Das Haus für Elektronische Künste präsentiert «Collect The WWWorld». Im Zentrum der von Domenico Quaranta kuratierten Ausstellung steht die künstlerische Verarbeitung von Bildern und Videos aus dem Internet.
Zwei Männer stehen auf einem Trottoir in Bogotà und halten einen dritten mit aller Kraft zurück. Man ahnt es: Hier wird gerade eine Schlägerei auf offener Strasse verhindert. Auf anderen Bildern sehen wir einen rennenden Elch, eine Alienpuppe oder einen Autofahrer, der vor seinem zu Schrott gefahrenen Wagen kniet. Es sind Schnappschüsse, die der amerikanische Künstler Jon Rafman via Google Street View festhielt. Sechs Monate lang fuhr er zu Hause am Computer rund um die Welt und durchforstete den Bilderfundus von Google Street View. Aufgezogen als Fotografien bilden sie «The 9 Eyes of Google Street View» (2009), eines der auffälligsten Werke in der neuen Ausstellung im Haus für Elektronische Künste.
Die Schnelllebigkeit der virtuellen Welt steht in krassem Gegensatz zur Dauer des Sammelns und Auswählens der Bilder. Dies spannt den Bogen zur kunsthistorisch relevanten Frage nach dem Archiv weiter: das Sammeln und die Konservierung von Kunstwerken gewinnt in der Auseinandersetzung mit digitalen Medien an Importanz. Steigende Speicherkapazitäten von Festplatten und Servern bergen unbegrenzte Möglichkeiten des Archivierens für den Menschen – aber auch kaum bewältigbare Mengen an Daten. Daher der Titel der Ausstellung «Collect the WWWorld. The Artist as Archivist in the Internet Age».
Die Ausstellung versammelt Werke von rund 25 international tätigen Künstlern, viele setzen sich dabei mit der Selbstinszenierung im Netz auseinander. Die neue HEK-Leiterin Sabine Himmelsbach hat die Schau, die von Domenico Quaranta kuratiert und ursprünglich in Italien gezeigt worden ist, für Basel adaptieren lassen, um das Haus auch zwischen den Fixpunkten Regionale und Shift Festival mit Leben zu erfüllen.
Nur für Erwachsene?
Man kann bedauern, dass diese Medienkunst-Ausstellung nicht zur Interaktion anregt. Man loggt sich nicht ein in eine Arbeit, muss sich aufs Schauen und Hören beschränken. Verglichen mit dem Shift-Festival ist diese Ausstellung für Kinder weniger unterhaltsam – solchen unter 16 Jahren sowieso nicht zu empfehlen, sind doch zwei, drei Werke auch mit explizitem Bildmaterial bestückt.
Nicht pornografisch und doch sexuell konnotiert ist Hans-Peter Feldmanns «Agony». Seine Arbeit ist zwar schön anzusehen, der Credit dafür aber einer Webseite zuzuschreiben: www.beautifulagony.com sammelt Aufnahmen von Menschen, die einen Orgasmus erleben. Dabei sind nur die von Lust gezeichneten Gesichter zu sehen. Feldmann hat 60 Fotos herausgepickt und in ein Raster eingebaut. Über den grossen künstlerischen Wert seiner Arbeit kann man sich streiten. Cut & Copy oder Copy-Paste steht im Zentrum zahlreicher Arbeiten dieser Schau. So hat die italienische Künstlergruppe «Alterazioni Video» weitaus origineller Bilder im Internet gesammelt, auf PVC ausgedruckt und mitunter zur Dreidimensionalität formiert. Der Trend, der in der bildenden Kunst auszumachen ist – nämlich das Spiel mit dem Raum – greift somit auch in die Medienkunst über.
Was man an dieser Ausstellung ein bisschen vermisst: Einen humorvollen Umgang mit digitalen Medien. Einer der wenigen Künstler, der eine solche Perspektive wählt, ist der niederländische Künstler Constant Dullaart: In seinem Werk «Poser» (2010), einem digitalen Bilderrahmen, schleicht er sich in eine Serie von Gruppenfotos, die er aus dem Netz gefischt hat. Die Fotos sind privater Natur, online aber für alle zugänglich. Dullaart bewegt sich zwischen Familien, wirft sich in Pose – ein Eindringling im privat-öffentlichen Raum des WorldWideWeb. Klein im Format, aber gross im Effekt: Ein lustiges Highlight dieser Ausstellung.
- Vernissage: Do, 8.3., 18.30 Uhr. 19.30 Uhr: Führung mit Kurator Domenico Quaranta in englischer Sprache.
- Die Ausstellung ist bis zum 20. Mai zu sehen.