20 Jahre nach dem ersten Dialekt-Rap steckt die Szene in der Krise. Grössen wie Greis, Taz, Black Tiger oder Pyro können der Tatsache, dass der Hip-Hop-Boom abgeflaut ist, durchaus positive Aspekte abgewinnen.
Es hätte so schön sein können. Keine zehn Jahre nach dem ersten Mundart-Rap schien Schweizer Hip-Hop um die Jahrtausendwende in aller Munde. Eine stattliche Anzahl hiesiger Künstler lief jahrelang auf dem Musiksender Viva in Heavy Rotation, stürmte später sogar die nationalen Charts.
An vorderster Front dabei: die Region Basel, die dank Black Tiger, P-27 und Luana nicht nur Schweizer Rap-Pioniere stellte, sondern mit jungen, ja fast noch jugendlichen Crews wie Brandhärd und TAFS ganz entscheidend mithalf, die bis anhin tief in der Subkultur verwurzelte Szene nachhaltig zu popularisieren.
«Damals haben wir Rap mit Löffeln gefressen», erinnert sich TAFS-Frontmann Taz: «Mundart-Rap füllte mühelos die Clubs, plötzlich spielten wir an Open Airs vor mehreren zehntausend Leuten, die total abgingen. Alle hatten das Gefühl, dass Hip-Hop das nächste grosse Ding sei, hatten den Traum, richtig gross zu werden.»
Heute dagegen, im Herbst 2011, herrscht Katerstimmung. Gerade noch zwei «Rapper» können sich länger in der Hitparade halten: Bligg und Stress. Beide haben ihre «Street Credibility», ihre Glaubwürdigkeit und Szenennähe aber längst verloren. «D Party isch vrby» betitelte der Berner Baze sein letztjähriges Werk mit bittersüsser Ironie.
Resignation und Realitätsverluste
In Basel, einst Hochburg des Hip-Hop, finden kaum noch regelmässige Rap-Events statt, viele Szene-Exponenten haben sich resigniert zurückgezogen oder im Falle des Basler Muskelpakets Griot gar den Rücktritt verkündet. «Die Szene ist in der harten Realität gelandet. Wer seine Ansprüche nicht massiv zurückschraubt, hört frustriert auf», stellt Taz nüchtern fest.
«Die Rap-Blase ist geplatzt», bringt es Greis auf den Punkt: «Und im derzeitigen Dunst kann man noch nicht genau erkennen, wo und wie es weitergeht.» Der Berner Poet, seit vielen Jahren Wahlbasler, sieht die Verantwortung für das Ende des RapBooms bei der Szene selbst: «Rap ist jetzt da, wo er sein soll, wo er sein muss: in der Subkultur.» Dass die Hip-Hop-Szene wieder in den Untergrund gehe, findet Greis gut und richtig. Denn: Zeitweise habe eine unglaubliche «Blasiertheit» geherrscht: «Da äusserten gewisse Rap-Crews Sonderwünsche beim Konzert-Catering, das glaubt heute kein Mensch mehr.» Manche hätten in der ersten Euphorie einen veritablen Realitätsverlust erlitten.
Vom Kick zum Kollaps
In den Augen von Greis tragen auch die neuen Medien, Musiksender, Blogs und Gratiszeitungen eine Mitschuld: Sie hätten junge MCs rücksichtslos gehypt, ja richtiggehend verheizt: «Viele Künstler waren gar nicht ready für diese Art von Öffentlichkeit, bekamen rasch viel zu viel Aufmerksamkeit und brannten extrem schnell aus.» Er selber wolle darob allerdings keinesfalls zum «Gränni» werden: «Wir sitzen jetzt im gleichen Boot wie hochqualifizierte Jazzmusiker.» Auch die müssten halt manchmal einen Bürojob machen oder kellnern gehen, wenn es gerade nicht so läuft. Greis’ Fazit: «Fick die grosse Chance! Das ist ein Trugschluss. Eine nachhaltige Karriere aufzubauen, ist viel, viel wertvoller.»
Ähnlich argumentiert auch der Basler Freestyle-Profi Pyro, der 2008 mit «Hoffnigsfungge» einen Achtungserfolg landete. «Es nervt mich, wenn Hip-Hop von den Medien ständig totgeschrieben wird. Nicht Hip-Hop ist tot, sondern der Hype, den die Medien selber angezettelt haben.» Dieser habe bei vielen jungen Rappern zu einer blinden Suche nach Ruhm geführt: «Es ging nur noch darum, so schnell wie möglich bekannt zu werden. Je extremer das Image und die Aussagen, desto schneller stürzten sich die Medien drauf. Die, die am lautesten schreien, sind oft diejenigen, die am wenigsten dafür tun, dass Hip-Hop am Leben bleibt.» «Fame», den Respekt in der Szene, könne man aber nicht erzwingen, sagt Pyro: «Der kommt durch Leistung und Hartnäckigkeit. Einigen fehlte die gesunde Selbsteinschätzung gegenüber dem eigenen Talent und Können.»
Pyro selbst, das hat er mit Greis und Taz gemein, ist gar nicht unglücklich über das Ende des Rap-Booms. «Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer mit Rap einfach berühmt werden und Kohle scheffeln wollte, steigt aus. Wer Rap aus Freude und Leidenschaft macht, bleibt – und das sind hierzulande immer noch genügend Leute.»
Gangstas versus Denker
Innerhalb der Szene ist längst nicht alles eitel Sonnenschein. Einer der schwelenden Konflikte betrifft das Macho-Image, das konservative Männerbild, das in den vergangenen Jahren von amerikanischen und deutschen Gangsta-Rappern wie 50 Cent oder Bushido auch in die Schweiz importiert wurde. «Gerade die Jungs aus schwierigen Verhältnissen identifizieren sich extrem mit der Figur des Gangsta-Rappers», meint etwa Kid Babaku von der Basler Crew KWAT, die am 26. November im Sommercasino die Taufe ihres Albums «Dopamin» feiert. «Es reicht aber nicht aus, einfach über einem knalligen Beat den GhettoBoy zu mimen. Ein guter MC muss auch ein Poet, Künstler, Musiker sein. Viele Nachwuchs-Rapper sehen dabei nicht, dass ihre Sensitivität die Stärke ist, aus der sie schöpfen können – nicht nur die Härte.» Er selber spiele genauso gern Gitarre, schreibe eigene Lieder: «Einfach für mich.»
Nur noch Koks und Kohle?
Auch Pyro kann mit dem «Proll Rap», wie er es nennt, wenig anfangen: «Die dekadente Selbstverherrlichung finde ich peinlich. Wer Gefühle zeigt, gilt schnell als Pussy. Da sage ich: Na und? Es wäre interessant und befreiend, wenn mehr Querdenker, mehr Frauen oder Lesben und Schwule in der Szene aktiv wären. Rap braucht wieder mehr Paradiesvögel statt monotone Stereotypen.»
Die Fokussierung auf die negativen, destruktiven Elemente des Rap bereitet auch dem Übervater Black Tiger Sorgen: «Für mich war die Hip-Hop-Kultur immer etwas extrem Positives und Produktives, das meinem Leben einen Sinn gab», betont der erste Dialekt-Rapper. «Klar funktioniert Rap immer auch als Waffe – aber für mich bedeutet dies, Missstände anzuprangern. Was ich zurzeit sehe und höre, ist nicht unbedingt förderlich für eine positive Entwicklung von Jugendlichen. Man muss es offen sagen: Gewisse Songs sind mitschuldig an Gewaltverherrlichung, Sexismus und Homophobie.» Statt Kritik an der Gesellschaft zu üben, zelebrieren manche Rapper Kokainkonsum oder Prostitution regelrecht: «Klar gab es immer schon harten Rap. Heute aber, scheint mir, fehlt der Ausgleich dazu, die positive Energie. In der Szene herrscht ein Mangel an Zusammenhalt und Empathie.»
Gilt also 20 Jahre nach «Murder by Dialect» das bittere Fazit: «Basel, dä Rap isch verbyy?» Auf keinen Fall, meint Black Tiger: «Es ist nicht schlechter, es ist anders geworden.» Zurzeit sei die Szene stark zersplittert: «Es gab eine Art Urknall, und seither hat sich das Rap-Universum in alle Richtungen ausgedehnt. Man kann resignieren, oder man kann gegen die Probleme ankämpfen. Ich bin überzeugt, dass Rap noch ganz viel vor sich hat: Es könnte schon morgen wieder extrem schön werden.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11