Basel hat jetzt einen eigenen Ghostpainter

Seine Spuren hinterlässt er mit Vorliebe an Litfasssäulen. Seine Handschrift zeugt von grosser Eile, und dennoch setzen seine Kunstwerke Basels Schokoladenseite in Szene. Die Stadt hat einen neuen Street-Artisten – schon entdeckt?

(Bild: Daniel Faulhaber)

Seine Spuren hinterlässt er mit Vorliebe an Litfasssäulen. Seine Handschrift zeugt von grosser Eile, und dennoch setzen seine Kunstwerke Basels Schokoladenseite in Szene. Die Stadt hat einen neuen Street-Artisten – schon entdeckt?

Die Art Basel 2016 ist seit etwas mehr als einer Woche Geschichte. Und damit schillernde Tage wie aus dem Hochglanzprospekt. Adieu Plateauschuhe, tschüss Glitzerjackets, spontane Performances auf der Strasse nur noch gegen Bewilligung, please, ist schliesslich Allmend hier. 

Die ganze Kreativität zieht sich also zurück in ihren angestammten Art Space. Die ganze Kreativität? Nicht ganz. Ein unbekannter Künstler leistet Widerstand und lässt sich mit seinen kreativen Ergüssen nicht vom Messekalender beeinflussen. Gesehen hat ihn noch niemand, weshalb wir nicht gleich in undergroundsche Hyperventilation à la Banksy-Jüngerschaft verfallen wollen, aber subtil ins Stadtbild eingestreut sind die Kunstwerke allemal. Schon gesehen?




Marktplatz, Rathaus. (Bild: Daniel Faulhaber)

Seine Spuren hinterlässt der oder die Unbekannte mit Vorliebe dort, wo Basel am prägnantesten ist. Vor dem Rathaus zum Beispiel, oder vor der Clarakirche, dem Rocheturm (Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters), dem Messeturm. Er setzt die dominanten Bauten der Stadt perspektivisch in Szene, indem er das Original hinter dem Abbild wie ein Schatten erscheinen lässt. Im Vordergrund das Bild, hinten der Bau.




Rheinufer Breite, Rocheturm. (Bild: Daniel Faulhaber)

Als Staffelei dienen dem Stadtporträt-Maler dabei die 1854 von Ernst Litfass zu Werbezwecken erfundenen, ebenmässig geschwungenen Zylinder, auch Litfasssäulen genannt. Hier sucht er sich meistens eins der Rechtecke aus und bringt auf braunem Packpapier seine Kunst zum Ausdruck.




Innenstadt, gegenüber der Mitte. (Bild: Daniel Faulhaber)

Dem Gelegenheits-Kunstkritiker stechen rasch die klare Handschrift und die reduzierte Farbpalette ins Auge, die der Künstler seinen Bildern angedeihen lässt. Einfache Striche mit halbdickem Pinsel aufgetragen, der Minimalismus schafft Raum für eigene Interpretationen und verleiht den porträtierten Bauten einen ganz neuen, in Zweidimensionalität gebannten Charme. Die der Schwerkraft geschuldeten Schlieren am unteren Bildrand sprechen für den impulsiven Charakter des Künstlers, der seine Kunst offensichtlich sprichwörtlich «im Vorbeigehen» hinterlässt.




Marktplatz, noch mal Rathaus. (Bild: Daniel Faulhaber)

Wir wollen nicht unterschlagen, dass es sich bei dieser «Open Air Performance» wohl um einen Akt der Wildplakatiererei handelt. Doch ist es nicht der Regelbruch, den viele an den durchgestylten scheinprovokanten Messekunstwerken immer so vermissen? This is real, people. Und ausserdem ein «Delikt», das sich auch schon die Migros oder der Sänger Seven zuschulden haben kommen lassen, und das damit einen überschaubaren Kriminalitätsgehalt aufweist.




Messeplatz, Messeturm. (Bild: Daniel Faulhaber)

Einzig – und um der etwaigen Möglichkeit vorzubeugen, uns mit dieser kleinen Kunstkritik der Lächerlichkeit preiszugeben: Bei den Plakaten könnte es sich auch einfach um eine reguläre Plakatkampagne handeln. Galerie XY wirbt für ihre Vernissage, opening date coming soon, oder so was in der Art. Wir wären der Werbeaktion dann synchron mit den Plakaten auf den Leim gegangen.

Bei der Plakatgesellschaft APG wusste auf unsere Nachfrage hin im ersten Moment allerdings niemand Bescheid.

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