Aussenseiter in der archaischen Männerwelt

Als Hausautorin des Theater Basel hat die gefeierte Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji mit «Schildkrötensoldat» einen Text geschaffen, der zwar durch seine kraftvolle Sprache fasziniert, gleichzeitig aber wenig dramatische Ausdrucksmöglichkeiten zulässt.

Der «Schildkrötensoldat» Zoli, gespielt von Joanna Kapsch. (Bild: Simon Hallström)

Als Hausautorin des Theater Basel hat die gefeierte Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji mit «Schildkrötensoldat» einen Text geschaffen, der zwar durch seine kraftvolle Sprache fasziniert, gleichzeitig aber wenig dramatische Ausdrucksmöglichkeiten zulässt.

Normalerweise wird die Autorin eines Stücks beim Schlussapplaus der Uraufführung auf die Bühne geholt. Nicht so bei «Schildkrötensoldat» auf der Kleinen Bühne des Theater Basel. Während das Ensemble und das künstlerische Leitungsteam den warmen Applaus entgegennahmen, blieb Melinda Nadj Abonji, von den Protagonisten auf der Bühne gänzlich unbeachtet, abwesend.

Man könnte daraus ableiten, dass die Zusammenarbeit zwischen der Autorin und den ausführenden Künstlerinnen und Künstler vielleicht nicht ganz problemlos abgelaufen ist. Vieldeutig ist auch die Anmerkung im Programmheft, dass der Regisseur des Abends, Patrick Gusset, den Text der Hausautorin offensichtlich in eine Bühnenfassung umarbeiten musste, als wäre es darum gegangen, einen Roman oder eine Erzählung zu dramatisieren.

Kraftvolle Sprache, saftlose Dramatik

Das sind alles Spekulationen. Sicher ist aber, dass da ein Text zur Uraufführung gebracht wurde, dem man nur eine bedingte Bühnentauglichkeit zusprechen kann. Es ist eine kraftvolle Sprache, die man zu hören bekommt, mit Sätzen, die wahrhaftig unter die Haut gehen. Dass sie schreiben kann, dass sie Sätze von grosser Ausdruckskraft findet, hat die Trägerin des Deutschen und Schweizer Buchpreises 2010 ja bereits hinlänglich unter Beweise stellen können. Und sie hat es jetzt erneut getan.

Herausragendes Schauspiel

Aber es ist ein Prosatext, der über weite Strecken auf der erzählerischen Ebene steckenbleibt und nur wenig Dialogszenen enthält. Das ist schade, weil auf der Bühne zwei Schauspieler und eine Schauspielerin (Andreas Bittl, David Berger und Joanna Kapsch) zu erleben sind, die eine herausragende Leistung zeigen und vom Musiker Lukas Huber auf dem Klavier und einer Samplingmaschine mit einem einnehmenden Soundmix, der sich quer durch das E- und U-Musikrepertoire bewegt, wunderbar begleitet werden.

Aussenseiter in der militärischen Männerwelt

Während Nadj Abonji in ihrem gefeierten Roman «Tauben fliegen auf» das Schicksal einer in der Schweiz lebenden Migrantenfamilie aus Serbien beschrieben hat, geht es in «Schildkrötensoldat» um einen jungen Mann, der nicht aus Serbien ausgereist ist, aber mit der archaischen Männerwelt, mit der er in seiner Bäckerlehre, im Zigeunerumfeld seiner Familie und später erst recht in der Armee konfrontiert ist, ganz und gar nicht zurecht kommt. Sie präsentiert uns Zoli, der lieber Blumen spritzt als Schnaps säuft, der sich, obschon er als Stotterer gilt (auf er Bühne aber kaum wirklich als solcher wahrgenommen werden kann) lieber in seine poetischen Sprachwelten zurückzieht, als an Männerritualen teilzunehmen.

Joanna Kapsch spielt diese geplagte Aussenseiterfigur mit grosser Einfühlsamkeit: als wuscheligen Rotschopf, der in Selbstgesprächen trotzig aber verinnerlicht gegen sein Umfeld ankämpft, ohne damit etwas erreichen zu können. Als Gegenüber wechseln Andreas Bittl (als Vater und Militärkamerad) sowie David Berger (als Bäckermeister, Leutnant, Mutter und Arzt) souverän ihre Rollen. Alle drei finden zudem zum erzählenden Chorreigen zusammen.

Märchenhaftes Scherenschnittdekor

Patrick Gusset (Regie), Chasper Bertschinger (Bühne) und Svenja Gassen (Kostüme) haben das Ganze in ein märchenhaftes Scherenschnittdekor eingebettet und damit einen symbolgeladenen Rahmen für die lakonische Textvorlage geschaffen: einen Garten mit schwebenden Papierblumen, in den sich Zoli so gerne zurückzieht, um die Blumen mit einer rauchenden Giesskanne zu bewässern. Da sind aber auch die Umrisse explodierender Granaten, vor denen die Soldaten in grotesken roten Uniformen wie Marionetten von der Bühnendecke herunterzuhängen scheinen.

Es sind zum Teil stimmige Bilder, die man zu sehen bekommt, und es ist, wie bereits erwähnt, eine kraftvolle Sprache, die zu hören ist. Das Schauspieltrio überzeugt durch eindrückliche Bühnenpräsenz. Trotzdem bleibt am Schluss der Eindruck, dass die Hausautorin und das Theater nicht richtig zusammengefunden haben, dass da der dramatische Anspruch des Theaters mit einem Text zu kämpfen hatte, der eigentlich gar nicht wirklich gespielt werden wollte.

«Schildkrötensoldat» (UA)
von Melinda Nadj Abonji (in einer Bühnenfassung von Patrick Gusset) im Rahmen des Stücklabors Basel
Regie: Patrick Gusset, Bühne: Chaschper Bertschinger, Kostüme: Svenja Gassen, Musik: Lukas Huber und Jannik Giger
Mit: Joanna Kapsch, Andreas Bittl und David Berger
Weitere Vorstellungen: 19., 25., 31. Mai und im Juni, Theater Basel, Kleine Bühne

 

 

 

 

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