Blut für den neuen Gott! Zeal & Ardor füttern den Hype mit «Stranger Fruit»

Das erste «richtige» Album der Basler Pop-Preis-Träger übertrifft auch hohe Erwartungen. Die Frage lautet nicht mehr, wie lange Manuel Gagneux die Metaller bei Laune halten kann. Sondern wie lange er sich noch im selbst gewählten Stilkorsett von Zeal & Ardor bewegen will.

Ein Album im traditionellen Sinn: «Stranger Fruit» von Zeal & Ardor.

«Strange Fruit» heisst ein Billie-Holiday-Song über gelynchte Afroamerikaner, die wie sonderbare Früchte in den Bäumen hängen. «Stranger Fruit» heisst das zweite Album von Zeal & Ardor, der Band von Manuel Gagneux.

Den Zusammenhang mit dem Lied aus den alten Südstaaten schafft das abschliessende «Built On Ashes», in dem Gagneux von Afroamerikanern singt, die in den USA unserer Tage von Polizisten erschossen auf der Strasse liegen. Wer hat da behauptet, dieser Typ mache einfach so eine Art satanistische Spirituals?

Wo führt das noch hin?

Musikalisch packt dieser Song noch einmal zusammen, was die Platte speziell und gross macht: die Stimme zwischen Soul und Schreiattacke, das Ruf-und-Antwort-Spiel der Worksongs, sirrende Gitarren (hier mehr Postrock als Black Metal), die prügelnde Doublebass und die unheimliche Stille zwischen zwei Klavierakkorden. Es ist ein Stück, das nach Abschied klingt. Nicht nur, weil sich das dramaturgisch so gehört zum Abschluss eines anständigen Albums. Sondern auch, weil man sich fragt, in welche musikalische Richtung es Manuel Gagneux als Nächstes zieht.

Erst einmal geht es hier aber um «Stranger Fruit», das erste «richtige» Album von Zeal & Ardor. Sein Vorgänger «The Devil Is Fine» löste vor zwei Jahren mit der Verbindung von afroamerikanischer Sklavenmusik und Black Metal einen völlig unerwarteten Hype aus. Gagneux wurde überrumpelt. Die Songs hatte er mit einfachen Mitteln im Alleingang eingespielt, eine Band gab es nicht. Und plötzlich kamen Konzertanfragen von beiden Seiten des Atlantiks.

https://tageswoche.ch/form/interview/das-ego-ist-gott-manuel-gagneux-ueber-das-zweite-album-von-zeal-ardor/

Also scharte Gagneux die besten Leute um sich, die er kriegen konnte. Das waren keine Söldner, sondern Musiker aus seinem Basler Kollegenkreis. Weil «The Devil Is Fine» gerade mal 25 Minuten lang ist, musste für die Konzerte weiteres Material her, das Gagneux dann einfach mal schrieb und anschliessend monatelang live spielte. Viele dieser Stücke finden sich nun auf «Stranger Fruit». Konzertgängern dürften sie bekannt vorkommen, denn wer Brecher wie «Don’t You Dare» einmal gehört hat, vergisst sie so schnell nicht wieder.

Doch «Stranger Fruit» ist mehr als die Zusammenstellung einiger Songs, die von der Bühne ins Studio geschleppt wurden. Gagneux ging ohne Band, dafür mit dem Wiener Produzenten Zebo Adam ans Werk. Bis auf die Drums spielte er alle Instrumente selber ein.

Das Resultat ist ein Album im traditionellen Sinn, mit Spannungsbögen, Zwischenspielen und Stilbrüchen, das trotzdem einem roten (oder besser: schwarzen) Faden folgt. Es eröffnet metaltypisch mit einem Intro aus hymnischem Gesumme und Hochfrequenz-Geraffel. Anschliessend knüpft die erste Single «Gravedigger’s Chant» strategisch geschickt und musikalisch überzeugend an «The Devil Is Fine» an. Und gleich darauf folgt der konzerterprobte Stampfer «Servants».

«Stranger Fruit» offenbart in aller Pracht, welch herausragender Songwriter und Sänger Gagneux ist.

Zeal & Ardor haben ein Konzept, und daran sind Erwartungen geknüpft. Auch aus der Metalszene, wo manche die Aneignung «ihrer» Musik nicht gerne sehen und murren, der Black Metal sei bei Zeal & Ardor bloss aufgesetzt. Diese Leute bekommen die zweite Single «Waste» um die Ohren geprügelt, ein Stück, das heavy loslegt und sich dann zur Raserei steigert. Anderswo gibt es lateinischen Mönchsgesang, und in «We Can’t Be Found» brüllt Gagneux: «Blut für den neuen Gott!» Ist das Metal genug?

Für Puristen ist Gagneux zu vielseitig. Er kann Metal in verschiedenen Ausprägungen, aber auch Blues, Soul und Pop, er hat seinen Alan Lomax studiert, und wenn er will, singt er wie Terence Trent D’Arby. Klar, er hat schon unter dem Namen Birdmask gezeigt, dass er mit Melodien umgehen kann und weiss, wie man einen Refrain schreibt. Doch erst «Stranger Fruit» offenbart in aller Pracht, welch herausragender Songwriter und Sänger er ist, wie souverän er sich zwischen Stilen und Stimmungen bewegt.

Nehmen wir den Titelsong: Zunächst schlägt er den Zuhörer mit pochendem Piano und Geisterchören in Bann, dann zerren Gitarren und allerlei Sounds, als hätte sie Trent Reznor mit seinen Nine Inch Nails entfesselt.

Von Genres unabhängig

«Stranger Fruit» dürfte Manuel Gagneux‘ Erfolg bestätigen und mehren. Die nächsten Wochen geht es auf Konzertreise, wobei so unterschiedliche Veranstaltung wie das Primavera (als erster Basler Act), das Montreux Jazz Festival und das Wacken Open Air auf dem Plan stehen.

Wie lange das von Zeal & Ardor selbst geschaffene Stilkorsett hält, wird sich zeigen. Manuel Gagneux aber trauen wir eine Karriere zu, die unabhängig von den Genres, in denen er sich bewegt, noch jede Menge toller Musik hervorbringt.

Zeal & Ardor: «Stranger Fruit» (MVKA Music/Radicalis), erscheint am 8. Juni.

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