Für Pop-Hits gilt das Rezept: Spätestens nach 30 Sekunden knallt der Refrain. Dieser sollte ein gefällig eingängiger Hook sein, der nach den optimal drei Minuten Spielzeit im Ohr hängen bleibt. Nichts davon gilt für «Stream» von Guy Mandon.
Sein Song plätschert gemächlich los, mäandert spärlich instrumentiert mal breiter mal dünner durch synthetische Klanglandschaften, um nach fast sechs Minuten und einem Saxofon-Solo einfach so zu versickern. Refrain? Fehlanzeige. Zwar wiederholt Mandon mehr gesprochen denn gesungen: «S’Läbe isch en Stream.» Doch sein mit sexy Jauchzern und Falsett-Geflöte garniertes Mundart-Mantra ist eher eine Strophe in diesem Lebensfluss ohne klassisches Song-Schema.
Unter fast 800 eingereichten Songs, darunter zehn weitere Mitstreiter aus Basel, kürte eine vierköpfige Fachjury «Stream» zum besten Popsong der Demotape Clinic beim M4Music. Philipp Schnyder, Leiter des wichtigsten Branchenfestivals der Schweiz begründet: «Guy Mandon hat die Jury mit seinem zeitgemässen, minimalistisch gehaltenen Sound überzeugt. Der Song ‹Stream› besticht insbesondere auch durch seinen Text.»
Der Entscheid spricht für eine Fachjury, die Musik weniger nach kommerziellen denn kreativen Kriterien beurteilt. Mut kann man aber vor allem dem Künstler attestieren, der diesen Song eingericht hat. «Der Song widerspricht schon den Pop-Schemen, dafür entspricht er meinem momentanen Schaffen am meisten und ich wusste: Er entwickelt eine ganz eigene Stimmung», sagt Mandon.
Schon letztes Jahr hat der Musiker einen Song eingereicht. «Kokosfett» hält sich zwar eher an die Pop-Norm und schaffte es unter die Selektion, die von der Jury besprochen wurde – aber nicht bis ins Finale. «Trotzdem war es spannend, was Experten zu meiner Musik sagen, und das Feedback der Jury war ja eigentlich schon damals positiv», sagt Mandon. Es war denn auch keine Qual, wieder anzutreten. «Die Demotape Clinic ist für Musiker in meinem Stadium wichtig», wertet Mandon, «so kann man sich Präsenz verschaffen.» Zøla, Audio Dope oder Don’t Kill the Beast – die Basler Gewinner der letzten Jahre kennt man heute weit über die Region hinaus.
Zu Ruhm und Rummel der Auszeichnung kommen auch noch 3000 Franken Preisgeld. «Damit kann ich offene Rechnungen für die Promo meiner Platte zahlen und einen Tausender für die Musiker auf Reserve legen, wenn die Gage mal nicht reicht», sagt Mandon. Denn im Gegensatz zum Studio, wo er sein Solo-Debüt fast komplett selbst eingespielt hat, bringt er seine Musik nun mit einer fünfköpfigen Band auf die Bühne. «Die letzten Jahre habe ich vor allem elektronisch musiziert. Aber nun will ich ohne Ableton (eine Musiksoftware, d. Red.) und Loop-Spuren wieder die Energie spüren, die nur entsteht, wenn Musiker zusammen etwas live entstehen lassen.»
Die Rolle als Frontmann einer Band fühlt sich nun aber neu an. Mandon: «Ohne Klick im Ohr oder Konzentration auf die digitalen Backing Tracks kann ich mich nun voll auf das Singen und die Kommunikation mit dem Publikum fokussieren. Das fühlt sich grad sehr organisch und zeitgemäss an.»
Man kennt Guy Mandon bereits als Schlagzeuger von Alt F4 oder von seinem Elektro-Projekt Octanone. Schon dort setzte er auf Mundart. Man musste sich als Bebbi an Mandons Fricktaler-Slang gewöhnen, der nicht so smooth runterflutscht wie seine süssen Säusel-Songs. Aber dank cleveren Zeilen und Klängen und seiner style-sicheren Coolness mausert sich sein Zuckerguss-Pop überraschend zu Ohrwürmern. Im schicken Apostel-Look wird er seine Jünger finden. «Es sind derzeit einige Anfragen für Konzerte offen», so Mandon.
Der Gewinn der Pop Demotape Clinic wird die Nachfrage wohl noch ankurbeln. Seine Abkehr von der derzeitigen Bühnen-Dominanz elektronischer und synthetischer Klänge aus der Box (die scheinbar auch das Zeitgeist-affine M4Music 2018 prägten) zu live gespielten Instrumenten will Mandon zwar mehr als persönlichen Entscheid denn allgemeinen Trend verstanden wissen. Dass eine Abkehr von Schemata zum Erfolg führen kann, hat er ja nun von Experten belegt erhalten.