Basel spielte doch in der Champions League

Hoffnungsträger Andreas Beck führt das Theater Basel in eine fesselnde Gegenwart. Der neue Direktor und sein Ensemble haben das Dreispartenhaus wieder in die Champions League der deutschsprachigen Bühnen geführt.

Das neuen Ensemble ist angekommen und hat Basel erobert (Florian Jahr und Nicola Mastroberardino in «Engel in Amerika»).

(Bild: Sandra Then)

Hoffnungsträger Andreas Beck führt das Theater Basel in eine fesselnde Gegenwart. Der neue Direktor und sein Ensemble haben das Dreispartenhaus wieder in die Champions League der deutschsprachigen Bühnen geführt.

Hier vereinen sich begeisternder Spielwitz mit berührender Hingabe: Der junge Schauspieler Nicola Mastroberardino spielt den Aids-kranken Prior Walter in Tony Kushners «Engel in Amerika» als gäbe es kein Morgen. Mit grossem Mut zur Entblössung und jenem Feingefühl und Können, das es braucht, damit die Performance nicht ins Peinliche kippt.

Mastroberardino ist eines der neuen Ensemblemitglieder am Theater Basel. «Sein» Stück, mit dem vor sieben Monaten die Schauspielsaison eröffnet wurde, ist eine grandiose Zumutung: Ein fast fünf Stunden dauerndes Aids-Drama der 1980er-Jahre, das man eigentlich längst in der Zeitgeist-Schublade versorgt glaubte. Bis Hausregisseur Simon Stone den fulminanten Gegenbeweis antrat und sich danach niemand mehr fragte, warum der in Basel geborene Australier weit herum als Shootingstar gefeiert wird.

Definitiv angekommen

«Engel in Amerika» schaffte es in die Auswahl des diesjährigen Schweizer Theatertreffens in Genf. Zusammen mit «Edward II. Die Liebe bin ich» von Ewald Palmetshofer (Regie: Nora Schlocker). Das sind nur zwei von sieben Einladungen an bedeutende internationale Festivals, über die sich das Theater Basel freuen kann. Die gewichtigste ist das Aufgebot der Stones-Inszenierung von Ibsens «John Gabriel Borkman» (eine Koproduktion mit dem Burgtheater Wien und den Wiener Festwochen) zum Berliner Theatertreffen.

Das nimmt man natürlich gerne zur Kenntnis und doch sind es nur Nebengeräusche. Im Zentrum steht die Frage, ob das neue Theater bei seinem Heimpublikum angekommen ist.



Seid umschlungen, Ihr Basler Theaterzuschauer (Ensembleszene in Eugène Labiches «Das Sparschwein».

Seid umschlungen, Ihr Basler Theaterzuschauer (Ensembleszene in Eugène Labiches «Das Sparschwein». (Bild: Simon Hallström)

Die Antwort ist klar: Es ist angekommen. Nicola Mastroberardino und Simon Stone sind zwei Namen, die für ein neues Team sprechen, das als Gesamtes überzeugt. Es war eine mutige Wahl, mit Andreas Beck den Leiter des zwar feinen, aber doch sehr kleinen Wiener Schauspielhauses an die Spitze des grössten Dreispartenhauses der Schweiz zu beordern. In Wien bestand das Ensemble aus acht Köpfen. In Basel sind es gut zehn Mal mehr.

Beck ist eine treffliche Wahl. Seine gradlinige Art, auf das Publikum zuzugehen und sein verschmitzt-hingergründiges Lächeln drücken das Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der sich auf dem richtigen Weg glaubt.

Neue Basler Dramaturgie

«Basler Dramaturgie» war das Zauberwort, das Beck auf den Wegweiser zum Neubeginn schrieb. Mit «Basler Dramaturgie» nahm er Bezug auf die legendären ersten Jahre der Düggelin-Ära (1968/69), als der damalige Co-Direktor Friedrich Dürrenmatt und Chefdramaturg Hermann Beil begannen, alte Stücke inhaltlich neu zu übersetzen oder zu überschreiben – und damit in der deutschsprachigen Theaterlandschaft für Furore sorgten.

In der auslaufenden Spielzeit war es immer wieder zu erleben, dass dieses Überschreiben alter, aber keineswegs veralteter Stoffe noch immer bestens funktioniert und dass es – sorgfältig umgesetzt – zu ein-, aber nicht aufdringlichen Resultaten führen kann:

  • Simon Stone zeigte dies, indem er Ibsens bedrückendes Drama «John Gabriel Borkman» mit einem berauschenden Starensemble zu einer hinreissenden Satire über das bürgerliche Seelengefängnis umdeutete.
  • Der österreichische Autor und Dramaturg Ewald Palmetshofer (auch dies eine Verpflichtung, um die das Theater Basel wohl weit herum benieden wird) verdichtete die Tragödie «Edward II.» des Shakespeare-Zeitgenossen Christopher Marlowe zu einem bedrückend-bösen Kammerspiel.
  • Roland Schimmelpfennig präsentierte mit seiner Bearbeitung von Euripides‘ «Die Bacchen» eine beklemmend-zeitlose Antithese zur «Wonderful World».
  • Und der Musiker und Autor Peter Licht drehte Molières Komödie «Der Menschenfeind» durch eine ebenso faszinierende wie schwindelerregende Wortakrobatik-Maschine, die Regisseurin Claudia Bauer aber leider nicht bis zum Schluss wirklich zu bedienen wusste.

Der Ermöglicher

Mit der Verpflichtung dieser und weiterer Dramaturgen, Autoren, Regisseuren und Schauspieler bewies Beck und seine geschäftsführende Schauspieldramaturgin Almut Wagner ein vorzügliches Gespür für junge Theatermacher, die inhaltlich etwas zu sagen haben und ästhetisch Herausragendes auszudrücken vermögen. Das weckt Erinnerungen an die grossen Ermöglicher Werner Düggelin und Frank Baumbauer, die das Haus aus der Theaterprovinz zu einer stilbildenden Bühne im deutschsprachigen Raum emporhoben.

Das soll nicht heissen, dass Beck nur auf ein internationales Renommee aus ist. Mit David Greigs «Die Ereignisse» und einer Theater-Krimiserie nach einem Hunkeler-Roman von Hansjörg Schneider trat das Theater aus seinen angestammten Häusern heraus und ging direkt auf das Publikum zu. Und dies mit einer Ernsthaftigkeit und Sorgfalt, als handle es sich um eine Abo-Produktion auf der Grossen Bühne.

Oper auf konventionellerem Weg

Natürlich vermochten nicht alle 27 Produktionen, die bisher zu erleben waren, gleichermassen zu überzeugen. Wer mit viel Mut und Vorwärtsdrang loslegt, riskiert auch auf die Nase zu fallen. Aber stets blieb spürbar, dass hier ein eingeschworenes Ensemble am Wirken ist, das sich nach Durchhängern gleich wieder zu Höchstleistungen aufzuschwingen vermag.

Im Gegensatz zum Schauspiel, wo es viel aufzuholen galt, konnte die Oper bis jetzt noch nicht an die grossen Tage der Vergangenheit anknüpfen. An den Stimmen lag dies nicht – hier scheint Operndirektorin Laura Berman über ein ausgesprochen gutes Beziehungsnetz zu verfügen. Aber die Inszenierungen liessen, auch wenn sie in sich stimmig waren, den Mut und die Eindringlichkeit vermissen, die dem Theater Basel zweimal hintereinander die Kritikerauszeichnung  «Opernhaus des Jahres» eingebracht hatten.

Das wird sich in der kommenden Spielzeit ändern, wie der Blick in den neuen Spielplan verrät. Die Regisseure Calixto Bieito, Simon Stone (der seine erste Oper inszenieren wird) und Sebastian Baumgarten werden der Oper auch inszenatorisch bestimmt frischen Wind verleihen. Alles deutet darauf hin, dass Beck und sein nun nicht mehr ganz so neues Team – ebenso wie Ballettchef Richard Wherlock als langjähriger Fixstern am Dreispartenhaus – den erfolgreich eingeschlagenen Weg weitergehen werden.

 

 

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