Bissiger Poet mit grossem Herzen zu Gast am Stimmen Festival

Als Stimme des linken Englands und des politischen Songwritings hat er seit den Achtzigern einen festen Platz in der britischen Musikgeschichte. Doch Billy Bragg war auch immer ein Autor von ungewöhnlichen Liebesliedern. Beide Facetten präsentiert er heute Abend am Stimmenfestival im Rosenfelspark Lörrach.

Graue Eminenz im politisch-britischen Protestrock: Billy Bragg.

Als Stimme des linken Englands und des politischen Songwritings hat er seit den Achtzigern einen festen Platz in der britischen Musikgeschichte. Doch Billy Bragg war auch immer ein Autor von ungewöhnlichen Liebesliedern. Beide Facetten präsentiert er jetzt am Stimmenfestival im Rosenfelspark Lörrach – im Vorprogramm treten The bianca Story auf.



In seinem Schulzeugnis stand folgender Satz: «Benutzt seine offensichtliche Intelligenz mehr für störenden Einfluss, ist liebenswert und angenehm, aber faul.» Bis auf den letzten Zusatz klingt das schon fast wie eine Kurzbeschreibung seiner späteren Songwriteraktivitäten.

Als Stephen William Bragg wird er 1957 in Barking, Essex geboren und wie viele, die Mitte der Siebziger ihre musikalische Sozialisation abschliessen, gerät er heftig unter den Einfluss des Punk. Seine erste Band heisst Riff Raff, und die mischt in der Bewegung bis 1981 mit.

Plattenverkäufer und Pudelfriseur

Intermezzi als Plattenverkäufer, Pudelfriseur und Schafhirte folgen, auch ein kurzes Gastspiel in der Royal Army, von der er sich schnell freikauft, für 175 Pfund.



Nach einer Zeit als Strassenmusiker veröffentlicht er 1983 sein ungeschliffenes Debüt «Life’s A Riot With Spy Versus Spy» mit frühen Hits wie «The Milkman Of Human Kindness» oder «A New England» – ein bittersüsses Liebeslied eines jungen Mannes, der nicht erwachsen werden will, das später oft gecovert wird.

Unbequemer Kritiker von Thatchers Politik

Von Anfang an steht politisches Engagement Seite an Seite mit seinen musikalischen Aktivitäten: Bragg engagiert sich in der Anti-Apartheid- und Anti-Atom-Bewegung, mobilisiert Wähler für die Labourparty, unterstützt die Streiks von Bergmännern. Er ist für Margaret Thatcher das, was der Engländer gerne als «pain in the arse» bezeichnet, und der Staat dankt es ihm wiederholt mit Verhaftungen.



Im Laufe der nächsten Alben wie «Brewing Up With Billy Bragg» oder «Talking With The Taxman About Poetry» verfeinert er sowohl seine Songwritingkunst als auch seine Gesellschaftskritik. Sein Markenzeichen ist eine rotzige und in breitem Essex-Dialekt herausgeschleuderte Diktion, die aber durch eine empfindsame Note in seiner Stimme aufgefangen wird.Denn bei aller scharfer Kritik an den Mächtigen geht es ihm auch immer um die Fürsorge für das leidende Individuum, wie seine bewegende Acappella-Hymne «Tender Comrade» zeigt.Die scharfkantige E-Gitarre tritt in seinen Arrangements zurück, Folkeinflüsse aus dem UK und den USA kommen ins Spiel, die Instrumentation wird bereichert durch Piano und Streicher. 



Zur Perfektion gelangt das auf seinem Album «Don’t Try This At Home» von 1991, auf dem er sich mit Johnny Marr von den Smiths als Produzent zusammentut. Hier beschwört er die «Rumours Of War», die ständige Angst vor einem Nuklearkrieg in fast klassischer Atmosphäre herauf, stimmt in «God’s Footballer» eine traurige Ballade auf die englischen Fussballrowdies an, spricht von der Desillusionierung durch Revolutionen («North Sea Bubble»). Doch Billy Bragg ist neben dem sarkastischen Geselllschaftskommentator auch immer der waidwunde Loser in Liebesdingen: Seine Hits «Sexuality» und «You Woke Up My Neighbourhood» (mit Michael Stipe von R.E.M.) fangen die Pein und die Turbulenzen des Geschlechterkampfs brillant ein.

Weltpolitik und Alltagssorgen

Die «affairs of the world» und «affairs of the heart» sind bei Bragg stets fein ausbalanciert, getreu seinem Motto: «In der Populärkultur geht es nicht nur darum, eine politische Botschaft rüberzubringen, sondern genauso, das alltägliche Dasein auszudrücken.»



In den Neunzigern nähert sich Bragg zunehmend der amerikanischen Folkwelt an: Sein Idol Woody Guthrie covert er wiederholt so treffend, dass Guthries Tochter Nora ihn und die Americana-Band Wilco für das Projekt «Mermaid Avenue» einspannt, in dem bislang unveröffentlichte Songs ihres Vaters 1998 das Licht der Welt erblicken.

Im neuen Jahrtausend hält er Schritt mit den brisanten politischen Themen. Sein Werk «England, Half English» (2002) ist ein Spiegel des multinationalen Britanniens, greift Themen von Homophobie bis Sexismus auf, George W. Bush und die englische Monarchie bekommen gleichermassen ihr Fett weg. Und während der Bankenkrise kündigt er an, aus Protest gegen die überzogenenen Bonuszahlungen seine Einkommenssteuer einzubehalten. 

Mit seinem neuen Werk kehrt der mittlerweile 56-jährige Songwriter zu seiner heimlichen Liebe, der US-amerikansichen Roots Music zurück. «Tooth & Nail» hat er mit dem kalifornischen Musiker und Produzenten Joe Henry (Solomon Burke, Elvis Costello, Hugh Laurie) in wenigen Tagen eingespielt, und die Spontaneität hört man den neuen Songs an. Country-, Folk- und Blues-Grundierungen beherrschen das aktuelle Repertoire, und sie stellen Braggs gereifte, ausdrucksstarke Stimme inmitten von exzellenten Begleitmusikern aus dem Stall von Bon Iver und Lana Del Rey umso mehr in den Mittelpunkt.

«Sherpa der gebrochenen Herzen»



Der Themenkreis der neuen Songs kommt nicht von ungefähr: Als Bragg eines Tages einen Tweet eines Fans las, war er gerührt, denn dieser pries ihn als «Sherpa der gebrochenen Herzen», der ihm gerade helfe, über eine Trennung hinweg zu kommen. Bragg beschloss daraufhin, den Fokus seines neuen Songzyklus auf diese intime Seite zu richten. Herausgekommen sind so bezaubernde Miniaturen wie der «Handyman Blues», ein Porträt eines Mannes, der zwar keinen Nagel einschlagen kann, aber dafür umso schönere Poesie schreibt. Oder der Country-Walzer «Swallow My Pride», in dem ein Liebender realisiert, dass er seinen Stolz überwinden muss, um eine Bezihung zu retten.  Und im lockeren Bluegrass-Ständchen «Do Unto Others» wird es gar biblisch. Ganz aufgegeben hat Bragg seine politische Bissigkeit nicht: «There Will Be A Reckoning» ist eine Abrechnung mit denen, die mit Hass hausieren gehen, mit den Spekulanten, die die Welt unter sich aufteilen wollen. 



«Es ist lächerlich, sich vorzustellen, dass ein Lied die Welt verändern kann», hat Billy Bragg einmal gesagt. «Aber Popmusik kann helfen, die Diskussion anzuregen, die Leute ermutigen, politische Dinge anders zu beurteilen.» Auf seine Liebeslieder gemünzt könnte man sagen: Ein Song kann die Wunden einer Trennung nicht heilen. Aber der Sänger kann einem für ein kurzes Stück Weg die Last der Schmerzen abnehmen. Ein solcher Sänger ist Billy Bragg.

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Live: Samstag, 19. Juli, Rosenfelspark Lörrach, 20 Uhr. Vorprogramm: The bianca Story (Basel)

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