Wenn’s um die Schweiz geht, geht’s um die Wurst und ums Schwingen – und zwar auf ziemlich wüste Art und Weise. So zumindest die Sichtweise des «Morphologischen Instituts», das in seiner Film- und Theaterinstallation «Heimatschauer» im Theater Roxy ein ausgesprochen düsteres Heimatbild der Schweiz vermittelt.
Nicole ist sehr nett. Die weiss gekleidete Fee mit Federhut verspricht mir, dass mir der Zugang zum Finale der heimatlichen Geisterbahn ganz sicher gewährt werde. Und zur Belohnung für das geduldige Warten bekomme ich ein Pfefferminztablettchen, das viel besser mundet als die ungeschälte Klöpferscheibe, die mir zuvor von den beiden Turnern überreicht worden ist. Zum Glück gibt es als Verdauungshilfe auch noch ein bisschen Kirsch. Und im Ticket inbegriffen ist überdies eine gut schmeckende Wurst vom Grill, die einem im Hinterhof des Roxy offeriert wird.
Bis zu diesem Punkt, den ich übrigens beinahe verpasst hätte, ist ein längerer Weg zurückzulegen. Wer ins Herz der Heimatsicht der «Morphologischen Institut» genannten Performergruppe gelangen möchte, braucht Geduld. Und etwas Nerven. Denn zuerst gilt es, einen knapp einstündigen Film zu überstehen. Zu Beginn wird der noch von zwei physisch anwesenden schwingenden Performern begleitet, zieht sich letztlich aber gar seltsam, mit etwas gruseligen und zuweilen auch unappetitlichen Bildern etwas in die Länge.
Albtraum des Ausländers
Gezeigt wird der Fiebertraum des jungen Engländers Nic, der in die Schweiz gekommen ist, um sich in der Natur von seiner Krankheit zu erholen. Das habe ich dem Programmzettel entnommen, wirklich begriffen habe ich es nicht. Vorgesetzt bekommt man in erster Linie Krampf- und Kampf-Szenen, Schwinger in allen Facetten, Menschen mit heraushängendem Gedärme, Blut und Fäkalien sowie viele Leute in Unterwäsche und Ganzkopf-Bandagen.
Aber das geht vorbei. Was nach dem Film folgt – die besagte Nicole bittet das Publikum hinter die Leinwand und runter in den Off-Bereich des Roxy – ist um einiges erlebnisreicher und ansprechender. Wenn auch nicht unbedingt von positiven Bildern geprägt. Das Heimatbild, das «Heimatschauer» vermittelt, ist, wie der Name eigentlich bereits besagt, nicht wirklich heimelig.
Heimat, eine Geisterbahn
Die Schweizer Heimat, die man im Roxy vorgeführt bekommt, ist ein Gang durch die Geisterbahn der Schweiz-Klischees. Vorbei unter anderem an zwei volkstanzenden jungen Frauen, einer Skirennfahrerin, die vergeblich versucht, mit Messer und Gabel eine eingepackte Schokoladentafel zu befreien (wenn es denn so ist), und an einer in einem Zelt friedlich schlafenden jungen Frau bis zum fieberträumenden jungen Engländer in seinem Hotelzimmer, der bereits im Film zu sehen war.
Dort gibt es erst einmal einen Schluck Kirsch, den man, wie erwähnt, benötigt, wenn man später die ungeschälte Klöpferscheibe bewältigen möchte. Diese bekommt man in einer Art Tempel der Körperlichkeit überreicht, in dem eine Frau und ein Mann ausdauernd am Turnen und eben Wurstschneiden sind. Begleitet von einer desillusionierten Fassung des christlichen Urgebets unter anderem mit den Worten: «Vater unser, gib uns täglich mehr als nur Brot…»
Warten auf den schauerlichen Höhepunkt
Wer hier zu ungeduldig ist, und das war ich zugegebenermassen, verpasst den schauerlichen Höhepunkt des Parcours in die heimatlichen Abgründe. Aber beim zweiten Anlauf klappte es dann doch. Nicole führte mich nach ein paare Minuten Wartezeit durch die Tür und … Aber das sei hier nicht verraten.
Die Theater- und Filminstallation «Heimatschauer» vermittelt ein ziemlich eindimensionales Bild einer Schweiz, die sich in der Zwangsjacke ihrer Klischeebilder selber die Luft abschneidet. Aber sie tut dies letztlich auf eine überaus originelle und erfrischende Art und Weise. Und auch die Fussballfans kommen auf ihre Kosten: Im Hinterhof des Roxys, wo sich die Zuschauerinnen und Zuschauer zum finalen Volksfest treffen, werden die WM-Spiele live übertragen.
«Eine Art Landesausstellung» von und mit dem Morphologischen Institut
Konzept: Salome Schneebeli, Heta Multanen, Demian Wohler; Choreografie: Salome Schneebeli; Raum: Demian Wohler, Heta Multanen; Video: Heta Multanen; Sound: Martin Schütz und Morphologisches Institut
Performer: Nic Lloyd, Katrin Höpli, Sophia Agosti, Aljoscha Begrich, Rabea Grand, Sjlia Krause, Yves Regnass
Weitere Vorstellungen: 25. bis 28. Juni, Theater Roxy Birsfelden