Charles Ray: Ein Meister der Oberfläche

Der amerikanische Künstler Charles Ray ist ein Perfektionist. Zum Glück. Denn dann schärft man seinen Blick beim Betrachten seiner figurativen Skulpturen. Aktuell im Kunstmuseum Basel.

Auf Augenhöhe mit Charles Rays «The New Beetle». (Bild: Georgios Kefalas)

Der amerikanische Künstler Charles Ray ist ein Perfektionist. Zum Glück. Denn dann schärft man seinen Blick beim Betrachten seiner figurativen Skulpturen. Aktuell im Kunstmuseum Basel.

Vor vier Jahren stand im ersten Raum des zweiten Obergeschosses im Kunstmuseum Basel ein auseinandergesägter und falsch zusammengeschweisster Citroën, ein Werk des Künstlers Gabriel Orozco. Nun steht im selben Raum, an derselben Stelle und gleich ausgerichtet ein Unfallwagen. Hellgrau gesprayt, die Kühlerhaube offensichtlich weggesprengt beim heftigen Aufprall. Jedes einzelne Detail der Karrosserie ist ersichtlich. Als hätte der Künstler den Unfallwagen genommen und in Farbe getaucht.

Charles Rays «Unpainted Sculpture».

Charles Rays «Unpainted Sculpture». (Bild: GEORGIOS KEFALAS)

Die Wahrheit sieht anders aus. Das Auto ist aus Fiberglas hergestellt, in mühsamer Kleinarbeit: Der Wagen auseinandergeschraubt, Einzelteile nachgefertigt, wieder zusammengeschraubt. «Ich wollte jede Beule, jede zerknautschte Stelle, jeden Aspekt der Zerstörung an dem Wagen duplizieren», schreibt Charles Ray in einem Text zu seinem Werk «Unpainted Sculpture», der im Katalog zur Ausstellung im Kunstmuseum nachzulesen ist. Ray, ein Perfektionist?

Sicherlich. Selbst kleine Ungenauigkeiten sind geplant. Der amerikanische Künstler arbeitet jahrelang an einem Werk. Und so ist es trügerisch zu denken, dass man in der Ausstellung auf unzählige Werke trifft, nur weil der Titel «Charles Ray: Skulpturen 1997–2014» lautet und die Schau nicht nur im Kunstmuseum, sondern auch gleich noch im Museum für Gegenwartskunst (MGK) angesiedelt ist.

Starke räumliche Präsenz

Rays Werke brauchen Platz. Im Kunstmuseum ist deshalb pro Raum meist nur eine einzelne Skulptur ausgestellt. Im MGK hingegen finden sich im grossen unteren Raum drei Werke, und tatsächlich wirken sie etwas verloren in dieser grosszügigen neuen Architektur. Sie sind aber auch nicht aufdringlich, nicht einmal die grossen glänzenden Metallplastiken, die durch ihren Glanz eine starke räumliche Präsenz erhalten.

«Bitte die Skulpturen nicht berühren» steht gross auf einer Tafel vor der Ausstellung geschrieben. Der Drang, genau das zu tun, ist bei diesen Figuren aber auch stark gegeben. Werke wie «The New Beetle», ein auf dem Boden sitzender kleiner Junge, der mit einem Spielzeugauto spielt, haben fast schon unheimliche haptische Qualitäten. Der Edelstahl, aus dem die Skulptur gefertigt wurde, ist mit matter weisser Farbe besprüht und sieht nun aus wie aus Gips gefertigt. Ob es sich auch so anfühlt – wir wissen es nicht.

Auf Augenhöhe mit Charles Rays «The New Beetle.

«Sleeping Woman» kann exemplarisch für Rays Arbeitsweise stehen. Durch Zufall traf er während eines Spaziergangs auf die auf einer Bank liegende Frau. Dass sie tief und fest schlief, faszinierte den Künstler. Schliesslich machte er über hundert Fotos von der Frau, ging nach Hause – nur um festzustellen, dass seiner Kamera wichtige Details entgangen waren. Also lief er zurück – einen Weg von 45 Minuten – und fand die Frau immer noch schlafend vor.



epa04253747 US artist Charles Ray poses next to his sculpture 'School Play' (2014) at the Kunstmuseum in Basel, Switzerland, 13 June 2014. The exhibition 'Charles Ray: Sculpture 1997-2014', presented by the Kunstmuseum Basel and the Museum fuer Gegenwarts

Charles Ray posiert neben «School Play» (2014). (Bild: GEORGIOS KEFALAS)

 

Angesichts solcher Geschichten nimmt man erstaunt zur Kenntnis, dass Ray sich nicht für narrative Elemente interessiert. Es sind die formalen Elemente, die ihn antreiben. Eine der neuesten Arbeiten in der Ausstellung ist «Mime». Ein Mann liegt auf einer Art Bahre, schlafend wie die Frau. Die Figur existiert in zwei Ausführungen: einmal in Aluminium, einmal in Zypressenholz (in Basel leider nicht zu sehen). Ray sagt dazu: «Ich betrachte die Werke als separate Skulpturen, nicht als Materialvarianten desselben Werkes.» Denn der Aluminium-«Mime» entwickle sich aus dem gefühlten Druck im Innern des Mimen – der hölzerne «Mime» hingegen komme aus der entgegengesetzten Richtung zu seiner Form.

Es sind eben nicht nur sichtbare Details, die Rays Werke ausmachen.

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«Charles Ray: Skulpturen 1997–2014», Kunstmuseum Basel und Museum für Gegenwartskunst, 15. Juni bis 28. September 2014. Vernissage 14. Juni, 17 Uhr.

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