Die Veranstaltungsreihe Culturescapes rückt im elften Jahr den Balkan ins Zentrum. Performer aus diversen Sparten und Ländern – von Albanien über Bosnien bis Slowenien – treten ab 19. Oktober 2013 auf 40 Schweizer Bühnen auf.
Im vergangenen Jahr ging Culturescapes, die länderverbindende Veranstaltungsreihe mit Hauptsitz in Basel, einen neuen Weg: Direktor Jurriaan Cooiman setzte mit Moskau erstmals keinen Länder-, sondern einen Städteschwerpunkt. In diesem Jahr nun wird der Fokus erweitert: Erstmals wird eine ganze Region, die mehrere Nationalstaaten umfasst, ins Zentrum gerückt: der Balkan. Kulturschaffende aus acht Ländern des westlichen Balkans, von Albanien über Bosnien und Kroatien bis Slowenien geben Gastspiele auf 40 Bühnen in der Schweiz. «Dabei ist es sehr wichtig für uns, Klischees zu hinterfragen und die Auseinandersetzung mit der kulturellen Topografie auf vielfältige Weise zu ermöglichen», sagt Cooiman an der Programmpräsentation im Basler Gare du Nord.
Was Klischees angeht, so landet man kulturell rasch beim Film und bei der Musik, jenen zwei Sparten, die ganz besonders in den 90er-Jahren ein Lebensgefühl des Balkans (und dessen Takts) in unsere Längengrade transportiert haben. Auch Culturescapes gibt der Polka eine Plattform, doch sind daneben Musiker weniger bekannten Spielarten zu erleben: Zum Beispiel der melancholisch gefärbte Sevdah des Sängers und Gitarristen Damir Imamovic (5. Dezember im Bird’s Eye) – oder die Neue Musik des Komponisten Aliser Sijaric, der mit dem Sonemus Ensemble aus Sarajevo eine Uraufführung im Gare du Nord (23. Oktober 2013) präsentieren wird.
Kriegsversehrte Regionen
Eröffnet wird das Festival am 19. Oktober im Theater Basel. Nicht ganz so, wie sich das Cooiman vorgestellt hatte: Er wollte das No Borders Orchestra, ein grenzüberschreitendes Sinfonieorchester, nach Basel bringen, offenbar nicht ganz aus eigenen Kräften. Denn mit der Begründung, dass die finanzielle Unterstützung der Balkanregion ausblieb, wird die Basler Knabenkantorei nun für Leonard Bernsteins «Chichester Psalms» nicht sinfonisch, sondern lediglich kammermusikalisch begleitet, von Schlagzeug, Orgel und Harfe.
Zum grossen Austausch kommt es dennoch auf der Bühne: Der Basler Chor, der in den Herbstferien selber auf Balkan-Tour war, macht bei einigen Stücken gemeinsame Sache mit Schülern des kosovarischen Musikgymnasiums «Prenk Jakova». Für Partystimmung sorgt danach die Schweizer Formation Traktorkestar sowie der BalkanKaravan-DJ Goran Potkonjak.
Austausch und Auseinandersetzungen mit Identitäten werden auch im Bereich der bildenden Kunst gefördert, wie Annina Zimmermann ausführt. Sie kuratiert ein Artist in Residence-Programm, das acht Kunstschaffende aus dem Balkan zu uns führt. Prominenteste Vertreterin darunter ist die Videokünstlerin Adela Jusic aus Sarajevo.
Bekannte Stimmen
Besonders aufhorchen lassen die Gäste im literarischen Bereich: Literaturhaus-Chefin Kathrin Eckert wird bekannte Stimmen begrüssen, besonders lebhaft verspricht ein Programmpunkt im Rahmen der BuchBasel zu werden: «Krokodil» steht für eine Abkürzung aus dem Serbischen, für das 2009 in Belgrad enstandene «Regionale Literaturfestival gegen Langeweile und Lethargie». Eine multimediale, vielsprachige Leseshow, getragen von mehreren Autorinnen und Autoren.
Freuen darf man sich auch auf Lesungen des bosnischen Schriftstellers und Essayisten Miljenko Jergovic oder der Belgrader Autorin Jelena Volic.
Die Performerinnen Beatrice Fleischlin und Antje Schupp schickten sich in den Kosovo, sammelten Erfahrungen vor Ort und bringen ihre Auseinandersetzung mit Vorurteilen auf die Bühne der Kaserne, wie Carena Schlewitt ausführte. Ihre Erfahrungen haben sie in einem gemeinsamen Arbeitsprozess mit dem kosovarischen Performer Astrit Ismaili und dem Tänzer Labinot Rexhepi verarbeitet: «LOVE. STATE. KOSOVO».
Provokative Propaganda
Besondere Brisanz verspricht «they live», ein Projekt der Belgrader Theatermacher Maja Pelevic und Milan Markovic. Sie bewarben sich bei neun verschiedenen serbischen Parteien und stiessen mit einem Textvorschlag zur Marketing-Strategie überall auf sehr offene Ohren. Dass es sich um Passagen aus der Schrift «Erkenntnis und Propaganda» von Joseph Goebbels handelte, fiel keiner Partei auf. Damit lösten sie in ihrer Heimat einen Skandal aus.
Mit dem Thema «Heimat» respektive «Heimwehe» beschäftigen sich Ivna Zic, Lea Letzel und Nataša Rajković, die in Birsfelden einen Parcours realisieren, der zur Auseinandersetzung mit Nostalgie und Wehmut einlädt.
Austausch in beide Richtungen
Nicht nur auf Schweizer Bühnen kommt es zu Kooperationen. Einige hiesige Kulturschaffende werden im Gegenzug Gastspiele im Balkan geben, der bekannte Basler Organist Felix Pachlatko etwa tritt in Zagreb auf, ebenso der Theaterschaffende Boris Nikitin, um nur einige zu nennen.
Auch die Basler Universität flankiert das Festival: «Les Balkans n’existent pas» heisst die Ringvorlesung, die mit «Erbschaften im Südosten Europas» untertitelt ist und sich mit Identitäten und (Kultur-)Geschichte auseinandersetzt. Profunde Kenner sind von den Dozenten Martina Baleva und Boris Previsic Mongelli zu Vorträgen eingeladen worden. Die Vorlesungen stehen der gesamten Bevölkerung offen.