Manuel Gagneux, das wie vielte Interview ist das hier zum zweiten Zeal-&-Ardor-Album?
Ich habe schon über 70 Interviews gegeben, war für Gespräche in London, Paris, Berlin, Köln, Hamburg und Stockholm. Und natürlich hing ich viel am Telefon. Australien war am anstrengendsten. Das begann um 22 Uhr, dann gabs zehn Interviews am Stück bis drei Uhr morgens.
Und die Heimat kommt diesmal ganz am Schluss dran.
Dafür ist es ein Heimspiel.
Gab es Fragen, die dich genervt haben?
Eigentlich nicht. Nun, seit dem «Guardian-Artikel» fragen mich alle über die Sache mit dem Branding. Am Verkaufsstand bieten wir an, den Fans ein Bandlogo in die Haut zu brennen. Das haben ein paar Leute tatsächlich gemacht. Aber wenn ich sowas anbiete, werde ich halt auch danach gefragt. Da bin ich selber schuld.
«Nicht über die Rassen-Thematik zu sprechen, wäre mit der Musik, die ich mache, schlicht feige.»
Ein Jahr ist es her seit unserem letzten Interview. Viel ist passiert. Hast du dich schon an den weltweiten Rummel um deine Person gewöhnt?
Ganz am Anfang gab es die Idee, das Projekt anonym laufen zu lassen. Das ging dann aber in die Hose, weil jemand – das warst du, Olivier! – geschrieben hat: «Zeal & Ardor ist Manuel Gagneux»(lacht). Vielleicht ist es besser so. Ich wäre wohl zu faul, dauernd so zu tun, als wäre ich das nicht.
Na, die internationale Presse war ja noch schneller. Auch jetzt fragen wir als lokales Medium verspätet nach dem heissen Eisen: Dem «Guardian» hast du gesagt, du hättest nicht erwartet, dass sich jemand ein Symbol für Sklaverei einbrennen lassen würde, so was würden nur «unterwürfige Idioten» tun. Macht ihr trotzdem weiter?
Jetzt ist klar, was es damit auf sich hat. Weitermachen macht so kaum noch Sinn. Wobei unser Merch-Verkäufer das Eisen wohl dabei haben wird. Wer weiss.
Aber nicht, dass ihr wieder Ärger kriegt wie mit eurem Marterpfahl in Bern …
(lacht) Oh nein …
Was war da eigentlich genau los?
Beim Konzert in der Reithalle hatten zwei Leute ethische Bedenken. Sie haben unsere Marterpfahl-Requisite beschlagnahmt und darauf eine Art Sit-in gemacht. Als ich dann diskutieren wollte, haben sie mir Rassismus vorgeworfen. Ich merkte schnell: Ok, die sind die oberste Instanz in schwarzamerikanischer Ethik und Kultur (lacht) – und ziemlich besoffen. Es dauerte keine zehn Minuten, da war das Niveau auf «wie bei Hitler».
Okay … Der Titelsong des neuen Albums «Stranger Fruit» ist ein starkes Statement gegen rassistische Gewalt in den USA. Ist es Mut oder Verwegenheit, einen der grössten und bewegendsten Songs von Billie Holiday als Inspiration für den Titel zu nehmen?
Nicht über die Rassen-Thematik zu sprechen, wäre mit der Musik, die ich mache, schlicht feige. Vielleicht war es etwas plump, dass ich gerade diesen Song wählte. Aber musikalisch ist mein Stück etwas ganz anderes. Und apropos Titel: Nach einer Minute googeln habe ich dann gesehen, dass auch ein ganz schlechter Dok-Film so heisst. Jänu.
Popmusik wird allgemein wieder politischer. Viele Bands aus den USA singen über Polizeigewalt und Rassismus.
Es wäre schlicht falsch und fast schon unbesonnen, darüber zu schweigen. Gerade wenn man Sklavenmusik mit teilweise beige oder gleich ganz braun pigmentierter Musik mischt. Dann muss man dem Ganzen schon etwas Kontext geben. Wir spielen teilweise vor Publikum, das vielleicht noch nie mit solchen Inhalten konfrontiert worden ist.
Habt ihr demnach eine Art Aufklärer-Rolle im Metal?
Das würde ich mir niemals anmassen. Aber einige Themen werden angesprochen. Wenn jemand im Publikum Lust hat, das näher anzuschauen, dann besteht diese Möglichkeit. Aber letzten Endes machen wir Musik. Ein Konzert ist keine Podiumsdiskussion oder so was.
Aber die Musik bietet sich an, darüber zu sprechen. Jedenfalls haben wir vor dem Interview eingehend über mögliche Bedeutungen einzelner Songstellen diskutiert. Schon der Anfang: Geräusche von harter Arbeit, dann bald der Titel «Servants» …
Einerseits gibt es weiterhin die «alternate history»-Thematik – sprich, was wäre, wenn sich die Sklaven dem Satanismus zugewandt hätten –, andererseits kann man das Album stellenweise im Kontext der amerikanischen Mittelklasse oder im Kontext von unterdrückten gesellschaftlichen Schichten in unserer Gegenwart lesen. Das alles ist relativ offen gehalten. Ich stehe nicht hin und sage: «Also, eigentlich ist es so.» Viel schöner fände ich, wenn ich damit eine Bühne gestalte, auf der sich jeder selber die Story zusammenreimen kann. Ein zu klares Narrativ auf einem Album hat etwas Entzauberndes.
Wir fragen jetzt trotzdem konkret: «There’s a storm out there, there ain’t no shelter for us» lautet eine der vielen verzweifelten, fast schon apokalyptisch anmutenden Textstellen. Entspringt das einer Fuck-it-all-Attitüde, oder beklagst du konkrete Missstände?
Beides. Klar weise ich auf echte Probleme hin. Und zu den apokalyptischen Gedanken: Ich bin überzeugt, dass in den USA in den nächsten Jahren etwas ganz Krasses passieren wird. Etwas, das alles verändert, etwas Irreversibles. Ob das gut oder schlecht ist, das weiss niemand. Darum auch: «You ain’t coming back.» Brücken werden verbrannt, es gibt kein Zurück mehr.
Da bist du sicher?
Ja, ich habe das Gefühl, dass irgendetwas Grosses, Merkwürdiges passieren wird. Beim Sturm und beim fehlenden Schutz: Da geht es allerdings um das, was jetzt bereits Realität ist für viele Menschen.
Hat das auch mit persönlichen Erlebnissen zu tun, wenn du über Rassismus singst?
Sicher nicht in dieser Form. Und sicher nicht als etwas Alltägliches. Auf das, was in den USA geschieht, geniesse ich eine privilegierte Aussenperspektive: Ich lebe in der Schweiz und bin nur halb schwarz. Trotzdem: Es gab rund 20 Vorfälle in meinem Leben, bei denen ich feststellen musste: «Krass, das war jetzt Rassismus.» Man kann sich dem Thema annähern. Ich vielleicht noch etwas mehr, weil ich musikalisch ein Stück weit in eine Rolle schlüpfe. Jedenfalls entstammen diese Inhalte weniger der persönlichen Erfahrung.
Ist dir diese Abgrenzung wichtig?
Nun, ich mache einfach, was ich mache. Trotzdem muss ich vorsichtig sein, stelle schon klar, dass es bei dem, was ich mache, nicht um mein persönliches Leid geht. Es ist mir auch wichtig, dass man mir nicht den Vorwurf machen kann, ich verharmlose die Themen, die ich anspreche, weil ich etwa Dinge reinmische wie Satanismus und okkulte Elemente. Aber ich bin nicht die Person, die da rumschreit. Musik ist für mich eine Form von Katharsis. Ich spreche immer vom Separieren von Künstler und der Kunst.
Distanzierst du dich auch von satanistischen Inhalten? Der Satanic Temple aus den USA hat ja anscheinend Kontakt zu dir aufgenommen…
Die sind cool. Dort geht es nicht um Okkultes. Da steht Philosophisches im Zentrum. Und die machen Sachen wie After-School-Programs, wo Kinder büffeln können. Also starke Betonung auf Bildung statt Religion.
Also kein Tieropfer-Satanskult.
Nein. Es gibt vereinfacht gesagt zwei Fraktionen. Auf der einen Seite eben den Temple, eher auf dem Boden geblieben, andererseits gibt es in den USA die Church of Satan von Anton LaVey. Das sind quasi die mit den Geisslein und den Orgien. Hat sicher auch seinen Reiz, aber da sehe ich mich weniger (lacht). Mit den Leuten vom Temple habe ich gesprochen, die sind okay. Die sind in Los Angeles. Da sollte ich eigentlich mal ein Konzert geben.
«Es gibt eine ganze Reihe von obskuren Zitaten auf dem Album. Mit obskur meine ich: Man kann sie googeln.»
Täuscht der Eindruck, oder spielt der Satanismus auf dem zweiten Album keine so grosse Rolle mehr?
Der täuscht. Er ist auf dem zweiten Album eigentlich wichtiger, aber schöner umschrieben. Ich wollte mich etwas von einigen Metal-Klischees – also nicht von allen – lösen. Dafür ist es etwas subversiver.
Man findet also satanistische Philosophie in den Texten?
Es gibt eine ganze Reihe von obskuren Zitaten auf dem Album. Mit obskur meine ich: Man kann sie googeln (lacht).
Ist das nur ein Spiel, oder ist dir das persönlich wichtig?
Das ist mir durchaus wichtig. Meine persönliche Kritik an Religionen ist allerdings, dass sie anderen den Glauben aufzudrängen versuchen. Ich will das selber nicht machen.
Beim ersten Album hast du gesagt, die satanistischen Sachen seien eher ein Spiel. Jetzt ist es dir wichtig. Learning by doing?
Nein. Ich hatte ein langes Gespräch mit Daniel P. Carter von «BBC Radio». Er kennt viele praktizierende Satanisten, die ihren Glauben subversiv in ihr Schaffen einbauen. Mit dem klassischen Church-of-Satan-Satanismus kann ich wie gesagt nichts anfangen, aber die Ansichten des Temple of Satan finde ich gut.
Kannst du die kurz zusammenfassen?
Das Ego ist Gott, die Selbstverwirklichung ist die Raison d’être, der Telos. Es gibt, anders als bei der Church of Satan, keine niederträchtige Verachtung für Schwache. Das Ego ist zwar an oberster Stelle, aber man dient ihm, ohne andere Menschen zu beeinträchtigen, tritt möglichst niemandem auf die Zehen.
«Ich bin mir total bewusst, dass ich momentan in einem Hype bin. Hypes tendieren nicht dazu, ewig anzudauern.»
Hilft der softe Satanismus – also «Ich bin gut, solange ich keinem schade» –, um einfacher damit umgehen zu können, immer mehr im Rampenlicht, im Mittelpunkt zu stehen?
Die Karriere oder die Aufmerksamkeit spielt sich für mich noch immer in einem seltsam distanzierten Rahmen ab. Bisher stört es mich nicht. Aber wer weiss, vielleicht ändert sich das noch. Oder es passiert überhaupt nichts mehr. Das Album ist ja noch nicht mal draussen.
Wie, es passiert überhaupt nichts mehr?
Das kann noch alles auf viele Arten schiefgehen, und ich bin mir total bewusst, dass ich momentan in einem Hype bin. Hypes tendieren nicht dazu, ewig anzudauern. Ich glaube, wenn ich auf das Schlimmste gefasst bin – sogar vom Schlimmsten ausgehe –, dann kann ich nur positiv überrascht werden.
Was wäre das Schlimmste?
Dass wir vielleicht noch diese Tour spielen – und dann ist Schluss. Ehrlich gesagt: Selbst das wäre ja schon super.
Dann erfüllte sich auch die anfängliche Prophezeiung vom zweiten und bereits letzten Album?
Mhm. Und fertig (lacht).
Bei Prince sagen viele, nach «Purple Rain» sei es bergab gegangen – um die farbliche Paralle und die musikalische Mischung aufzunehmen: Dein Zweitling wäre dann quasi «Purple Reign in Blood»?
(lacht) Mein bester Kollege nennt mich den «Petit Prince of Darkness».
Du hast das ganze Album hier in der Off-Bar im Kleinbasel geschrieben?
Ja, hier im Keller, auf diesem Computer (zeigt auf den Laptop).
Und als «Petit Prince of Darkness» hast du auch alles allein eingespielt?
Alles ist von mir, mit Ausnahme der Drums und der Produktion.
Wie lange brauchst du für einen Song?
Zwei bis drei Tage.
«Ich möchte künftig nicht an einer Supermarkt-Kasse sitzen. Aber dieses Blatt liegt ebenfalls in den Karten.»
Beim ersten Album kam der Input, Black Metal mit Field Songs zu mischen, aus dem Internet. Hat dir nun das englische Label oder dein Management hier musikalischen Input gegeben?
Nein, niemand. Das Label war sehr «hands off». Ich habe ihnen zwar die Demos gezeigt, aber die Antwort war: «Du musst wissen, was auf die Platte draufkommt.» Sie hatten Vertrauen, dass ich weiss, was es sein muss.
Das ist ein Riesenkompliment.
Mega. Radicalis (Anm. d. Redaktion: das Management) ist im letzten Jahr zu einem Leviathan gewuchert. Die stehen kurz vor einem Schweizer Indie-Musik-Monopol. Würde das Album nicht so gut laufen, dann würden sie deswegen kaum zusammenklappen. Zuerst war ich mit meinem Projekt Birdmask bei ihnen. Aber dann ist dieser Scheiss passiert (lacht).
Zeal & Ardor?
Wenn man es ein bisschen kleinredet, dann bin ich vielleicht selbst etwas weniger nervös. Bei dem Thema geht es auch um Existenzielles.
In welchem Sinn?
Im ganz banalen, dass ich finanziell total davon abhängig bin. Und wenn ich es irgendwie vermeiden kann, dann möchte ich auch in Zukunft nicht am Supermarkt an einer Kasse sitzen. Aber dieses Blatt liegt ebenfalls in den Karten.
Mit der geplanten Tour bist du wohl fürs Erste abgesichert.
Die Tour wird auch dieses Mal weniger als eine schwarze Null machen. So teuer ist das.
Dich plagen trotz Erfolg Zukunftsängste? Was hast du denn gemacht, bevor du auf die Musik gesetzt hast?
Nun, ich habe mich immer mit Musik beschäftigt. Habe bei Aufnahmen mitgearbeitet, war als Tontechniker unterwegs, solche Sachen. Aber ich habe keine offizielle Ausbildung. Gut gemacht, Manu. Gut gemacht.
«Was ich mir immer gewünscht habe, ist derzeit Realität. Es ist ein Traumleben: Ich kann Musik machen, jeden Tag.»
Gut gemacht – finden wir auch. Das darf man bisher durchaus sagen: Die Konzerte im Ausland waren bislang ein voller Erfolg.
Eh. Das ist etwas vom Geilsten, was ich je erleben durfte. Aber die Vorstellung, dass ich davon lebe …, ie ist beinahe utopisch. Deswegen bin ich auch so vorsichtig, fast schon abergläubisch. Wenn ich das jetzt öffentlich toll finde und davon ausgehe, es gehe so weiter, dann klappt es eben gerade nicht. Ich darf nicht von einer Selbstverständlichkeit ausgehen.
Ohne das zu verhexen: Was wäre denn die Wunschvorstellung?
Hm. Schlicht: weitermachen und davon leben können. Musik machen. Eigentlich so wie jetzt. Was ich mir immer gewünscht habe, ist derzeit Realität. Es ist ein Traumleben: Ich kann Musik machen, jeden Tag. Und mein Manager schaut sogar, dass die Sachen, die ich schreibe, die richtigen Empfänger finden.
Derzeit kannst du also von der Musik leben.
Ja. Das Finanzielle regelt mein Manager, David Burger. Mad Props an ihn! Ich bin ja … Ich habe … nun, ich bin verschuldet. Dieses Problem gehe ich an. Ich war schon verschuldet, als ich für einige Jahre in die USA ging. Steuern, Militärersatz, andere Sachen. Aber ich bin zurückgekommen. Naja, vielleicht nicht die beste Idee, aber schon das Richtige. Ich empfand die Schulden stets als Damoklesschwert. Versuchte einfach, so gut es ging, möglichst nicht nach oben zu schauen. Ich hoffe, dies bald wieder unbeschwert tun zu können.
Die Tour geht nun los – und wenn alles mit den Visa klappt, geht es im Herbst auch für einen Monat in die USA. Du hast schon zweimal Basler Bands – Combineharvester und Schammasch – ins Ausland mitgenommen. Act global, think local?
Ich habe gerne Leute mit dabei, die ich kenne. Bei den betreffenden Konzerten hat man uns Vorschläge gemacht für andere Bands – und die waren nicht toll. Es ist nicht einfach Lokalpatriotismus.
Das würde auch dem satanistischen Prinzip von «ich bin ich» widersprechen.
Eben! Das war mein erster Gedanke (lacht).
Also bist du heimlich doch einer.
Ja. Ein klandestiner Satanist.