Für die Ausstellung «Kandinsky, Marc & Der Blaue Reiter» hat die Fondation Beyeler Meisterwerke aus der ganzen Welt zusammengetragen. Angesichts dessen rückt das übergreifende Konzept der Ausstellung fast in den Hintergrund.
Beginnen wir mit einem Bild und räumen damit gleich mit einem beliebten Missverständnis auf: «Der Blaue Reiter» ist keine Künstlergruppe, er war keine Bewegung. Und es gibt zwar ein Gemälde von Wassily Kandinsky, das diesen Titel trägt, doch das kennt kaum einer und darauf bezieht sich deshalb keiner, wenn er vom «Blauen Reiter» spricht. Denn der berühmte «Blaue Reiter» ist:
ein Buch!
Voilà: «Der Blaue Reiter» in zwei Ausführungen. (Bild: Keystone /©ProLitteris)
Der so betitelte Almanach, der 1912 in München erschien, versammelte theoretische Texte und Kunstwerke von verschiedenen zeitgenössischen Künstlern aus europäischen und aussereuropäischen Kulturen. Auch Reproduktionen von Werken der Volkskunst fanden sich darin.
Die Redaktion besorgten Wassily Kandinsky und Franz Marc. Sie wollten damit die Vielfalt der Kunstausdrücke in einem redaktionellen Kontext bündeln und damit die Notwendigkeit eines Umbruchs dokumentieren; sie wollten das «grosse Ganze» sehen, die grosse Seelenverwandtschaft der Kunst. Einengende Statuten waren ihnen zuwider, vielmehr ging es darum, die künstlerische Individualität zu betonen. Diese Einstellung schloss auch die Gründung einer Künstlergruppe aus.
Trotzdem gab es einige Künstler und Künstlerinnen, die sich auch diesem Neuen verschrieben – Kandinskys Lebensgefährtin Gabriele Münter zum Beispiel, August Macke, Alexej von Jawlensky oder Heinrich Campendonk. Und so entstand über die Jahre wohl allen Intentionen zum Trotz der Eindruck, «Der Blaue Reiter» sei eine Gruppierung gewesen, wie es beispielsweise «Die Brücke» war.
Ein Raum trägt zusammen, was im «Blauen Reiter» einst versammelt war. (Bild: Keystone /©ProLitteris)
Wie das Buch seinen Namen erhielt, beschrieb Kandinsky einst selbst: «Den Namen ‹Der Blaue Reiter› erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf. Beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst.»
Es waren revolutionäre und radikale Gedanken, die die beiden Künstler zu ihrem Werk anleiteten. Nicht mehr die sichtbare Wirklichkeit abbilden, das wollten sie. Sondern geistige Fragen verbildlichen. Die Frage nach der Form etwa trieb Kandinsky um – er beschrieb sie treffend in einem Beitrag im «Blauen Reiter»:
«Da die Form nur ein Ausdruck des Inhaltes ist und der Inhalt bei verschiedenen Künstlern verschieden ist, so ist es klar, dass es zu derselben Zeit viele verschiedene Formen geben kann, die gleich gut sind. Die Notwendigkeit schafft die Form. […] Das Wichtigste in der Formfrage ist das, ob die Form aus der inneren Notwendigkeit gewachsen ist oder nicht.»
Die Zeichnung wurde schliesslich von ihrem Zwang zu Konturen befreit, die Malerei von ihrem Zwang zur Figuration.
Die Abstraktion war geboren.
Den Weg dorthin zeichnet die Fondation Beyeler nun in ihrer Ausstellung «Kandinsky, Marc & Der Blaue Reiter» nach. Kurator Ulf Küster vermeidet dabei geschickt das Missverständnis um den «Blauen Reiter», indem er einerseits den Almanach selbst ins Zentrum rückt und andererseits auf die beiden Hauptprotagonisten Kandinsky und Marc fokussiert.
Hätten wir nach dem Ausstellungsbesuch noch einen Wunsch offen, so wäre es höchstens jener gewesen, dass er die Konzentration auf die beiden noch stärker gehalten und auf die wenigen Exponate von Gabriele Münter, August Macke oder Alexej von Jawlensky gleich ganz verzichtet hätte – denn die Auswahl von deren Werken erscheint etwas beliebig und der direkte Vergleich der beiden Œuvres von Kandinsky und Marc erweist sich als fruchtbar genug.
«Murnau – Obermarkd mit Gebirge»: 1908 malte Wassily Kandinsky noch figurativ. (Bild: Keystone /©ProLitteris)
Die Stärke der Ausstellung liegt ansonsten in der Reduktion auf einzelne, teilweise nur sehr selten gezeigte Exponate – Franz Marcs «Wasserfall» etwa, der zuletzt 1949 ausgestellt worden war. Oder aber die Werke, welche die beiden Künstler austauschten und in denen sie den Stil des jeweils anderen zu interpretieren versuchten: Kandinskys «Improvisation 12» (1910), das einen Reiter auf einem blauen Pferd zeigt, und Franz Marcs «Stallungen» (1913), ein Reigen von Farbflächen und Pferderücken in kubistischer Manier.
Küster beginnt seine Ausstellung allerdings ein paar Jahre früher, in einer Zeit, als Kandinsky noch figurativ malte und Marc noch auf der Suche nach der Essenz seiner Bilder war, die er später in den ruhenden und schlafenden Tieren fand. Auch lernten sich die beiden Künstler erst im Jahr 1911 kennen – Kandinsky war damals bereits 45 Jahre, Marc 31 alt.
In jenem Jahr malte Marc an seinem Bild «Die grossen blauen Pferde», ein Werk bestehend aus Rundungen und von der Natur losgelöster Farbe, das es in seiner nahezu perfekten Komposition Jahrzehnte später schaffte, das Publikum mit den Anliegen der Moderne zu versöhnen. Noch heute kommt man nicht umhin, das selten öffentlich gezeigte Gemälde seiner Ausgewogenheit wegen zu bewundern.
«Die grossen blauen Pferde» von Franz Marc – eine nahezu perfekte Komposition. (Bild: Keystone / ©ProLitteris)
Nie aber darf man dabei vergessen, dass das, was wir heute als «schön» und «lieblich» ansehen, damals radikal war.
So zum Beispiel auch ein weiteres Meisterwerk der Ausstellung, Kandinskys zwei mal drei Meter grosse «Komposition VII» (1913). Sie allein ist den Besuch der Fondation Beyeler wert: Eine Symphonie von Formen und Farben, an denen sich ablesen lässt, was Kandinsky einst fasziniert über den Komponisten Arnold Schönberg und dessen Philosophie, die Anarchie als Prinzip der Komposition, sagte: «So wie Sie komponieren, will ich malen können.»
Hier hinein will ich micht versenken und nie wieder auftauchen: Wassily Kandinskys «Komposition VII». (Bild: Keystone /©ProLitteris)
_
«Kandinsky, Marc & Der Blaue Reiter», Fondation Beyeler, 4. September 2016 bis 22. Januar 2017.