Steckt nicht in jedem von uns ein Baum? Christian Roth fortografiert Bäume im Basler Stadtwald: Ihre Formen und Eigenheiten erinnern ihn an die Menschen. Vor allem bei Nacht. Die TaWo hat ihn begleitet.
Es ist Abend, kurz nach Dämmerung. Die nasse Kälte, die doch so kurz vor Ostern einfach nicht mehr sein dürfte, erreicht die Knochen noch beim Verlassen des Hauses. Kein Grund für die Fotografen Christian Roth und Mischa Vogel, nicht genau jetzt in den Basler Stadtwald zu gehen, geführt vom Förster François Goy. Der Boden ist ein Schlamm. Aber Roth nimmt es besonders locker. Fein duftend, mit offenem Mantel und Lederschühchen watet er im Unterholz der Birsfelder Hard.
Beim letzten Waldgang kam, was kommen musste, und er fiel der Länge nach hin. «Ich kann nicht anders», sagt Roth und meint seine Kleidung. Am schwarzen Leder seiner Schuhe bilden sich unterdessen schwere Erdklumpen. Ein Stilmärtyrer? Nein. Wir sind nicht zum trekken hier, sondern für die Kunst.
Christian Roth, Jahrgang 1965, stammt aus Allschwil. Er war lange Pressefotograf, fand dies mit der Zeit einförmig und arbeitet seit den späten 90ern als Kunst- und Werbefotograf. Seitdem übernimmt er Aufträge, etwa für die Basler Kantonalbank. Das Baum- und Taschenlampenprojekt hat es ihm angetan. Fortsetzung folgt.
Nachts werden aus Bäumen Statuen
Roths Motiv sind Bäume, mickrige, prächtige, gerade- und schiefgewachsene. Bildhaft gesprochen die Bewohner des Waldes. Von 10 Exemplaren nimmt er je ein Portrait auf. Zusammen ergeben sie eine Gruppe von Baumtypen, sozusagen den Querschnitt der Basler Waldgesellschaft.
«Ich will back to the roots», sagt der Basler Fotograf. Zusammen mit seinem Partner Mischa Vogel schiesst er schlichte Aufnahmen, ohne viel Nachbearbeitung. Die Form der Bäume soll für sich sprechen und eine Geschichte erzählen.
Das klingt nach einer etwas beliebigen Reduktion. Deswegen sucht Roth die Bäume in der Nacht auf. In der Dunkelheit macht Mischa Vogel Aufnahmen mit Verschlusszeiten von 45 Sekunden. Roth und Goy staksen derweil mit Taschenlampen ins Holz und malen das Motiv eine Dreiviertelminute lang mit Licht an. «Anstreichen» nennen sie das. Mit schmalen Lichtkegeln leuchten sie an Baum und Zweigen auf und nieder und machen die Flächen sichtbar, die sie zeigen wollen. Neben dem Hauptbaum holen sie nach zwanzig Sekunden noch einzelne Hölzer aus dem Hintergrund ins Licht. Starke Kontraste aus Schwärze und studioartiger Helligkeit entstehen. Der Baum erscheint auf dem Bild seltsam überreal. Tags sind die Bäume einfach Bäume, in ihrer nächtlichen Beleuchtung werden sie zu Statuen.
Der Forstwart hat den Plausch
Christian Roth geht es um eine grosse Allegorie. Das Erscheinungsbild der Bäume wird zum Abbild der Menschen. Die Idee dazu kam ihm bei einem Glas Rotwein. Der eigentliche Motivsammler ist François Goy. Er ist ein Waldfreak, als Forstwart kümmert er sich seit 43 Jahren um die Wälder in der Umgebung von Basel. Goy kennt jeden Strauch.
In diesem Licht hat er seine Lieblinge allerdings auch noch nicht gesehen. Entlohnung will er keine. «Ich hab hier den Plausch», sagt er: Seit das Projekt läuft, hat Goy den Allegorieblick entwickelt. Kein Gewächs, das nicht noch eine Charakterfigur verbildlichen könnte.
«Ich hab kürzlich noch einen gefunden!», sagt Goy und stoppt irgendwo in der nächtlichen Pampa seinen SUV. Wieder waten wir durch Morast und erreichen eine Baumgruppe. «Das ist Der Edle», stellt er uns eine Espe vor, mit einem Tonfall zwischen Arbeitspragmatismus und dem Pathos der tiefsinnigen Bedeutung. Tatsächlich hat die Espe eine elegante Drehung im Stamm. Drumherum rankt sich kleidsamer Efeu.
Rampenlicht für schief und krumm
Ausser dem «Edlen» hat Goy einen «Zerschmetterten» ausfindig gemacht, einen «Toten», einen «Krebskranken», und «zwei Verliebte». Auch einige «Fremde» sind darunter. Und zwar ein «Erwünschter» (Sequoia, schön) und ein «Unerwünschter» (Robinien, im Plural, Parasit). «Wie die Asylanten», stellt Goy fest, «wir wollen sie nicht und doch können sie uns nützen.» Das gibt zu schlucken, aber nun, jedem seine Assoziation.
Ob sie auch einen ganz «normalen» abgelichtet haben, will ich wissen. Schweigen im Walde. «Nicht wirklich», sagt Roth. Besonders fotogen sind die Ungewöhnlichen und Schiefgewachsenen. Der «Edle» hat es denn auch in die finale Auswahl nicht geschafft. Die «Randständigen» sind der Blickfang.
Als krummer Baum ist man kein Outsider. Das sind gute Nachrichten, allegorisch gedacht. Auftraggeberin ist nämlich die Bürgergemeinde Basel, die von Christian Roth eine Fotoserie für die Eingangshalle des Stadthauses wünscht (wo bis jetzt nur ein einsames Ölgemälde hängt). Die bunte Truppe aus dem Basler Forst ist also das Ergebnis der Suche, wie sich die Basler Bürger verbildlichen lassen. Recht so. Es lebe der Wildwuchs.
- Die Vernissage im Stadthaus findet am 9. April um 18 Uhr statt.