979 in Salonta geboren. «Whites» ist ihre erste Einzelausstellung in der Schweiz. Die Skulpturen und Installationen waren jedoch in New York, wo die Künstlerin seit dem Jahr 2000 lebt, schon mehrmals zu sehen – zum Beispiel auch im New Museum, das ihr demnächst eine monografische Ausstellung widmet. Ursuta war ebenso an der letzten Biennale in Venedig vertreten oder letztes Jahr mit ihrer ersten Ausstellung in Deutschland im Kölnischen Kunstverein.
Der Obelisk verkörperte bereits im alten Ägypten als Darstellung eines Sonnenstrahls die Macht der Sonne und ist seither in zahlreichen Variationen in die Geschichte der Skulptur eingegangen. Ursutas Ensemble geht auf ihre Arbeit «Broken Obelisk» von 2013 zurück, welche ihrerseits auf Barnett Newmans gleichnamige monumentale Stahlskulptur aus den 60er-Jahren verweist.
Geometrische Körper
Ursutas Obelisken in der Kunsthalle sind sehr hell, aus quasi nude-farbenem Acryl-Giessharz – eine eher bemerkenswerte Ausnahme im Werk der meist als melancholisch und düster beschriebenen Rumänin. Die Obelisken sind jedoch nicht nur Bruchstücke, wie der Titel der ersten Skulptur von 2013 bereits vermerkt. Sie sind auch alles andere als freistehend: Sie benötigen eine Sitzgelegenheit, um sich aufrecht halten zu können. Dafür hat die Künstlerin 14 Stühle aus verschiedenen Elementen neu zusammengesetzt. So findet sich etwa auf den Metallbeinen eines Eames Chairs eine rot bemalte Holzsitzfläche mit folkloristisch gedrechselter Rückenlehne.
Unterschiedlichste Stühle ergeben vielfältige Sockel. (Bild: Philipp Hänger)
In unterschiedlicher Höhe, Breite und Farbgebung bilden diese Stühle die Sockel der Skulpturen, die hier jedoch klar als Teil der Arbeit selbst fungieren. Der Ausstellungstext erwähnt die Parallele zu dem berühmten Landsmann Ursutas, Constantin Brancusi, der als Erster in seinen Skulpturen die Unterscheidbarkeit einer rein der Präsentation dienenden Funktion des Sockels aufgelöst hatte.
Drei der Stühle verweisen ausserdem auf Elemente einer eigenen Arbeit von 2014 – «Even More Love Hurts»: Ein überdimensionierter Tisch aus künstlichem Aspik mit eingelegtem Gemüse und Eiern, die ebenfalls nachgegossen und naturidentisch koloriert waren. Die Gussformen für die kleinformatigen Gemüse- und Ei-Stückchen hat sie wieder verwendet, um Sitzschalen und Sitzflächen für die aufgebrochenen Obelisken zu schaffen.
Morbide menschliche Züge
In die noch nicht ausgehärteten geometrischen Grundkörper fügt sie Abgüsse von Augenhöhlen aus menschlichen Schädeln ein, ebenso wie Naseninnenräume, wie sie für das Anatomiestudium verwendet werden oder Abgüsse menschlicher Gebisse, und verleiht ihnen so anthropomorphe Züge. Auf geometrischer Ebene spielt sie mit Verdoppelungen, Verschiebungen, Spiegelungen, Cut-outs und Additionen der pyramidalen Spitze des Obelisk.
Gebiss oben, Augen unten. (Bild: Philipp Hänger)
Auch die Gesichter der Sitzenden erscheinen in frei variierender Zusammensetzung: Da sitzt etwa die Nase über den Augen, sind drei Gebisse übereinander gelagert, oder blicken Augenhöhlen ins Innere einer pyramidalen Form. Die Abgüsse eines Sitzkissens oder eines Hutes, ebenfalls mit Augenhöhlen versehen, kommen neu hinzu und unterstreichen die Mischung aus weicher, menschlicher Formensprache mit der Geometrie von Marmorskulpturen.
Widersprüchliche Strahlkraft
Während der erste Protagonist von 2013 noch als oben geschlossene Obeliskform mit angewinkelten Oberschenkeln und abgebrochenen Unterschenkeln auf einem Stuhl sass und mit seinen beiden Abgüssen menschlicher Augenhöhlen blicklos aus einem Fenster sah, hat Ursuta zwei Jahre später eine Gruppe stumm miteinander und aneinander vorbei kommunizierender Obelisken geschaffen.
Die Formensprache wird nun deutlich komplexer. Durch ihre intensive Variation des Grundthemas des Obelisken erreicht die Künstlerin – bei aller Immobilität der Körper an sich – eine Mobilisierung der Form, die nach allen Seiten hin in Bewegung gerät. Sie macht ihre Skulpturen nicht nur pflegebedürftig, sie bricht auch deren geometrische Geschlossenheit auf. Gleichzeitig verkörpern die zerklüfteten Figuren einen starken kreativen Prozess, welcher in Auseinandersetzung mit der ursprünglichen Form eindringliche Neuschöpfungen hervorgebracht hat.
Ambivalenz als Programm
Ist in den Räumen im Untergeschoss der Kunsthalle mit Maryam Jafri, deren Ausstellung wir bereits besprochen haben, eine Künstlerin vertreten, deren konsumkritische Aussage und Intention sehr deutlich hervortritt, hat Elena Filipovic, die Direktorin der Kunsthalle, für die parallele Ausstellung im Obergeschoss bewusst eine gegensätzliche Position gewählt. Andra Ursuta gehört zu den Künstlerinnen, welche ihre Werke auf eine mehrschichtige Lesart hin anlegen.
Ursuta selbst bietet im Ausstellungstext beispielsweise eine von zahlreichen weiteren möglichen Lesarten des Skulpturenensembles an als erschöpfte Insassen einer «geriatrischen Klinik». Durch den deutlichen Bezug auf die Grundform des Obelisken und die damit verbundene Tradition über die Skulptur der Moderne bis in die Gegenwart, hin zum eigenen Werk, verkörpern sie eine sich selbst erschöpfende und gleichzeitig auch immer wieder neu schöpfende Vorstellung von Kunst.
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Andra Ursuta, «Whites», 4. 9. – 1. 11. 2015, Kunsthalle Basel.
Zur Ausstellung ist ein kurzer Begleittext erschienen.