Claude Cuenis Memoiren: Unzerstörbar heiter

Der Basler Autor Claude Cueni hat seine Autobiographie geschrieben. Grund zur Bitterkeit hätte der Krebskranke genug. Doch obwohl sein Leben immer wieder erschüttert wurde, hat er einen wunderbaren Humor entwickelt. Und schreibt sich mit seinen Memoiren lebendig.

Claude Cueni mit solidem Spielzeugfallbeil. «Ich denke», schreibt er, «wenn alles misslingt im Leben, sollte wenigstens der Selbstmord gelingen. Aber so einfach ist es nicht.» (Bild: Nils Fisch)

Der Basler Autor Claude Cueni hat seine Autobiographie geschrieben. Grund zur Bitterkeit hätte der Krebskranke genug. Doch obwohl sein Leben immer wieder erschüttert wurde, hat er einen wunderbaren Humor entwickelt. Und schreibt sich mit seinen Memoiren lebendig.

Seiner Autobiografie «Script Avenue» stellt Claude Cueni ein Zitat des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki voran. Es spricht vom Tod, und der leukämiekranke Cueni schreibt Literatur, um dem Tod entgegenzutreten. «Denn wenn ich schreibe, denke ich nicht an den Tod», heisst es ganz am Schluss. Der Leser befindet sich auf Seite 640 und denkt unweigerlich an eine andere Äusserung von Reich-Ranicki, der gerne mal das Kind mit dem Bade ausschüttete: «Jeder Roman, der mehr als 500 Seiten umfasst, ist schlecht.» Wie dem auch sei, man kann wohl sagen: Ein Buch muss schon sehr gut sein, um über diese Länge einen Bogen zu spannen.

Cueni ist sich der Ausuferung bewusst und thematisiert sie charmant. Immer wieder wendet sich der Erzähler an den Leser und dankt ihm für die wertvolle Aufmerksamkeit. Auf Seite 22, als frühe Vorwarnung, steht eine Erklärung, warum er so viel davon braucht: «Von der Schraubenkiste zum Millionär war es natürlich ein weiter Weg. Deshalb hat dieses Buch so viele Seiten.»

Repetition mit Grund

Und so kann man dem Autor nicht recht böse sein. Der Lebensweg, den er in diesem «letzten Buch»  beschreibt, könnte einen durchaus bitter machen, doch Cueni verliert den Humor fast nie. Wenn er mal wieder weit abschweift, auch mal ins 17. Jahrhundert oder zu den alten Römern, zitiert er seinen Agenten, der an den Rand geschrieben habe: «Das ist kein historischer Roman!» Und wenn es dann wirklich endlos wird mit der Schilderung seiner Kindheit unter einem brutalen Vater und einer fanatischen Mutter, schreibt Cueni: «Sie denken jetzt vielleicht, dass es langsam repetitiv wird mit all diesen Ohrfeigen. Ich kann Sie verstehen, ich empfand es damals genauso.»

Was sich da in gefährliche Längen zieht, hat also seine Gründe. Irgendwann sei dem Erzähler klar geworden, dass gute Geschichten nicht wahr sein müssen, sondern glaubwürdig. Zugleich ist sein oberstes Gebot, gegenüber seiner Vergangenheit aufrichtig zu sein. Und das ist er, in aller Schonungslosigkeit. Daraus ergibt sich die Aufgabe, das Wahre (auch wenn Cuenis Buch Roman heisst und nicht Autobiografie) glaubwürdig zu machen – und so kann es einleuchten, dass die Endlosigkeit der schweren Kindheit sich in einem ausufernden Buch niederschlägt. Doch bei aller Selbstironie: Das Buch ist zu lang, viel zu lang. Es ist zu sehr die Erzählung einer persönlichen Geschichte, als dass man ihr so weit folgen wollte.

Trotzdem ist sie erschütternd: Den jungen Mann schlug nicht nur der Vater, auch der Onkel versuchte eine Vergewaltigung, und in einem katholischen Internat in Schwyz wurde er sexuell belästigt. Die Passage löste unterdessen einen medialen Wirbel aus, den Cueni in einem Interview mit dem «Bund» wieder herunterspielte.

Für Trübsal ist Cuenis Laune zu gut

Cuenis Leben, wie er es beschreibt, ist auch nicht eindeutig düster, trotz der vielen erlebten Gewalt, der Krankheit, einem körperlich behinderten Sohn, einer verstorbenen ersten Frau. Denn andererseits wurde er ein erfolgreicher Autor von Romanen und Drehbüchern, ein glücklicher Vater und vor allem einer, der sich nicht unterkriegen lässt. Dafür ist seine Laune zu gut. Die oben erwähnte Ausgangslage in der Schraubenkiste, in die ihn seine grobschlächtigen Erziehungsberechtigten ab- und aus dem Weg legten, beschreibt er so:

Wenn einer aufs Klo musste, kam er unweigerlich an mir vorbei und strich mir mit ölverschmierten Fingern übers Gesicht. Hatte er sich erleichtert, passierte er erneut meine Kiste und strich mir einige Kolibakterien über die andere Wange. (…) Auf jeden Fall war dies der Grundstein für eine solide Grundabwehr.

Cueni hat aus seiner unzerstörbar guten Laune eine plaudernde und abschweifende Kunst gemacht. Eine Sogwirkung entsteht leider nicht. Dafür ein grosses Zeitzeugnis und eine sprachgewordene Lebenshaltung, die man in Betracht ziehen sollte.

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Claude Cueni: «Script Avenue». Wörterseh, 640 Seiten.

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