Basel ist Filmstadt – auf Zeit

In Basel wird derzeit das Filmschaffen zelebriert. Filmschaffende werden gefeiert – was aber hat die Stadt dieser Kreativszene sonst zu bieten?

Üppig ist die Basler Filmförderung nicht. Für die Kreativen fallen nur einzelne Pop-Körner an – und ein Filmpreis. (Bild: Nils Fisch)

In Basel wird derzeit das Filmschaffen zelebriert. Filmschaffende werden gefeiert – was aber hat die Stadt dieser Kreativszene sonst zu bieten?

«Wenn ein Film Erfolg hat, ist er ein Geschäft. Wenn er keinen Erfolg hat, ist er Kunst.» (Jean Gabin)

Angesichts der Terminplanung der Basler Filmfeste reibt man sich die Augen. «Bildrausch» präsentiert internationale Filmperlen, während «Zoom» eine Auslese des lokalen Filmschaffens zeigt. Im Stadtkino, Kino Atelier und im Schauspielhaus lassen sich Einblicke in Basler Filmträume gewinnen. Am Samstag wird die lokale Jury den Basler Filmpreis ausloben, am Sonntag wird die internationale Jury den «Bildrausch-Ring» verleihen. In der Zusammenschau beider Anlässe ist Basel ganz kurz die Schweizer Filmhauptstadt. Und danach? Folgt auf das Feuerwerk wieder Dunkelheit?

Wo gute Filme gezeigt werden, muss auch vom guten Geld die Rede sein. 2012 wurden in der Schweiz 57 lange Filme produziert, 38 davon Dokumentarfilme. Basel ist hierbei als Produktionskraft nur am äussersten Rand beteiligt. Während schweizweit rund 55 Millionen Franken für die Finanzierung von Filmen bereitstehen, weisen die Kantone Baselland und Basel-Stadt eben mal etwa 500’000 Franken aus, die von beiden Kantonen für audiovisuelle Produktionen ausgegeben werden können. Das ist wenig Geld. Wenig bedeutet aber immer auch, das Geld wird breit und dünn gestreut, was für die Produzierenden heisst: Die Projektfinanzierung erfordert wesentlich mehr Aufwand als die Projektrealisierung. Die Basler Ernte dieses Jahres ist, wie immer, reichhaltig, aber nur zu einem sehr geringen Teil tatsächlich von den beiden Kantonen finanziert.

Meist ist kaum Basel im Film

Es ist also nur ein kleiner Teil der Schweizer Produktion mit Basel assoziiert. Und selbst, was mit Basel assoziiert ist, ist eher lose verbunden: «Meine Firma sitzt unter anderem auch in Zürich, weil da mehr Geld im Fördertopf ist», benennt der Basler Produzent Vadim Jendreyko («Die singende Stadt», «Die Frau mit den fünf Elefanten») das Malaise. Die Bindung einiger Produktionen an Basel ist daher eher lose: Mal ist der Regisseur in Basel wohnhaft. Mal wohnt der Produzent in Basel. Mal hat Basel etwas zur Finanzierung des Projektes beigesteuert. Die Verbindung mit Basel ist oft so dünn, dass selbst Ingmar Bergman mit seinem Film «Durst» von 1949 genügend Basel-Bezug hätte nachweisen können, um ihn für den Basler Filmpreis einzureichen: Sein Film, der die Zerrüttung eines Paares während einer Zugfahrt durch das zerstörte Nachkriegsdeutschland schildert, beginnt im unversehrten Basel. Beim Hotel Krafft.

Dass Basel den Anschluss als Produktionsstandort verpasst, liegt aber nur zum Teil an der pitoyablen Subventionslage. Für audiovisuelle Projekte stehen im Kulturtopf Basel-Stadt ganze 300’000 Franken zur Verfügung. Der Regierungspräsident hat vor einem Jahr Besserung gelobt; eine Filmemacherin, die lieber nicht genannt werden will, wettet aber darauf, dass er das in diesem Jahr auch wieder tun wird.
Immerhin, die Kulturämter der Kantone sind rührig, soweit sie gefordert werden. Die Kinemathek «Le Bon Film», eines der grossen Filmarchive der Schweiz, wird mit 310’000 Franken unterstützt (von Basel-Stadt), während Baselland Landkino und Kinemathek mit 100’000 Franken alimentiert. «Bildrausch» bekommt von beiden Halbkantonen je 80 000 Franken Unterstützung. Beide Kantone ziehen stetig am gleichen schmalen Strick – «immerhin in die gleiche Richtung», betont Niggi Ullrich von Kulturelles Baselland. Er bezieht sich hierbei auch auf die Kulturleitbilder beider Kantone, in denen die Filmförderung als ausbauwürdig eingestuft wurde.

Wenige Tropfen? Heisse Steine?

Vadim Jendreyko beklagt, dass dort, wo wenig Geld ausgeschüttet wird, in der Kreativindustrie meist eine flüchtige Gemengelage entsteht: Finanzbeihilfen werden zu Almosen, wenn sie auf viele verteilt werden. Das schafft kein nachhaltiges Förder­klima. Was sich ein Weilchen in Basel bewegt hat, bewegt sich rasch von Basel weg. Oder schottet sich ab. «Wir fördern gerne, was vielversprechend ist. Wenn mehr gefordert würde, würden wir weitere Versprechen gern einhalten», sagt Niggi Ullrich. Und bezieht sich auch auf die Kulturleitbilder beider Kantone, in denen die Filmförderung – wenn auch eher vage – als ausbauwürdig eingestuft wird.

Selbst Ingmar Bergmans «Durst» wäre in Basel preiswürdig.

Wenn mehr Geld da wäre, um veritable Produktionen zu fördern, würden die jungen Filmer wie Tim Fehlbaum (war letztes Jahr im Basler Wettbewerb und erhielt für «Hell» den Bayerischen Filmpreis) und Ramòn Giger (lebte lange in Basel und gewann mit «Karma Shadub» 2013 den Grand Prix des Filmfestivals Nyon) vielleicht nach Basel zurückkehren. Selbst der alteingesessene Basler und Wahlberliner Dani Levy könnte sich vorstellen, in Basel zu arbeiten: «Warum nicht? Es gab Städte wie Palermo, die haben Wim Wenders angerufen und ihn gefragt, ob er dort einen Film drehen will.»

Zürich bleibt Film-Hauptstadt

Wenn in Basel nicht gerade «Bildrausch» herrscht, ist Zürich die unbestrittene Filmhauptstadt der Schweiz – also fast das ganze Jahr hindurch. Dort sitzen die meisten Produktionsfirmen, die meisten Ausstatter, das zudienende Gewerbe ebenso wie die Vermietung von Equipment, die Caterer und die Casting-Büros.

Denn in Zürich herrscht ein langfristig förderliches Klima. Die Stadt bietet dem Nachwuchs der Schweizer Filmregisseure mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) eine valable Ausbildungsstätte und leistet sich mit dem Studiengang an dieser Hochschule einen der schweizweit teuersten akademischen Ausbildungsgänge für «Filmregie». Zürich fördert ein internationales Filmfestival (eben wurden die Subventionen vom Bundesamt für Kultur erhöht) und leistet sich auch den landesweit bedeutendsten Topf für staatliche Filmfinanzierung, die Zürcher Filmstiftung. Zürich hat ernst genommen, was Wirtschaftler schon seit Längerem nachgewiesen haben: Aus einem Franken Filmfinanzierung werden bis zu vier Franken Wirtschaftsleistung generiert.

Zürich hat aber nicht nur den wichtigsten künstlerischen Filmsektor, sondern beheimatet auch wichtige kommerzielle Player. Filmemacher in Zürich können mit Werbung, Firmenporträts, Schulungsfilmen oder Auftragsproduktionen leichter Mittel generieren, mit denen sie künstlerische Arbeit querfinanzieren können. Zürich ist eine Stadt, in der Filmemacherinnen bleiben, auch wenn sie meist drei bis vier Jahre zwischen ihren Produktionen verstreichen lassen – der Platz am Futtertrog ist eng.

Selbst diese komfortable Lage führt in Zürich mithin noch zu paradoxen Produktionssituationen: Während Techniker, Kameramänner (und -frauen) und Lichtsetzer oft drei oder vier Filmprojekte pro Jahr absolvieren, kommen Regisseure in der Regel nur etwa alle vier Jahre zum praktischen Arbeiten. Den Rest der Zeit verbringen sie mit Mittelbeschaffung, Projektentwicklung oder Geldsuche.
Das kann dazu führen, dass auf einem Filmset ausgerechnet jener Künstler, der das Sagen hat, der Regisseur, die geringste Praxis vorweist. Filmer, die diesen Missstand erkannt haben, wildern im Theater (erfolgreich wie Bettina Oberli) oder versuchen sich als Drehbuchautoren (wie Peter Luisi) oder als Produzenten (wie Vadim Jendreyko).

Mehr Geld, strengere Auswahl

Die im Vergleich zu Basel reichliche Ausstattung der Filmstiftung von Zürich sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen: Mehr Geld bedeutet auch mehr Ausrichtung, strengere Auswahlkriterien. Basel hätte die Chance, mit der Einrichtung einer Filmstiftung auch aus den Fehlern in Zürich zu lernen. Wer jeden Bereich des Filmschaffens fördern will, wird keinen wirklich stark machen. Also tut man gut daran, einen Bereich zu bevorzugen. Doch wer einen Bereich bevorzugt (z. B. Drehbuch- oder Postproduktionsförderung), benachteiligt automatisch alle anderen Gebiete.

Die Basler Filmstiftung möchte eine «inhaltliche Ausrichtung setzen», betont Niggi Ullrich. Wie es etwa Dänemark vor Jahren tat – oder wie es Rumänien gerade eben tut. Beide Länder haben durch kluge Förderung die Filmindustrie künstlerisch spezialisiert und ästhetisch neu ausgerichtet. Der Basler Franz Woodtli vom international tätigen Produzenten Constantin weist darauf hin, dass «das Filmland Schweiz Teil eines grossen Marktes ist. Aber Schweizer Filme werden immer einen zu kleinen Markt für die Auswertung haben. In Basel finden Produzenten überhaupt keine absehbare Kontinuität.» Das nehme die Förderungspraxis zu wenig kreativ zur Kenntnis.

Das Sandkorn braucht auch die Muschel, in der es zur Perle wird.

Wenn es auch letztlich immer um Geld geht: Finanzieren heisst nicht zwingend fördern. Und fördern läuft nicht immer über Finanzmittel oder über Kulturfonds. «Film ist in erster Linie Kunst, führt im Nebeneffekt aber zu einer Industrie.» Darauf verwies einst die Filmikone Alain Resnais. «Es wäre endlich eine wirtschaftspolitische Entscheidung nötig, die aus einer Industrie auch wieder Kunst machen könnte».

Frankreich macht vor, was Standortförderung für Filmindustrie heissen kann. Dort wird konsequent die Industrie gefördert. Mit ansehnlichen Resultaten in der Kunst. Während die Basler Wirtschaftspolitiker den Industriestandort für Chemie und Pharma recht komfortabel gestalten, ist bisher noch kein Ansatz sichtbar, für die Kreativindustrie Standortvorteile zu schaffen. ­Basel hat es noch nicht einmal geschafft, Kino- und Theaterkarten von der Mehrwertsteuer zu befreien.

Staatliche Investition in die Filmkunst setzt halt, darüber ist man sich auch bei bei den Kulturämtern beider Basel im Klaren, «Risikobereitschaft voraus», wie es Vadim Jendreyko formuliert: «Die Perle entsteht aufgrund einer Störung, einem Sandkorn. Förderung kann solche Sandkörner erkennen. Sie ausstreuen allein hilft nicht. Es braucht auch die Muschel, in der die Perle wächst».

Bis es so weit ist, wird Gigi Oeri in internationale Grossprojekte wie «Das Parfum» und «Cloud Atlas» investieren, der in Basel lebende Arthur Cohn wird weiterhin auf den Lichtspielbühnen der Welt Perlen finden, und auch die Constantin-Film mit Sitz in Pratteln wird weiter an Basel vorbei produzieren.

Braucht Basel einen Filmpreis?

Die ketzerische Frage bleibt also ­bestehen. Dani Levy beantwortet sie lakonisch: «Preise in der Kunst sind eigentlich absurd. Weil Äpfel mit Birnen verglichen werden müssen. Aber unsere Gesellschaft ist auf Sieger ­fixiert. Preise in der Kunst haben immerhin eine wunderbare Eigenschaft. Sie richten einen Scheinwerfer auf ­etwas Lobenswertes. Filme bekommen durch Preise eine Öffentlichkeit, die ihnen sonst verwehrt bliebe. Der Basler Filmpreis kann das: eine ­Heimat bieten.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.05.13

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