Allzu erwachsen ging es zum Glück nicht zu und her an der 18. BScene-Ausgabe: viel Lebensfreude und Energie auf und neben der Bühne, tolle Konzerte, missglückte auch. Über 6000 Besucher pilgerten durch die Stadt, um Konzerte zu hören und zu tanzen. Eine Rückschau.
Was muss man tun, um eine neue Festival-Spielstätte im Handumdrehen zu etablieren? Eine Chartstürmerin buchen! Das Team um Jennifer Jans hat genau das getan und am Samstag Ira May auf die Affiche gesetzt. Nicht in der Kaserne, dem Sud oder in der Kuppel, sondern im Kleinbasler Union, das heuer erstmals ins Clubfestival integriert worden ist. Die Baselbieter Soulsängerin hat ihre BScene-Feuertaufe ebenso souverän bestanden wie das Lokal selber: gute Akustik, gute Soundanlage, gute Stimmung. Und: Volles Haus am frühen Samstag Abend. Wobei früh bei diesem Festival heisst: 22 Uhr.
Ira May widerlegte Unkenrufe, wonach ihre Liveperformance nach ihrem kometenhaften Aufstieg noch hinter den Studioqualitäten her hinke. Ihre Songs, zwischen Soul, Funk und Ska alternierend, bringt sie mit einer achtköpfigen Liveband satt auf die Bühne – und spart zum Glück nicht an einem Bläsersatz (Alt-, Tenor- und Baritonsax sowie Trompete).
Durchsetzungsstarke Stimme
Ihre Stimme ist auch live umwerfend: dunkles Timbre, beseelt, durchsetzungsstark, sei es in der 6/8-Takt-Ballade «Love Me» (mit einem wunderbaren Gitarrensolo in Prince-Manier) oder der Uptempo-Nummer «Bigger Plan» (worin sie eine Kraft an den Tag legt, die Mother’s Finest so alt aussehen lässt wie die mittlerweile auch sind).
Zur Hälfte ihres Sets zieht die Baselbieterin ihre Stöckelschuhe aus, um richtig tanzen zu können, überhaupt ist die ganze Band ständig in Bewegung. Ansteckend. Souverän. Mitunter auch ein bisschen klassisch (Fingerschnipp-Animationen, Sax-Dialoge, you name it). Wenn in einigen Monaten auf Tour eine Klischee-Einlage rausfällt, und dazu die eine oder andere vernachlässigbare Komposition (etwa der abschliessende, austauschbare Discofunk, bei dem einzig das Fusion-Solo auf den Keyboards aufhorchen liess), dann ist Ira May bereit, die zweite Stufe zu zünden. Wir freuen uns!
Bekannte Namen, neu entdeckt
Die Wucht eines vollen Band-Sounds lassen uns später auch Brandhärd spüren. Die Hip-Hopper, die sich 1997 in Allschwil formiert haben, gehören mittlerweile zu den Oldies im BScene-Programm. Davon ist aber in der Reithalle nichts zu spüren: Sie bestechen mit einem energiereichen, druckvollen Auftritt – zusätzlich angefeuert von Instrumentalisten, die ihren Nummern eine frische Note verleihen und das Klangbild erweitern.
Das Klangbild wird zur selben Zeit auch nebenan erweitert, im Rossstall. Immer ein Vergnügen, in den Beatbox Battle reinzuhören: Ein internationales Feld garantiert höchste Qualität. Das Publikum ist begeistert angehörs dieser Lehrstunden. Wirklich faszinierend, wie flink diese humanen Groovemeister sind, die scheinbar atemlos mehrere Layers legen – alles mit dem Mund – und sogar das Einatmen zur Klangspur machen. Und was ein Kehlkopf so alles kann, wenn man ihn nicht einfach nur zuraucht. Erstaunlich!
Ebenfalls seit Jahren fester Bestandteil in der Basler Musikszene sind Cloudride, die wir im Hirscheneck erleben können. Proppenvoll der Keller – und der Sound bis in die hintersten Reihen exzellent. Die Band um Sänger Axel Rüst hat ihren Alternative Rock über die Jahre erfreulich zwingender ausgestaltet und sowohl Songwriting als auch Performance weiterentwickelt: kompakt, fokussiert, emotional und druckvoll. Stark.
Statisch, wie der Name sagt
Was wir abends zuvor von Static Frames nicht gleichermassen überzeugt sagen können. Ihre Idee, atmosphärischen Indierock mit zwei Drummern auf die Bühne zu bringen, ist durchaus interessant: Bands wie Sigur Ros oder Bright Eyes haben diese schon mit Gewinn umgesetzt. Doch bei Static Frames werden noch zu viele Grooves gedoppelt, was den Mehrwert in Frage stellt (gelungen hingegen, wenn einer der beiden einen sanften Loop imitiert – mehr davon!).
Hinzu kommt, dass der Auftritt der Band mitunter wirklich statisch wirkt. So erfahren die einzelnen Musiker – zum Beispiel Bass-Allzweckwaffe Stephan Brunner – auch sind: Die Songs reichen den individuellen Qualitäten noch nicht das Wasser. Sie verlieren sich mitunter im Nirwana, sind aber zu wenig magisch-hypnotisch, um zu ergreifen. Als sich die Band im Lauf ihres Sets steigert, wird manifest: Da geht noch mehr. Muss es auch, für die Zukunft. Man muss aber auch erwähnen, dass Static Frames keinen einfachen Zeitpunkt erhalten hatten: Die Reithalle war erst spärlich gefüllt, als sie aufspielten.
Der Freitag: Schwächer programmiert – und besucht
Überhaupt der Freitag: Er bleibt ein bisschen Sorgenkind des Festivals. Vielleicht hätten mehr Zugpferde für den ersten Abend gebucht werden müssen (Jennifer Jans hat viele, fast zu viele bekanntere Namen auf den Samstag gelegt). Dafür hat das Union am Samstag – wie erwähnt – von Beginn weg gezogen: 600 Leute alleine bei Ira May. Auch mit der Premiere des Hinterhofs sind die Organisatoren zufrieden, ab 1 Uhr tanzten dort jeweils Hunderte bis morgen früh.
Der No. 8 Club im Volkshaus hingegen, ein Keller, den man via Schafgässlein betritt, lockte enttäuschend wenig Leute an. Warum, darüber kann man rätseln. Lags am DJ-Programm? Am, nun ja, Un-Ort – denn liebevoll dekoriert und illuminiert ist anders? Oder an der Tatsache, dass ein spärlich gefülltes Lokal die Leute weiterziehen lässt, auf der Suche nach der magnetischen Sogwirkung? Vermutlich ein bisschen an allem. Und dass das Volkshaus selber noch auf der Suche nach seinem Profil ist, darüber haben wir ja kürzlich andernorts berichtet.
Alte Bekannte auf Schritt und Tritt
BScene hat etwas von einem chaotischen Klassentreffen. Denn hier trifft man fast im Minutentakt auf alte Bekannte, Musik- und Konzertbegeisterte, die man zum Teil schon Monate oder Jahre nicht mehr gesehen hat. Das Unberechenbare steckt daher nicht nur im Programm, wo sich die Gelegenheit bietet, Acts für sich zu entdecken, das Unberechenbare liegt auch in den Begegnungen. So läuft man Gefahr, die eigene Routenplanung über den Haufen zu werfen. Mir geschehen am Freitag, als ich mir zum Auftakt vorgenommen hatte, ein Ohr voll von Two and Yuna mitzunehmen, einem Basler Duo. Das Klangbeispiel auf Soundcloud war vielversprechend:
In seiner Begrüssungsrede verriet Philippe Bischof, Leiter der Abteilung Kultur BS, en passant eine Neuigkeit: Basel wird in diesem Jahr offizielle Partnerstadt von Label Suisse, das im September in Lausanne über mehrere Bühnen gehen wird. «An diesem dreitägigen Festival, das mit weit über 100’000 Besuchern rechnet, wird Basel mit einem Sonderprogramm präsent sein», sagte Bischof. Welche Musiker unsere Stadt vertreten werden, wird derzeit noch evaluiert.
Aber – shame on me – nur noch die akustische Zugabe gabs auf die Ohren, weil unsereiner an Linus Volkmann und Benjamin Walter herangelaufen war und prompt die Zeit vergass. Wie hatte Philippe Bischof, der Basler Kulturchef, doch in seiner Begrüssungsrede zum Festivalauftakt gesagt? «Auch wenn es teilweise nur um ‹To be seen or not to be seen› gehen sollte – auch dieses wichtige Ritual braucht eine Stadt wie Basel hin und wieder.» Wie wahr!
Die beiden Kölner Musikjournalisten sind Stammgäste am BScene-Wochenende, lassen ihre Arbeit fürs Magazin «Intro» jeweils kurz ruhen, um in der Jury der RFV-DemoClinic Einsitz zu nehmen. Am Donnerstag hörten sie sich 13 eingereichte Songs an. Am meisten aufhorchen liess dabei offenbar die junge Basler Band St. Augustine. Die Gruppe darf sich nun über ein Coaching im Wert von 5000 Franken freuen.
Wen wir dann aber nicht verpasst haben im Parterre: Giacun Schmid, seit zehn Jahren als Singer und Songwriter auf der Bühne. In letzter Zeit war es ruhig um ihn geworden. Er habe an einem neuen Album gearbeitet, verriet er zwischen den Songs. Und präsentierte sich mit vier Begleitmusikern (u.a. Sandro Corbat an der Gitarre), die bekanntermassen versiert sind. Doch das Feintuning liess noch zu wünschen übrig, wurden doch Song-Anfänge abgebrochen, weil man sich nicht auf das richtige Tempo einigen konnte, aber auch Schlusssequenzen verhangen. Offenbar zu wenig aufeinander eingespielt, das Quintett, das vielleicht nur einen unglücklichen Abend erwischt hat – vielleicht aber ist das Set grundsätzlich zu wenig sattelfest eingeübt. Zudem schien der Songwriter gesanglich nicht ganz in Topform zu sein, man hätte sich oft mehr Kraft gewünscht. Schade, denn die Besetzung mit Baritonsax, Kontrabass, Gitarre und Schlagzeug ist eine spannende Ergänzung zu Schmids Songs.
Unser Highlight am Freitag wurden die Kapoolas im Rossstall. Wunderbar, wie sich diese Band entwickelt hat, erinnern wir uns doch gut daran, wie sie es mit schröppeligem Charme vor sieben Jahren ins BScene-Programm schafften – da waren sie im Schnitt 18 Jahre jung – und live mit furiosem Indierock verzückten. Es folgte eine Zeit, als sie ihre Skills im Studio verfeinerten, ihre Liveperformance allerdings nicht mehr ganz so präzis ins Herz stach wie in den ungestümeren Anfängen. Jetzt und heute lässt sich sagen, dass sie auf der Bühne nachgezogen haben. Die Kapoolas sind auch live eine der interessantesten Basler Bands der Gegenwart, herzerfrischend wie einst die Britpopper von Supergrass, mit einem Schuss Franz Ferdinand und, ja, der cleveren Komplexität von progressiveren Gruppen. Chapeau!
Um noch einmal den Basler Kulturchef Philippe Bischof zu zitieren – seinem Wunsch an das Clubfestival kann man sich nur anschliessen: «Nicht: Lange soll es leben – sondern: Es soll so lange leben, wie es lebendig ist!»
Und lebendig, das offenbarte das herrliche Gewusel in, vor und zwischen den Clubs, lebendig war es auch beim 18. Mal. Auf ein nächstes!