«Big Eyes»: Tim Burton macht grosse Augen

Die Geschichte der Margaret Keane ist auch ohne das Zutun von Tim Burton gruselig. Trotzdem bleibt die Verfilmung ihres Lebens seltsam farblos.

Kampf um die Kunst: Walter Keane (Christoph Waltz) und Margaret (Amy Adams).

Es gibt Paarungen, die sind so zwingend wie Frankenstein und sein Monster: Nach über dreissig Jahren im Filmgeschäft hat der schwarzromantische Regisseur, Cartoonist und Fantasy-Nerd Tim Burton das Leben der Margaret Keane verfilmt.
Keane? Man muss schon blind durch die Ramsch-Lädeli dieser Welt gegangen sein – on- oder offline –, um noch nie eines ihrer Gemälde gesehen zu haben. Der Name der Malerin mag nicht im Gedächtnis haften geblieben sein, aber den verstörenden Blick aus übergrossen Kinderaugen vergisst man kaum. Und die Geschichte hinter der Entstehung der kitschigen Kinderporträts ist der Stoff, aus dem die Alpträume sind.

Reaktionäres Rollenverständnis

Die Malerin und der Macker: Die echten Keanes.

Die Malerin und der Macker: Die echten Keanes.

In den 1960ern waren Keane-Bilder in den USA allgegenwärtig. Sie hingen nicht nur in Galerien und Museen, sondern klebten auch an den Kühlschränken von Mr. und Mrs. Smith: Zu jedem Original in Öl verkauften sich Tausende von Reproduktionen in Form von Postern und Postkarten. Den Millionengewinn und den Ruhm sackte allerdings nicht Margaret Keane ein, sondern ihr Gruselgatte, Walter.

Frauenkunst verkaufe sich nicht, trichterte der manipulative Ehemann Margret ein und übernahm die Urheberschaft und das Marketing deshalb gleich selbst. Die Malerin fügte sich in dieses reaktionäre Rollenverständnis: Nicht einmal ihre eigene Tochter durfte erfahren, von wem die Bilder wirklich stammten.

Walter erpresste Margaret emotional, drohte mit Gewalt und setzte einmal sogar ihr Atelier in Brand – wenn man «Big Eyes», der Verfilmung von Keanes Lebensgeschichte glauben darf.

Im Schatten von Disney

Tim Burton musste sich für die Malerin interessieren: Nicht nur, weil der 1958 geborene Filmemacher in Kalifornien aufwuchs, wo Keane ihre grossen Augen malte. Er wusste vor allem auch, was es heisst, seine Kreativität in den Dienst anderer zu stellen. Ende der Siebzigerjahre trat Burton eine Lehre bei den Walt Disney Studios an, wo sich auch Animationskünstler wie Brad Bird («Ratatouille») und John Lasseter («Toy Story») tummelten.

Es dauerte nicht lange, bis die jungen Wilden gegen den familienfreundlichen Mief des Mäusekonzern aufbegehrten. Burtons Vorliebe für das Absonderliche rieb sich an Disneys Reinheitsgebot, fast scheint es so, als habe er seinen Rauswurf erzwingen wollen.

Nach der Fertigstellung seines Kurzfilms «Frankenweenie» (1984) erfüllte Disney ihm diesen Wunsch: Burton war auf sich allein gestellt. Und hatte Erfolg. Mit der Horrorkomödie «Beetlejuice» (1988) und der Comicverfilmung «Batman» (1989) hielt er Einzug ins Mainstreamkino.

Künstlerischer Befreiungsschlag

Burton etablierte seine eigene Marke, indem er die traumatischen Erinnerungen an eine verschupfte Vorstadt-Kindheit in gotisch verschnörkelte Eskapaden überführte, deren Antihelden die eigentlichen Sympathieträger sind: Aussenseiter, Loser, Freaks. Seine besten Filme der Neunziger- und frühen Nullerjahre, darunter «Edward Scissorhands», «Sleepy Hollow» oder «Big Fish», folgten alle diesem Schema.

Die Schattenseite des düsteren Erfolgsmärchens war, dass aus der Marke eine Masche wurde, in der sich Burton zunehmend verhedderte: Trotz Millionenpublikum war der kritische Zuspruch für Burtons Filme zuletzt bestenfalls durchzogen – eine weitere Parallele zu Margaret Keanes populärem Werk, mit dem sich die Kunstkritik nie anfreunden konnte. Burton verfolgt mit «Big Eyes» also ein doppeltes Ziel: neben einer Hommage an Keane auch einen künstlerischen Befreiungsschlag.

Margaret Keane (Amy Adams) malt und malt und malt...
Margaret Keane (Amy Adams) malt und malt und malt…

Auf den ersten Blick erinnert denn in «Big Eyes» auch wenig an Burtons Handschrift: Die Farben und das Zeitkolorit sind satt, aber seit dem thematisch verwandten Künstlerporträt «Ed Wood» war noch selten ein Film von Burton so – gewöhnlich.

Zwar spielt ein übermotivierter Christoph Waltz Walter Keane mastig wie eine Wiener Sachertorte, trotzdem ist der Gesamteindruck eher magersüchtig. Die ausgezeichnete Amy Adams («Her») als Margaret darf nur grosse, hungrige Augen machen, während Waltz schmiert und schmiert.

Premiere an der Art Basel Miami

«Big Eyes» hat ein Problem: So gern wir Tim Burton sein Engagement für Margaret Keane glauben wollen – der Film feierte an der Art Basel Miami Beach Premiere und belebte den Online-Verkauf  –, bleibt sein Porträt doch verblüffend stumpf. Wenn die Augen die Fenster zu Seele sind, wie die Malerin im Film behauptet, dann hat diese Seele in ihrem Fall die Vorhänge gezogen.

Natürlich hatten Walters Charme und der konservative Zeitgeist ihre Mitschuld an dem Betrugsfall, aber wie Keane von einer Abhängigkeit in die nächste stolperte und erst unter dem Einfluss einer christlichen Sekte ihre wahre Urheberschaft verriet, bleibt rätselhaft.

Möglich, dass es wie bei Keanes Bildern nicht viel zu verstehen gibt. Möglich aber auch, dass Bewunderer Burton aus falsch verstandener Rücksichtnahme nachlässig wurde. «Big Eyes» jedenfalls wiederholt ein Muster, das sich durch das ganze Leben der heute 87-jährigen Malerin zog: Er patronisiert und unterschreibt mit seinem eigenen Namen.


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