Bewegende Ballade der zerschlagenen Sehnsüchte

Regisseurin Ulrike Quade baut auf der Kleinen Bühne ein eiskalt-brutales Setting um Ödön von Horváths bewegendes Drama der zerschlagenen Sehnsüchte «Kasimir und Karoline». Das Resultat ist ein Abend, der durch diesen radikalen Kontrast zugleich verstört und sehr berührt.

Verloren in einer unwirtlichen Welt: Karoline und die Jahrmarktfreaks. (Bild: Simon Hallström)

Regisseurin Ulrike Quade baut auf der Kleinen Bühne ein eiskalt-brutales Setting um Ödön von Horváths bewegendes Drama der zerschlagenen Sehnsüchte «Kasimir und Karoline». Das Resultat ist ein Abend, der durch diesen radikalen Kontrast zugleich verstört und sehr berührt.

Mit grossen, staunenden Augen steht Karoline da, wenn sie am Schluss feststellen muss, dass ein Zusammenkommen mit ihrem Verlobten Kasimir nicht mehr drinliegt: Eigentlich habe sie ja nur ein Eis essen wollen, sagt sie, «aber dann ist der Zeppelin vorbeigeflogen und ich bin mit der Achterbahn gefahren. Und dann hast du gesagt, dass ich dich automatisch verlasse, weil du arbeitslos bist.»

So wie sie dasteht, und so wie sie spricht, macht vor allem eines klar: nämlich dass Karoline nicht verstehen kann, was mit ihr passiert ist, was rund um sie herum geschieht.

Das geht auch den anderen Figuren so, die bei Ödön von Horváths Meisterwerk «Kasimir und Karoline» in der Rummelplatzwelt des Oktoberfestes aufeinandertreffen: Karolines Verlobtem Kasimir, der soeben «abgebaut» wurde, sowieso, aber auch dem Kleinkriminellen Merkl Franz und seiner bedauernswerten Gefährtin Erna. Nur der wackere Zuschneider und rührend-unbeholfene Schürzenjäger Schürzinger glaubt zumindest noch, so etwas wie eine Übersicht behalten zu haben.

Die verlorenen Seelen

Man erkennt sie durchaus wieder, die verlorenen Seelen in der heillosen Welt des Kapitalismus, die sich im Umfeld der Weltwirtschaftskrise als ganz besonders erbarmungslos präsentiert. Zu erleben ist ein Ensemble (Philippe Graff und Judith Strössenreuter als Kasimir und Karoline, Martin Hug als Schürzinger sowie Florian Müller-Morungen und Inga Eickemeier als Merkl Franz und Erna), das die vielschichtige und abgründige Geschichte mit höchster Konzentration und berührender Eindringlichkeit verkörpert.

Regisseurin Ulrike Quade, die sich mit ihrer eigenen Amsterdamer Company als eigenwillige und spartenübergreifende Theatermacherin einen Namen gemacht hat, streicht aber aus dem bereits vom Autor als Kunstschauplatz angelegten Rahmen des Oktoberfestes die letzten Reste der Natürlichkeit heraus.

Ein kahler Raum mit weissen Wänden und schwarz-glänzendem Boden (Bühne: Floriaan Ganzenvoort) umgibt die Figuren, die lediglich auf einigen verteilten Kuben so etwas wie Halt finden. Der Raum ist eine Mischung aus (Menschen-)Labor und auf radikale Coolness getrimmter Partyraum. Einzig ein einsamer schwarzer Ballon erinnert entfernt an die ursprüngliche Jahrmarktszenerie.

Roboterhafte Kunstfiguren

Es ist ein Raum, den Quade zusätzlich zu Horvaths Stammpersonal mit roboterhaft gekünstelten Figuren bevölkert (Cats Smits, Ivan Blagajcevic, Raakesh Sukesh), die zu den abwechselnd säuselnden und brutal hämmernden Klängen des DJ’s Lukas Huber einmal als Vortänzer, dann als Türsteher und als monströse Freaks der Techno-Rummel- (und Rammel-)Welt auftreten (Choreografie: Joost Vrouenraets).

Dazu gesellt sich ein Esel auf zwei Beinen, der wie eine Reinkarnation des verhexten Handwerkers Zettel aus Shakespeares «Sommernachtstraum» quasi als Symbol der in die Irre geleiteten Liebe durch den Raum schleicht (und zuletzt von der Masse im kollektiven Horror-Rausch zerfetzt wird).

Dieser kühl-brutale Rahmen hat im ersten Moment etwas Irritierendes. Aber Horvaths wunderbarer Text eträgt dies durchaus. Mehr noch: Durch den Kontrast zur radikalen Künstlichkeit gewinnen die meisterhaft gezeichneten Gefühlslandschaften an Intensität.

Technoide Kunstwelt der Gegenwart

Kommt dazu, dass die tanzenden und hampelnden Freaks nicht frei erfunden sind, sondern sich auch auf dem Ursprungs-Besetzungszettel finden: Der «Mann mit dem Bulldoggkopf» zum Beispiel (der in doppelter Ausführung in einer an Pasolini erinnernden Sadomaso-Showszene mit einer peitschenbewehrten Domina in Erscheinung tritt) oder «Die dicke Dame» oder sonstige «Abnormitäten», etwa ein weiblicher Siamesischer Zwillings-Zombie.

Quades Ansatz ist gewiss zugespitzt, aber kein Verrat am Stück und an der Geschichte. Diese bleibt auch in der technoiden Kunstwelt der Gegenwart nachvollziehbar. Ein eindringlich-berührender Abend.


Ödön von Horváth: «Kasimir und Karoline», Theater Basel, Kleine Bühne. Die weiteren Vorstellungen: 4., 5., 7., 14., 16., 20., 23., 29. und 31. Dezember.

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