Literatur leistet unschätzbare Dienste, sagt Autor Wolfgang Bortlik. Ein Plädoyer.
Drei Tage Literatur satt! Internationale Stars und Lokalheldinnen lesen und diskutieren, neue und bekannte Texte erklingen, die BuchBasel, das Literaturfestival, findet statt vom 9. bis 11. November. Am 12. November wird es textlich wieder merklich stiller sein in Basel. Immerhin gibt es auch dann noch ein paar Buchhandlungen, die sich trauen, Lesungen zu veranstalten, auch wenn das meist unangenehm defizitär ist. Es gibt die Allgemeine Lesegesellschaft, das grosse und das kleine Literaturhaus, die Arena in Riehen, auch der Tag der Poesie ist wieder eingerichtet worden – und Slam-Reihen wenden sich an das jüngere Publikum. Es gibt also einiges an Öffentlichkeit für die Literatur. Ausserdem dürfen wir Schriftsteller manchmal in Gymnasien vortragen, für Gottes Lohn bei Leseförderungsveranstaltungen mitmachen und viel Eigeninitiative zeigen auf der Suche nach einem Ort oder Medium, wo man sich ausdrücken kann.
Kurzum, es besteht die Hoffnung, dass die Literatur in Basel als eine der ursprünglichsten kulturellen Äusserungen wahrgenommen und geschätzt wird, auch wenn sie im ersten Entwurf für ein Kulturleitbild der Stadt Basel 2010 ganz einfach vergessen wurde. Obwohl sich Philippe Bischof, der Leiter der Abteilung Kultur im Basler Präsidialdepartement, in einem Interview mit der TagesWoche zur Aussage verstiegen hat, dass die Literatur in Basel nicht «herausragend» sei, schreiben wir weiter an unserem Werk.
Das mittlerweile revidierte Kulturleitbild der Stadt Basel schwafelt harmlos und unverbindlich vom «Zugang für möglichst breite Teile der Bevölkerung zur Literatur» und von der «Bekämpfung des funktionalen Analphabetismus». Hehre Ziele, in der Tat. Viel ist in diesem Leitbild – nicht nur bei der Literatur – auch die Rede von Modell, Strategie, Koordination, Potenzial und Synergie. Ich muss immer laut lachen beim Lesen dieser Hohlbegriffe, die offensichtlich Lieblingswörter der Kulturbürokratie sind.
Schüler können nicht mehr lesen
Von der Theorie zur Praxis: Dass es die Buchmesse, integraler Teil der Buch Basel, nicht mehr gibt, lässt mich doch sehr stark zweifeln an der Literaturstadt Basel. Der Betriebsverlust des Vereins Literatur Basel war dafür verantwortlich. Die Buchmesse musste als schwächeres Glied über die Klinge springen.
Genau diese Buchmesse jedoch ist keine Gewerbeausstellung, an der man nur heftig versucht, ein bisschen Umsatz zu machen. Eine Buchmesse ist ein kultureller Anlass, auch wenn für die ausstellenden Verlage jeder verdiente Franken in diesen lausigen Zeiten zählt. An einer Buchmesse treiben sich alle herum, die etwas mit Literatur zu tun haben, ob weiblich oder männlich: Produzenten, Vermittler, Übersetzer, Hersteller, Lektoren, Verleger, Verteiler, Kritiker, Wichtigtuer. Sie sind ansprechbar für die Konsumenten, ob jung, ob alt. An einem so demokratischen Anlass wie einer Buchmesse bekommt die Literatur endlich einmal Fleisch auf den Knochen. Deswegen ist es eine Schande, dass es diese Messe nicht mehr gibt. Sollte sie 2014 wieder kommen, wird sie bedeutend kommerzialisierter und weniger bunt sein.
Gerade Basel, das unter dem qualvoll sinnfreien Label «Stadtmarketing» Millionen zum Fenster rauswirft, um sich irgendwie international als Ziel diverser Sehnsüchte zu positionieren, müsste eine Veranstaltung wie eine Buchmesse leidenschaftlich stützen, statt sie einfach krepieren zu lassen.
Selbstverständlich ist das Literaturfestival eine prima Sache und lässt mit seinem Programm auch leuchten. Aber welche Stadt in der Schweiz hat mittlerweile kein Literaturfestival?
Die Attraktion der Basler Buchmesse war bisher die Verleihung des Schweizer Buchpreises durch den Buchhändler- und Verlegerverband. Es könnte sein, dass diese Verleihung ohne umrahmende Buchmesse bald nicht mehr in Basel stattfinden wird. Mittlerweile handelt es sich nur noch um den Deutschschweizer Buchpreis, weil der Bund einen eigenen Konkurrenzpreis in den vier Landessprachen ausgelobt hat, der in Solothurn verliehen wird.
Wirklich entsetzt bin ich aber, wenn ich von meinen Töchtern höre, dass ihre Mitschüler im Gymnasium nicht (mehr) lesen können. Wie lernt man denn sonst? Kriegt man den Stoff intravenös? Nein, man liest. In einem Roman von Balzac oder Stendhal lernt man mehr über das 19. Jahrhundert in Frankreich als in allen Geschichtsbüchern zusammen.
Insgesamt aber kommt es mir so vor, als schreibe man heute nur noch für sich selbst oder für die Schublade. Die sogenannten Intellektuellen, zu denen ich Schriftstellerinnen und Schriftsteller generell zählen will, sind ein gesellschaftliches Auslaufmodell. Ab und zu kriegen sie ein bisschen Preisgeld, etwas Literaturkredit und andere Anerkennung. Ansonsten sind ihre Ideen obsolet. Ich schlage eine grundsätzliche Umwertung und Umverteilung vor. Literatur leistet unschätzbare Dienste. Vielleicht kann man in Basel ein paar Strassen weniger aufreissen und das gesparte Geld (eventuell gemäss Kulturleitbild?) fürs Lesen und Schreiben einsetzen. Bücher sind wichtiger als Strassen!
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12